„Ich dachte immer“, schreibt Renate Köcher, „so etwas passiert nur in Berlin“ – und spricht damit wohl einem ordentlichen Teil der rund 23.000 Menschen aus dem Herzen, die am Sonntag persönlich wählen waren. Um halb sechs am Abend kam sie an ihr Wahllokal, gegen sieben war sie wieder draußen, wie sie kurz nach der Wahl dem SÜDKURIER berichtete. Sie war eine von denen, die den Stimmzettel noch in die Urne warfen, als die Wahl eigentlich schon seit einer Stunde beendet sein sollte.
Und vor Ort erlebt hat Köcher einiges: Menschen, die Briefwahl machen wollten und sagten, die hätten keine Unterlagen erhalten. Leute, die gar keine Wahlbenachrichtigung hatten. Dass so etwas nicht hilft, Vertrauen in Staat und Verwaltung aufrechtzuerhalten, weiß Renate Köcher besser als viele andere – sie ist die Direktorin des Instituts für Demoskopie Allensbach, das genau zu solchen Themen regelmäßig Bürger befragt. Sie ist aber auch Konstanzer Bürgerin und musste sich, wie viele andere, am Sonntag doch sehr wundern.
Vorsitzende des Altenhilfevereins beklagt sich bitterlich
Ähnliches schilderte Luise Mitsch, die rührige Vorsitzende des Altenhilfevereins. Alte und beeinträchtigte Menschen hätten lange stehen müssen und das ohne jede Sitzgelegenheit, sagte sie dem SÜDKURIER. Sie habe den Eindruck, dass diese Wahl besonders schlecht organisiert gewesen sei, und habe auch viele andere Rückmeldungen bekommen. Bei der Stadt dagegen sind nach Angaben der Verwaltung nur etwa 30 E-Mails eingegangen, viele davon hätten konkrete Verbesserungsvorschläge enthalten.
Auch eine knappe Woche danach sind die Fragen aber nicht weniger geworden. Auch im Gemeindewahlausschuss werden sie gestellt. Gilt dessen Sitzung sonst eher als Formsache, wird sie nun zum Auftakt der Aufarbeitung der Pannenserie, die mit dem Versand der Unterlagen begann, sich in Notfall-Expresszustellungen von Briefwahldokumenten, lange Warteschlangen am Sonntag und eine schleppende Auszählung fortsetzte und damit endete, dass das Wahlamt auf vorab eingereichte Fragen von Stadtrat Marvin Pfister in öffentlicher Sitzung die Antworten erst noch errechnen musste.
Zum Beispiel ist seit Freitag klar, dass das Briefwahl-Problem in den Vororten sehr viel größer ist als im Rest der Stadt: Der Anteil der nicht zurückgesandten Stimmzettel ist mit 15 Prozent dort fünfmal so hoch wie im restlichen Stadtgebiet, wo er nur drei Prozent beträgt. So kamen als Litzelstetten, Dingelsdorf und Dettingen-Wallhausen 336 Stimmzettel nicht zurück. Im gesamten, sehr viel größeren, restlichen Stadtgebiet waren es gerade einmal 488. Dies kam auf Nachfragen des ausscheidenden Stadtrats Marvin Pfister heraus.

Nicht nur für Thomas Albicker, Mitglied des Gemeindewahlausschusses, liegt der Schluss nahe, dass das an der extrem späten Zustellung der Briefwahlunterlagen infolge eines Fehlers in der Verwaltung lag. Auch andere Ehrenamtliche aus dem Wahl-Aufsichtsgremium zeigten sich unzufrieden. So hinterfragten sie auch ihren Beschluss, der Bitte des Landratsamts zu folgen und zuerst die Kreistagswahl auszuzählen.

Albicker bedauerte die Anspannung unter vielen der 428 Männer und Frauen, die für einen Sitz im Gemeinderat angetreten waren und „24 Stunden länger als bisher“ auf ein Ergebnis hätten warten müssen. Auch Andreas Ellegast, früher selbst CDU-Stadtrat, betonte, eine rasche Auszählung sei wichtig: „Das ist man den Gemeinderats-Kandidaten schuldig.“

Karl Langensteiner-Schönborn, an diesem Vormittag nicht Baubürgermeister, sondern Vorsitzender des Gemeindewahlausschusses, bedauerte die Mängel in Organisation und Ablauf der Wahl. Er betonte aber auch, alle hätten ihr Bestes gegeben.
Eine konkrete Verbesserung kündigte er auch gleich an: Bei der nächsten Wahl soll es wieder mehr Wahlkabinen geben, denn diese hätten sich als das Nadelöhr erwiesen. Auch eindeutigere und größere Wegweiser kündigte er an, ebenso mehr Sitzmöglichkeiten.
2025 gibt es die Chance, es besser zu machen: Dann ist Bundestagswahl
Manche der Verbesserungen werden nicht gleich bei der nächsten Wahl greifen – voraussichtlich im September 2025 wird der Bundestag gewählt. Allerdings bekommen dann die Bürgerinnen und Bürger die Stimmzettel nicht vorab zugeschickt.
Und bei mancher guten Idee steckt der Teufel auch im Detail, wie Anja Conze vom Personal- und Organisationsamt deutlich machte. Eine gesonderte Express-Wahlkabine für diejenigen, die ihren Kommunalwahl-Stimmzettel schon ausgefüllt haben, könne zum Beispiel dazu verleiten, dass die Menschen auf dem Gang wählen, was das Wahlgeheimnis verletzten würde.
Auch der OB hat inzwischen um Entschuldigung gebeten
Am Abend vor der Sitzung hatte sich erstmals auch Oberbürgermeister Uli Burchardt öffentlich zu Ablauf und Organisation der Wahl geäußert. In einem Video, das die Stadtverwaltung online veröffentlichte, hatte er Unannehmlichkeiten für die Wählerinnen und Wähler bedauert und ebenfalls eine Aufarbeitung der Schwachpunkte angekündigt.
Er hob allerdings auch die Wahlbeteiligung von 60,2 Prozent hervor. Fünf Jahre zuvor hatte sie bei 61,3 Prozent gelegen, damals waren noch knapp 1000 Menschen mehr zur Wahl gegangen. 2014 dagegen nutzten nur 47,5 Prozent der Berechtigten die Möglichkeit der Mitbestimmung, was über 10.000 Wähler und bis zu 400.000 Stimmen weniger sind als dieses Jahr auszuzählen waren.