Es ist ein Prozess, in dem die Glaubwürdigkeit im Zentrum steht. Der Angeklagte selbst hat zu den Vorwürfen der Freiheitsberaubung, der Misshandlungen und mehrfachen Vergewaltigung seiner nur wenig jüngeren Schwester keine Angaben gemacht.
Die Taten sollen sich zwischen Mitte Januar und Mitte Mai vergangenen Jahres im Wohngemeinschaftszimmer des inzwischen 21-jährigen Mannes ereignet haben. Beide sind in Syrien geboren, wobei der Mann bereits 2015 in Konstanz ankam. Seine Eltern und sechs Geschwister sind seit 2020 in Deutschland und zurzeit in Schwäbisch Gmünd untergebracht.
Haben die Mitbewohnerinnen des Angeklagten nichts bemerkt?
Am zweiten Prozesstag vor dem Landgericht Konstanz wurden zwei der WG-Mitbewohnerinnen befragt, die zunächst nichts von der angeblich im Zimmer des Angeklagten festgehaltenen Frau bemerkt hatten. Der Mann trat demnach anfangs sehr freundlich auf, mit der Zeit allerdings kam den beiden Frauen das Verhalten seltsam vor.
Dazu zählte, dass der Angeklagte unter anderem die Privatsphäre der Mitbewohnerinnen nicht respektierte und von ihnen merkwürdige Hilfen erbat. Nach Angaben einer der beiden Zeuginnen lieh er sich beispielsweise einen Wäscheständer, den er dann nicht mehr zurückgab, außerdem nutzte er etwa den gemeinsam genutzten Küchenmixer in seinem Zimmer.
Seltsam erschienen den beiden Frauen zudem die Mengen an Speisen, die der Mann in der Gemeinschaftsküche zubereitete und dann in sein Zimmer trug. Endgültig stutzig wurden die Frauen, als sie einen blutige Lappen entdeckten.
In einem Fall war der gemeinschaftlich genutzte Badbereich belegt, wobei die Frauen auf Nachfrage bei ihrem Mitbewohner keine glaubwürdige Antwort über einen möglichen Gast bekamen. Trotz weiterer Verdachtsmomente wie die stets herabgelassenen Jalousien bemerkten die beiden Mitbewohnerinnen erst bei der Festnahme des Mannes von den ihm zur Last gelegten Taten.
Die Angeklagte habe die 19-Jährige täglich misshandelt
Dabei soll es sich nach Angaben des Opfers um tägliche Misshandlungen gehandelt haben, die die Frau in einer auf Video aufgezeichneten Befragung durch eine Amtsrichterin als Folterungen bezeichnete. Demnach wurde sie mit einer an einem Feuerzeug erhitzten Messerklinge misshandelt, mit stockähnlichen Ästen geschlagen und mit Fußtritten unter anderem ins Gesicht verletzt.
Außerdem wurde diesen Angaben zufolge ein Kugelschreiber als Tatwerkzeug eingesetzt, mittels eines Stifts wurden ihr ferner die Finger verdreht. Der kleine Finger ihrer linken Hand soll dadurch so geschädigt worden sein, dass ihn die heute 19-Jährige nicht mehr strecken kann.
Zu den Misshandlungen gehörten nach Angaben der Schwester mehrere Vergewaltigungen, wobei ihr Bruder anal in sie eingedrungen sein soll. Die Schwere des Verbrechens einer Vergewaltigung scheint ihr dabei nicht bewusst gewesen zu sein, da sie vermutlich nicht aufgeklärt ist und über keinerlei sexuellen Erfahrungen verfügt.
Ihre Unwissenheit geht ferner aus ihrer Nachfrage bei einer Gutachterin hervor, bei der sie sich über die Folgen informierte – zum Beispiel ob sie durch den Übergriff ihre Heiratsfähigkeit verloren habe.
Die Gutachten stützen Angaben der Schwester
Die zu den mutmaßlichen Taten angefertigten Gutachten stützen die Angaben der 19-Jährigen. Wie die Rechtsmedizinerin ausführte, seien die feststellbaren Verletzungen sowie Narben mit den angegebenen Misshandlungen vereinbar. Die Vergewaltigungen ließen sich allerdings auf rechtsmedizinischer Basis wegen der schnellen Heilfunktion von Schleimhäuten nicht mehr nachweisen.
Umgekehrt hält die Rechtsmedizinerin die Angaben der Eltern des Angeklagten, wonach die Verletzungen am Fuß durch verschüttetes heißes Teewasser hervorgerufen wurden, für sehr unwahrscheinlich und nicht vorstellbar.
Auch die sozialpsychologische Gutachterin hält die Angaben der Schwester des Angeklagten für glaubwürdig. Sie überprüfte dabei die Angaben auf etwaige Varianten – zum Beispiel darauf, ob die Schwester die Misshandlungen erfunden oder dramatisiert haben könnte.
Das lässt sich nach ihrer Beurteilung so gut wie ausschließen, da die 19-jährige allein wegen ihrer sexuellen Unkenntnis zum Aufbau eines komplexen Lügengebildes nicht in der Lage sei. Für den dritten Prozesstag am Montag, 30. Januar, sind die Plädoyers und das Urteil vorgesehen.