Die „goldenen Zwanziger“ stehen gerade nicht im Fokus, denn diese waren erst zwischen 1924 und 1929. Der Blick von Jürgen Klöckler richtet sie auf den Beginn der 1920er Jahre. Und da war die Lage auch in Konstanz alles andere als rosig.
„Vor genau 100 Jahren gab es auch eine Inflation und unsere Vorfahren sind in eine Hyperinflation reingelaufen. Dabei ist das Vertrauen in die Währung verloren gegangen, denn das Geld war nichts mehr wert“, stellt Jürgen Klöckler, Leiter des Stadtarchivs Konstanz, fest.

Inflation: Das Trauma der Deutschen
Die Erste Weltkrieg war vorüber, die deutsche Wirtschaft lag in Scherben, der Staat war pleite. Hyperinflation im Schicksalsjahr 1923 „und 1948 gerade nochmal. Das hat in der deutschen Bevölkerung ein Trauma hinterlassen. Kein Volk auf der Welt ist so inflationsgeschädigt wie Deutschland“, hält Jürgen Klöckler fest.

„Jetzt steuern wir auf eine massive Wirtschaftskrise zu. Das wird finanziell bei allen ankommen, nicht nur beim Tanken. Gaspreise verdoppeln sich. Es wird extrem teuer“, prognostiziert er. „Es besteht meiner Ansicht nach keine Chance, dass die Energiepreise in den kommenden Jahren sinken werden. In Mangelsituationen gehen Preise immer nach oben. Da kann man nur sparen, sparen, sparen.“ Und genau dies hätten die Großeltern und Urgroßeltern gelernt. Da würde man sich heute schwerer tun.

Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen, der Aufschwung im Nachkriegs-Deutschland – all das gehört längst der Vergangenheit an. „Die junge Generation ist im materiellen Wohlstand aufgewachsen, wo es alles im Überfluss gibt“, kommt Jürgen Klöckler auf die Gegenwart zu sprechen. „Rückschritt und Verzicht tun dann unheimlich weh.“ Genau das stehe jetzt bevor, denn „jeder wird es an seinem Geldbeutel merken“, so Klöckler.
Feiern gegen die Untergangsstimmung
Nach den Pandemie-Jahren wird in Konstanz wieder gefeiert. Die Leute lassen es krachen, wie in den 1920er Jahren auch. Ein Tanz auf dem Vulkan? Wenn Untergangsstimmung herrsche, werde auch auf Teufel komm raus gefeiert, „weil die Menschen Ablenkung brauchen“, so Klöckler, der allerdings einschränkt, dass sich dies nur die finanziell besser gestellten Bürger gönnen konnten und können.

„Vor 100 Jahren gab es eine ganze Menge Vergnügungsetablissement in Konstanz“, schildert er. Dazu zählte auch das „Kabarett-Korso“ in der Emmishofer Straße 2, das hoch im Kurs stand. „Weibliches Publikum, Alkohol, Essen, Spekulanten, Schieber, die durch illegale Geschäfte zu Geld kamen: Da haben die Puppen getanzt“, skizziert er.
Beliebt waren diese Etablissements gerade auch bei den Schweizern. Mit ihrer starken Währung war Konstanz das Einkaufs-Paradies. Und „auf diese stabile Währung konnte man vertrauen“, so Klöckler.
Blütezeit für Schmuggler und Schwarzhändler
Aufgrund des Mangels an Waren fingen die Menschen an zu horten, der Schwarzhandel blühte und es wurde fleißig an der Konstanzer-Kreuzlinger Grenze geschmuggelt. Es gab also nicht nur Konstanzer, die am Hungertuch nagen, sondern auch Profiteure, so Klöckler. Es habe auch Händler gegeben, die bewusst ihre Waren für die Schweizer Kundschaft zurückgehalten hätten.

„Die Schweizer konnten sich so ziemlich alles erlauben“, sagt der Stadtarchivar. Sie hätten sich locker Restaurantbesuche leisten können, während das Gros der Konstanzer seit 1914 Mangel litt. Nur mit Lebensmittelkarte und Geld kamen sie an Waren. Alles war reglementiert und rationiert. „Die Rationierung wurde erst 1948/49 aufgehoben“, berichtet Klöckler. Eben wegen dieser immensen Unterschiede „kam Neid auf“.

Um über die Runden zu kommen, haben viele Konstanzer in ihren Gärten im Haidelmoos, aber auch vor oder hinter den Wohnhäusern kleine Gemüsegärten angelegt, um sich selbst zu versorgen, erzählt Jürgen Klöckler, um über die junge Vergangenheit zu sagen: „Bis vor etwa 20 Jahren gab es in Konstanz viele gepflegte Gemüsegärten. Vielleicht kommt das jetzt wieder?“
Dieser Artikel erschien erstmals im August 2022 auf SÜDKURIER Online.