Ein ordentliches Stück Weg muss man zurücklegen, wenn man von Weiterdingen aus den Stofflerhof besuchen will. Über Feld- und Waldwege geht es hinaus zu dem alten Gehöft, das von Carina Herth-Seuffert im Nebenerwerb bewirtschaftet wird.

Sie ist hier schon mit der Landwirtschaft aufgewachsen. Hauptberuflich arbeitet sie beim Landwirtschaftsamt in Stockach. Heute kommt eine Schulklasse aus Singen zu ihr auf den Hof zu Besuch. Die Stadtkinder sollen dank einer Förderung durch den Verein Lernort Bauernhof erfahren, wo ihre Lebensmittel herkommen. Es wird an diesem Tag einige Aha-Erlebnisse geben.

Wo sind die Kuhställe hin?

Das hängt damit zusammen, dass die Entfremdung zwischen Konsumenten und Lebensmittelproduzenten groß geworden zu sein scheint. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es in vielen Dörfern noch mitten im Ortskern landwirtschaftliche Betriebe mit Tierhaltung.

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Innerhalb der vergangenen 25 bis 30 Jahre sind vielerorts aber auch noch die letzten Kuh- und Schweineställe aus den Ortskernen verschwunden.

Das Salamibrot-Aha-Erlebnis

Wer heute sehen will, wo sein Essen herkommt, muss das schon wirklich gezielt wollen. „Man merkt, dass bei vielen Kindern das Bewusstsein für die Herkunft ihrer Nahrungsmittel nicht mehr da ist. Das ist dann oft ein Aha-Erlebnis, wenn sie beim Hofbesuch begreifen, dass die Salami auf ihrem Vesperbrot oder die Grillwurst zum Abschluss des Ausflugs von einem Tier stammt“, sagt Carina Herth-Seuffert, während die 22 Kinder aus der vierten Klasse der Hardtschule gerade im Stuhlkreis sitzen und sich Notizen zum bisher erlebten machen.

Dass der Bezug zur Herkunft der Nahrungsmittel bei vielen Kindern fehlt, bestätigt auch Manon Wollheim. Sie ist die Lehrerin der Klasse und froh darüber, dass es solche Angebote für Hofbesuche gibt.

Vom Klassenzimmer auf den Hof und zurück

„Es ist unglaublich wichtig, dass die Kinder hier einmal live sehen können, was wir im Unterricht besprechen“, betont sie. Für den Verein Lernort Bodensee ist genau das auch die Voraussetzung dafür, dass ein Hofbesuch finanziert wird: Das Thema Landwirtschaft muss im Unterricht an der Schule vor- und nachbereitet werden.

Das Rohmaterial für das Filzen von Bällen aus Wolle wird verteilt.
Das Rohmaterial für das Filzen von Bällen aus Wolle wird verteilt. | Bild: Dominique Hahn

Nachdem die Kids aus Singen Bekanntschaft mit den Schafen des Stofflerhof gemacht haben, geht es an die Arbeit mit der Wolle. Sie lernen, wie man diese weiterverarbeitet und was man daraus machen kann. Dabei dürfen sie selbst bunte Filzbälle aus der Wolle herstellen.

Die Tiere sind nicht nur zum Knuddeln da

Doch der Fokus liegt auf den Lebensmitteln: Welche Lebensmittel kommen vom Schaf? Aus einem großen Korb in der Mitte des Stuhlkreises müssen die Kinder anfangen zu sortieren. Manches klappt auf Anhieb richtig, bei anderen Lebensmitteln ist eine Erklärung durch die Fachfrau notwendig.

„Uns ist wichtig, dass wir kein Schaubetrieb sein wollen. Die Kinder sollen die reale Landwirtschaft erleben. Dazu gehört eben auch, dass die Tiere nicht nur zum Kuscheln gehalten werden, sondern zum Beispiel auch gemolken oder geschlachtet werden müssen, wenn man Milch oder Fleisch möchte“, erklärt Herth-Seuffert.

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Einige der Kinder, die an diesem Tag auf dem Stofflerhof zu Gast sind, haben noch nie zuvor einen Bauernhof besucht. „Ich war schon mal auf einem. Aber da war ich noch ganz klein“, erzählt Valerija. „Für mich waren die Tiere das Interessanteste und was man hier so erleben kann“, sagt ihre Mitschülerin Marie. Nikita ist fasziniert davon, was die Tiere alles so fressen, erzählt er.

Ortswechsel nach Mühlingen

Einer, der sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie Landwirte und Konsumenten wieder in eine engere Beziehung zueinander treten können, ist Andreas Deyer.

