Ralf Jeskulke kann auf eine langjährige Karriere beim Automobilzulieferer und Hersteller von Fahrzeugbediensystemen BCS, ehemals TRW, zurückblicken. Unter verschiedenen Eigentümern hat er es im Management an die Spitze gebracht. Er hat als verantwortlicher Geschäftsführer nach eigenen Aussagen den neuen Eigentümer, den chinesischen Luxshare-Konzern, für gut und zukunftsträchtig befunden.
Jetzt hat dieser neue Eigentümer bereits nach neun Monaten das Ende dieser Zusammenarbeit verkündet. Auf unsere Anfrage hat BCS-Pressesprecherin Mandy Schuster diese Zeilen geschickt: "Ich kann bestätigen, dass Herr Jeskulke seit letzter Woche Dienstag nicht mehr CEO von BCS und damit auch nicht mehr Geschäftsführer des Standorts in Radolfzell ist."

Auf Anfrage teilt Ralf Jeskulke dazu mit: "Der Eigentümer von BCS Automotive Interface Solutions und ich haben im gegenseitigem Einvernehmen entschieden, dass ich das Unternehmen als CEO und Geschäftsführer nach zehn erfolgreichen Jahren am 26. Februar verlassen habe. Desweiteren möchte ich keine Stellungnahme abgeben, da Vertraulichkeit vereinbart worden ist." Das Kürzel CEO steht für den englischsprachigen Begriff Chief Executive Officer und wird häufig in internationalen Unternehmen für den geschäftsführenden Vorstandsvorsitzenden verwendet.
Überraschung im Werk Radolfzell
Die Trennung von CEO Jeskulke kam für viele der über 800 Beschäftigten am Standort Radolfzell überraschend. Auch in der Pressemitteilung des Unternehmens wird auf die "gemeinsame Entscheidung zwischen dem chinesischen Eigentümer und Herrn Jeskulke" abgehoben. Weiter heiß es: "Stets das Beste für das Unternehmen stehe im Fokus." In einer Übergangsphase soll Lingling KK Yuan aus dem Luxshare-Konzern die Aufgaben des CEO bei BCS übernehmen. Bevor sie 2017 zu Luxshare stieß, war sie beim Computerhersteller Dell im Einkaufsmanagement tätig.
Was die Eigentümerin versprochen hat
Die Ansicht, was das Beste für das Unternehmen ist, scheint relativ und ist offenbar unter der chinesischen Eigentümerschaft einem schnellen Wechsel unterworfen. Rückblick: Zum ersten Tag der neuen Firmengeschichte am 11. Mai 2018 kam die Luxshare-Konzernchefin und neue Eigentümerin Laichun Wang (47) aus Hongkong nach Radolfzell. Der damalige Geschäftsführer Jeskulke kündigte seine Chefin vor den zahlreichen Mitarbeitern im Festzelt auf dem Besucherparkplatz mit ihrem englischen Vornamen "Grace" an: "Sie ist eine Inspiration für das, was möglich ist."
Laichun "Grace" Wang stellte sich bei der Betriebsfeier nicht als neue Chefin, sondern als "neuer Partner" vor. Sie sei ein bisschen aufgeregt "am Tag des Glücks für BCS". Der vielleicht entscheidende Impuls zum Kauf der TRW-Sparte Fahrzeugbediensysteme sei von Jeskulke ausgegangen, versicherte Wang damals: "Ralf, Sie haben mir Zuversicht in dieser Angelegenheit gegeben."
Was bedeutet eigenständig?
Diese Zuversicht war offensichtlich in Hongkong nicht auf Dauer ausgelegt. Deshalb eröffnen nun die anderen Ansagen Laichun Wangs bei ihrem Auftritt in Radolfzell neue Auslegungsmöglichkeiten. Die chinesische Eigentümerin gab damals so etwas wie ein Versprechen für den Automobilzulieferer BCS ab: "Sie sollen und dürfen eigenständig handeln", beschrieb Wang den Spielraum für ihr neues Tochterunternehmen. Dazu versicherte die Konzern-Chefin: "Ich und Luxshare werden BCS langfristig unterstützen."
