Hier im Dörfle gilt eine andere Zeitrechnung als anderswo. Bubar Ali Safizada und Obaid Ullah Vaziri haben Zeit – Termine oder Arbeit haben sie nicht. An diesem Winternachmittag ist das nicht so schlimm, die Sonne scheint und man kann es draußen gut aushalten. Beide Afghanen sind schon eine Weile in Konstanz, seit einem Jahr und fünf Monaten.
Deutsch lernen – notfalls auch durch YouTube
„Ich hatte bisher nur einen Deutschkurs“, sagt Babur Ali. Der sei drei Monate lang gewesen, er möchte seine Deutschkenntnisse aber gern vertiefen. Im Moment wartet er auf einen weiteren Kurs. Andere Flüchtlinge kämen deutlich schneller in Deutschkurse als die Afghanen. Babur Ali Safizadas Deutsch ist allerdings gar nicht schlecht. Das habe er sich über YouTube-Videos beigebracht, sagt er.
Ansonsten fallen die Klagen der hier versammelten Männer eher klein aus. „Klar, ein eigenes Haus wäre mir lieber“, scherzt Ahmad Nazari, 18 Jahre, der seit drei Monaten in Konstanz ist und noch wenig Deutsch spricht. Er besucht aber schon eine Vorbereitungsklasse der Wessenbergschule. Das Leben in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) Dörfle sei in Ordnung für ihn, versichert er. Mohammed Qasem Hussiani weist aber darauf hin, dass die Sozialarbeiter in jüngster Zeit seltener vor Ort sind als früher.
Auch vor einer Corona-Infektion haben sie keine Angst. Jedenfalls gilt das für die Afghanen, die am Gespräch mit dem SÜDKURIER teilnehmen. Safizada ist geimpft und geboostert, Vaziri doppelt geimpft und ergänzt, dass er dennoch mehr Angst vor der Impfung habe als vor einer Infektion.
Hussiani sieht die Corona-Lage nicht ganz so entspannt. „Ich selbst habe ein bisschen Angst vor Omikron“, sagt er. Er war Arzt in Afghanistan und möchte seine medizinische Ausbildung nun in Deutschland anerkennen lassen. Dazu fehlt ihm noch ein Deutschkurs auf C1-Niveau. Wie einige seiner Landsleute im Dörfle ist er geimpft und geboostert. „Mehr können wir nicht tun.“
Helfer beklagen beengte Wohnsituation
Mehr Sorgen machen sich Flüchtlingshelfer. In vielen Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises sei die Unterbringung der Flüchtlinge sehr beengt, sagt Marion Mallmann-Biehler, Vorsitzende von Save Me. Hussiani betätigt das, die meisten bewohnten im Dörfle zu zweit ein Zimmer, es gebe Gemeinschaftsduschen und Küchen. „Wir als Helferkreis erwarten, dass die Flüchtlinge in Bezug auf Corona beraten werden“, sagt Mallmann-Biehler. Nicht alle wüssten zum Beispiel, dass es im Bodenseeforum ein Impfangebot gebe.
Auch andere Themen bewegen die Helfer. Inzwischen würden viele Flüchtlinge nach ihrem Aufenthalt in der GU in eine andere Kommune verwiesen. Obwohl verständlich, scheint den Helfern das Vorgehen des Landratsamts oft zu unsensibel. „In vielen Fällen halten wir es für gerechtfertigt, dass Flüchtlinge umziehen müssen“, sagt Mallmann-Biehler. Manchmal gelinge die Integration in einer kleinen Kommune sogar besser. Die Helfer wünschen sich jedoch, dass Familien, die umziehen müssen, besser darauf vorbereitet würden. Und, dass es im Einzelfall möglich sein müsse, dass eine Familie am Ort, an dem sie bereits integriert sei, bleiben dürfe.
Jetzt beginnt die Umverteilung
Monika Brumm, Leiterin des Amts für Migration und Integration beim Landratsamt, erläutert das Vorgehen. In den Jahren nach 2015 konnten Flüchtlinge nicht von den GU in die Anschlussunterbringungen der Kommunen umziehen – die meisten Kommunen hatten schlicht zu wenig Wohnraum. Nun allerdings sei es möglich, dass anerkannte Flüchtlinge oder solche, die seit 24 Monaten in einer GU leben, in andere Gemeinden verwiesen werden.
Nur so könne jede, auch jede Landgemeinde, ihre Quote erfüllen. Das möge aus Sicht eines betroffenen Flüchtlings bitter sein, aber unvermeidbar, sagt Brumm: „Unsere gesetzliche Aufgabe ist eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die Gemeinden des Landkreises.“ Sie sei sehr froh, dass es nun endlich möglich sei, diesen Auftrag zu erfüllen.
Dennoch gebe es Ausnahmen, etwa, wenn ein bestehender Arbeitsplatz nach dem Umzug nicht oder kaum noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sei. Der Wechsel von Kindergarten oder Schule zählen hingegen weniger zu Gründen, bleiben zu dürfen Die Personen, die den Wohnort wechseln müssten, würden zum einen darüber schriftlich informiert. Zum anderen werde der Umzug von Sozialarbeitern begleitet, erläutert Brumm.
Dass das Personal punktuell knapp wird, bestätigt Monika Brumm. Für die neuen GU, etwa in Stockach, werde noch Personal gesucht. Gebraucht werden jeweils eine Heimleitung, Mitarbeiter des Sozialen Dienstes und eine Sekretärin. Zum Teil werde das vorhandene Personal des sozialen Dienstes an mehreren Standorten eingesetzt. Die Durchmischung von Neuankömmlingen und Flüchtlingen, die eine Unterkunft schon länger bewohnen, sei ein Vorteil. So könnten die etablierten Bewohner den neuen in vielen Dingen helfen.
Landratsamt besorgt wegen Omikron
Die Corona-Lage hingegen macht Brumm mehr Sorgen. Bislang „haben wir Glück gehabt“. Im Moment (Stand: 25. Januar) seien kreisweit nur 16 Infektionsfälle in Unterkünften gemeldet. Dennoch: Mit der Omikron-Variante befürchte sie, dass es schnell mehr werden. Wer erkrankt ist, werde isoliert, dazu gebe es spezielle Wohnungen etwa in Rielasingen-Worblingen. „Der personelle Aufwand für die Betreuung der Isolation ist aber enorm.“ Die Impfquote in den Unterkünften liege bei etwa 50 Prozent, eventuell etwas darüber. Das sorge zumindest für einen deutlich besseren Schutz der Bewohner als es 2020 und Anfang 2021 der Fall gewesen sei.