Einträchtig stehen die Literaten der Gegenwart, die Wortakrobaten und -erfinder, die jungen Helden der deutschen Sprache beieinander und plaudern vergnügt. Dass Franziska Schramm (Konstanz), Marina Sigl (Tübingen), Marius Loy (Esslingen), Alex Simm (Langenargen) und Emir Puyan Taghikhani (Kreuzlingen) in einer Stunde auf der Bühne stehen, ihre selbstgeschriebene Poesie vortragen und um die Gunst des Publikums wetteifern werden, sollte man nicht annehmen.
Okay, Nik Salsflausen, ehemaliger Baden-Württembergischer Meister und deutschsprachiger Vize-Meister im Poetry-Slam, kann tiefenentspannt sein; er ist als Moderator außen vor. Aber die anderen haben den verbalen Wettkampf vor sich. Neid und Missgunst scheinen Fremdworte zu sein.

„Es ist eine kleine Szene. Jeder kennt jeden. Man hat eine gemeinsame Ebene. Alle machen Literatur, arbeiten mit Sprache und man kann voneinander lernen“, merkt Marina Sigl an. Die Abstimmung der Zuschauer sei für das Publikum wichtig, meint sie. Für die Slammer hingegen gebe es nur ein Motto: „The point is poetry.“ Ihnen gehe es also nur um eines: Die zeitgenössische Literatur.
Franziska Schramm: „Ich finde es magisch“
„Die Kulisse ist der Kracher“, stellt Franziska Schramm (36) fest, während sie ihren Blick durch das Bodensee-Stadion schweifen lässt. „Auf den Rasen möchte ich mich am liebsten legen. Und der Himmel ist sogar blau.“ Sie, die aus Oberfranken stammt und seit acht Jahren in Konstanz lebt, scheint das Drumherum und die Atmosphäre bewusst in sich aufzunehmen.

Was sie im wahren Leben macht? „Das wahre Leben sind Gedichte“, sagt sie und fügt an: „Ich habe zwei Jobs: Ein Beruf, mit dem ich Geld verdiene, und eine Berufung: Autorin.“ Franziska Schramm, die Literatur- und Medienwissenschaften studiert hat, ist als Projektmanagerin im Bildungsbereich tätig und betreut Produktionen von Lehr- und Lernvideos, wie sie sagt. Mit dem Schreiben habe sie als Dreizehnjährige begonnen.
Man entwickle sich im Laufe der Jahre und werde professioneller, schildert die Autorin. „Mit Anfang 20 habe ich meinen ersten Poetry-Slam gesehen und fand es toll.“ Was so toll war? „Das Schöne ist, alles ist akustisch und man feiert gemeinsam die Literatur. Und man sieht denjenigen, der die Texte geschrieben hat.“ Bald nach diesem Einstiegs-Erlebnis stand sie selbst auf der Bühne. Natürlich war sie nervös; das ist sie heute auch noch. „Ich finde es magisch, wenn man dieses Kribbeln hat“, stellt sie fest.
„Am liebsten würde ich Popsongs schreiben“, erzählt Franziska Schramm, behauptet aber, das könne sie nicht. Daher versuche sie, Musik und Sprache zu verbinden. „Meine Vorstellung von Gedichten: Sie müssen klingen, jemanden berühren, mitreißen. Trauriges, Lustiges, alles, was das Leben mit sich bringt, kann zu einem Text werden“, schildert sie.
Wesentlich beim Poetry-Slam seien nicht nur die Texte an und für sich, sondern auch das Performen, das Darbieten. Bereits beim Schreiben mache sie sich Gedanken, wie und wo der Text am besten wirke – ob Stadion oder Bar. „Poetry-Slam lebt davon. Es ist Literatur, die immer im Jetzt ist, immer aktuell. Man bearbeitet das Material so lange, bis es stimmt; man verformt, verfremdet, macht es zur Poesie, zu allgemein Menschlichem“, schildert Franziska Schramm.
Marina Sigl: „Es ist aktuell, live, unmittelbar“
„Es ist ein schönes, aktuelles Literatur-Format“, bekräftigt Marina Sigl (25), die von 2014 bis 2020 in Konstanz gelebt, Chemie und Deutsch auf Lehramt studiert hat und jetzt an einer Schule in Balingen arbeitet. Das Spannende: „Es ist aktuell, live, unmittelbar und macht Literatur lebendig. Sonst gibt es oft Barrieren. Wenn man Goethes Faust liest“, gibt Sigl das typische Schulliteratur-Beispiel, „dann muss man sich reinfuchsen, man muss es wollen und Energie reinstecken.“

Poetry-Slam sei wesentlich niederschwelliger, „viel leichter zu rezipieren, auch wegen der modernen, alltäglichen Sprache“. Die Form des Wettbewerbs mache das Ganze für die Zuhörer cooler, den sie könnten „nach ihren eigenen ästhetischen Kategorien“ entscheiden.
Ästhetik. Damit gibt Marina Sigl das passende Stichwort für den Poetry-Slam im Rahmen der Konstanzer Sommerwiese, denn die Ästhetik der deutschen Sprache stand bei den Autoren in ihrer Vielgestaltigkeit im Mittelpunkt. Unterschiedlicher hätten die literarischen Darbietungen kaum sein können und genau in dieser Vielfalt der Sprachkunst als Verpackung von Inhalt liegt der Reiz für die Zuhörer.