Nachfolgerin kommt aus der Computerbranche
Was langfristig sein könnte, muss sich erst erweisen. Ralf Jeskulke ist nach neun Monaten eigenständiger Geschäftsführung seiner Aufgabe enthoben worden, seine – vorübergehende – Nachfolgerin KK Yuan kommt aus der Informationstechnik, der Luxshare-Konzern ist mit Produkten für die Computer- und Unterhaltungselektronik gewachsen. Nach Unternehmensangaben will KK Yuan wöchentlich zwischen den Standorten in China, USA und Radolfzell wechseln.
Hat BCS den Trend zum Touchscreen verpasst?
Zur Eintrübung der Beziehungen zwischen der chinesischen Konzernzentrale und dem BCS-Hauptsitz in Radolfzell dürften auch die Nachrichten im Herbst vergangenen Jahres beigetragen haben: Der Verlust eines Großauftrags des Autobauers Ford und in der Folge der Abbau von 200 Jobs. Die IG-Metall ließ damals verlauten: "Die Strategie der Unternehmensführung ist nicht aufgegangen", weil sie den Trend zu Touch-Screens im Automobilbereich verpasst habe.
Neue Aufträge für Regen-Licht-Sensoren
Im Januar dieses Jahres äußerte Cristina Pereira, Betriebsrätin beim Unternehmen und Mitglied der IG Metall, ihre Hoffnung, dass der Stellenabbau in Radolfzell nun gestoppt sei. Der Automobilzulieferer habe für 2019 gute Perspektiven, da er drei neue Aufträge erhalten habe, so die Betriebsrätin. Und zwar stelle BCS Radolfzell Regen-Licht-Sensoren für Renault, Audi und die PSA-Gruppe her. Aktuell hält sich die Arbeitnehmervertretung mit einer Bewertung der Lage nach dem Wechsel an der Spitze zurück. BCS-Betriebsratsvorsitzender Thomas Kummnik teilt mit: "Wir haben vereinbart, dass wir zu diesem sensiblen Thema vorerst nichts sagen."
Pressesprecherin Mandy Schuster kommuniziert für das Unternehmen Optimismus: "Trotz des Führungswechsels steht BCS hinter den gesetzten Unternehmenszielen, seinen Mitarbeitern, seinen Kunden und seinen Geschäftspartnern." BCS habe einen ambitionierten Plan für die Zukunft und die Vision, global führend im Bereich der Schnittstellenlösungen im Fahrzeuginnenraum zu werden.
Konzern und Stadt
- Zu Luxshare: Ralf Jeskulke hat im Mai 2018 diese Zahlen zum neuen Eigentümer genannt. Der Konzern habe einen Börsenwert zwischen 12 und 13 Milliarden Dollar, der Umsatz liege bei vier Millionen Dollar. ZF Friedrichshafen hatte den Verkauf des Geschäftsfelds Fahrzeugbediensysteme der Tochter ZF TRW mit Hauptsitz Radolfzell an das chinesische Unternehmen Luxshare im August 2017 bekanntgegeben. Weltweit gehörten 6000 Mitarbeiter zum Geschäftsfeld, in Radolfzell waren noch 1100 tätig, heute sind es hier über 800 Mitarbeiter.
- Die Stellungnahme der Stadt zum Wechsel: „BCS ist in Radolfzell und in der Region einer der wichtigsten Arbeitgeber. Der technologische Wandel stellt BCS vor große Herausforderungen. Wir sind uns sicher, dass das Unternehmen diese meistern und die Erfolgsgeschichte des Standorts in Radolfzell fortsetzen wird", schreibt OB Martin Staab. Er bedaure es, dass Ralf Jeskulke nicht mehr als Geschäftsführer von BCS tätig sei, "denn wir haben mit ihm sehr gut zusammengearbeitet." Die Bevölkerung habe bei der Nacht der Unternehmen im Rahmen des Stadtjubiläums einen spannenden Einblick in die Produktion erhalten. "Dieses Engagement war ein klares Bekenntnis zum Standort Radolfzell."