Andreas Deyer öffnet die Stalltüren auf seinem Hof gerne für interessierte Besucher.
Andreas Deyer öffnet die Stalltüren auf seinem Hof gerne für interessierte Besucher. | Bild: Dominique Hahn

„Schon allein durch das soziale Miteinander im Dorf gab es früher mehr Kontakt zwischen Konsumenten und Landwirten. Heute sind viele Landwirte ausgesiedelt und das hohe Arbeitspensum auf den Höfen sorgt dafür, dass man weniger im Vereinsleben vor Ort aktiv sein kann. Da fallen viele Überschneidungspunkte zu einem Landwirt eben weg“, sagt er.

Lernort Bauernhof hält er deshalb für ein gutes Programm. „Ich freue mich insgesamt, dass das Thema Ernährung an den Schulen wieder an Stellenwert gewinnt.“ Es sei wichtig, dass schon Kinder und Jugendliche lernen, wo Nahrungsmittel herkommen und was es braucht, um diese herzustellen. Das kann man auf seinem Betrieb mit rund 150 Milchkühen hautnah erleben.

Es kommen wieder mehr Nachfragen

Corona-bedingt waren die Besuchsmöglichkeiten auf Höfen in den vergangenen zwei Jahren zwar eingeschränkt, aber es nimmt wieder zu. „Man erreicht mit solchen Programmen aber eher die jüngeren Kinder, ungefähr bis zur fünften Klasse“, sagt Deyer. In den höheren Klassen gebe es weniger Zeit für solche Dinge.

Besonders erfreut zeigt sich Deyer, dass sich im Rahmen der jährlichen „Girls and Boys Day“ immer wieder junge Menschen finden, die Landwirtschaft im Rahmen eines Tagespraktikums kennenlernen wollen. „Dieses Jahr hatten wir vier Schüler auf dem Hof, die beim Eismachen geholfen haben“, berichtet Deyer.

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Währenddessen, laufen zwei Jungen im Alter zwischen 14 und 15 Jahren über den Hof. Es sind Waldorfschüler aus Zürich. „Die sind gerade für ein zweiwöchiges Praktikum hier, das ist an den Waldorfschulen Pflicht“, erklärt Deyer. Manchmal kommen auch Waldorfschüler aus Stuttgart oder Überlingen. Die Schulen kennen seinen Hof bereits und vermitteln immer wieder Praktikumsplätze.

Thema geht alle an. Denn essen muss jeder

Auch Architektur- und Informatikstudenten, die für ihr Studium ein fachfremdes Praktikum machen mussten, hatte Deyer schon auf dem Hof. Er freut sich über das Interesse. „Es ist wichtig, dass wir als Landwirte versuchen, den Leuten die Landwirtschaft näher zu bringen. Schließlich geht es dabei auch um ein gesellschaftliches Thema. Essen muss jeder“, sagt er.

Vier von rund 150 Milchkühen, die auf dem Hof von Andreas Deyer leben.
Vier von rund 150 Milchkühen, die auf dem Hof von Andreas Deyer leben. | Bild: Dominique Hahn

Im Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV) engagiert sich Deyer unter anderem dafür, dass die Ausbildung junger Landwirte novelliert wird. „Es gehört heute nicht nur zum Beruf des Landwirts, seine Arbeit auf dem Hof zu erledigen, sondern auch die Gesellschaft mitzunehmen“, betont er.

Ist die Trendwende in Sicht?

Durch sein Engagement für den Bereich Ausbildung bemerkt Andreas Deyer inzwischen aber auch eine Trendwende, die Hoffnung macht: Noch vor 15 Jahren hätten praktisch nur junge Menschen eine Ausbildung in der Landwirtschaft angefangen, die selbst auf einem Hof aufgewachsen seien. Das habe sich inzwischen geändert. „Das Interesse an einer Ausbildung in der Landwirtschaft ist allgemein gestiegen. Zusätzlich stellen wir fest, dass an den drei Berufsschulstandorten im Südbadischen Raum 50 bis 70 Prozent der Auszubildenden nicht von einem eigenen Hof kommen“, sagt Deyer erfreut.

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Zudem stellt auch er in den vergangenen Jahren fest, dass sich mehr Menschen damit beschäftigen, wo ihr Essen herkommt. „Als wir mit der Direktvermarktung angefangen haben, hatten wir vor allem ältere Kundschaft. Inzwischen kommen auch viele junge Familien“, berichtet er.

„Politische Prozesse sind etwas zäh“

Andreas Deyer zeigt sich optimistisch auf die Frage, ob noch Hoffnung besteht. Auch von Seiten der Politik spüre er das Interesse, dem Thema Landwirtschaft und Ernährung einen größeren Raum im Bildungsplan zu geben. „Aber politische Prozesse sind manchmal etwas zäh“, sagt er noch mit einem Grinsen.

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