Es gleicht einer Milchmädchenrechnung auf dem Bau. Es kann nur das Geld ausgegeben werden, das da ist. Angesichts dieser Grundweisheit mutete es schon fast ein wenig paradox an, dass gerade die Radolfzeller Stadträte diese Faustregel im Rahmen ihrer Haushaltsberatung im Milchwerk beinahe gänzlich aus den Augen verloren haben.
Obwohl bereits im Vorfeld der Sitzung klar war, dass der Gürtel erheblich enger geschnallt werden müsse, angesichts von anstehenden Investitionen in 2020 von 16 Millionen Euro, legte das Gremium los. Und wie. Die Haushaltsberatung glich einem kleinen Wunschkonzert. Mit dem Ergebnis: Es gibt keines! Um 20.07 Uhr zog das Gremium die Reißleine, die Haushaltsberatung wurde abgebrochen. Einstimmig. Damit gehen die Stadträte zurück auf Anfang. Der Grund: Von der schwarzen Null, von der OB Martin Staab bei seiner Haushaltseinbringung Ende November noch gesprochen hatte, ist nicht mehr viel übrig geblieben. Was war passiert?

Unerwartet kam diese Nachricht nicht, dennoch traf sie den Radolfzeller Haushalt 2020 hart: Die Erhöhung der Kreisumlage um 2,5 Punkte pulverisierte die bisherige schwarze Null im Ergebnishaushalt. Rund eine Millionen Euro muss die Stadt laut Kämmererin Petra Ohmer mehr an den Landkreis zahlen, als bisher angenommen. Darüber wurden die Stadträte am Freitag informiert.
Mitunter dadurch rutschte auch das Ergebnis ins Minus. Aus einem ausgeglichenen Ergebnishaushalt wurde einer mit einem kalkulierten Minus von 1.375 Millionen Euro. Weitere Anträge aus den Reihen der Stadträte wie etwa der Bau einer barrierefreie Toilette auf dem Waldfriedhof (Antrag CDU), den der Leiter des Tiefbaus, Gerhard Schöpperle vorsichtig auf rund 30.000 Euro schätzte, oder eine 25.000 Euro teure Planungsrate für eine neue Einsegnungshalle in Böhringen (Antrag FDP) ließen das Minus immer weiter ansteigen.
19.19 Uhr: Die Stunde der Wahrheit
Durch eine ganze Anzahl an Änderungsanträgen wuchs das kalkulierte Minus im Ergebnishaushalt immer weiter an. Um 19.19 Uhr betrug es rund zwei Millionen Euro. Bis ins Jahr 2023 werde es laut Einschätzung von Heiko Förstner, Abteilungsleiter Finanzen und Steuer, auf 4,4 Millionen Euro anwachsen. Dazu eine Neuverschuldung von 20,9 Millionen Euro in 2020. Im Entwurf wurde mit einer Neuverschuldung von 16 Millionen Euro kalkuliert. „Die Neuverschuldung von 16 Millionen Euro bereitet mir bereits Bauchgrummeln“, betonte Kämmererin Ohmer. Wie sehr sich die Lage zuspitzte, machte das Abstimmungsverhalten von Oberbürgermeister Martin Staab deutlich: Er enthielt sich bei allen Änderungsanträgen. „Nicht weil ich den Charme dieser Vorschläge nicht anerkenne. Ich weiß nicht, wie wir das alles finanzieren sollen“, sagte er.
Steuererhöhungen als Lösung?
Am Ende sollten es Steuer- und Gebührenerhöhungen richten, den Haushalt, der in Schieflage geraten war, wieder gerade zu rücken. Den Stein ins Rollen brachte FGL-Fraktionssprecher Siegfried Lehmann, der sich als Erster aus der Deckung wagte: Er sprach sich dafür aus, die Grund- und Gewerbesteuer um jeweils zehn Punkte sowie die Vergnügungssteuer um zwei Punkte zu erhöhen. Dadurch ergebe sich seiner Einschätzung nach Mehreinnahmen von 500.000 Euro.
- FGL: „Das Zwei-Millionen-Euro-Minus werden die Erhöhungen allerdings nicht deckeln. Wir haben dann noch immer keinen genehmigungsfähigen Haushalt“, sagte Lehmann. Er erhoffe sich allerdings ein Jahr Luft und spielte darauf an, dass sich das Regierungspräsidium, angesichts der anstehenden Wahlen im kommenden Jahr vielleicht gnädig zeigen werde.
- CDU: Kritik gab es aus Reihen von den Christdemokraten: „Wir wollen die Gewerbesteuer nicht erhöhen“, machte Fraktionssprecher Bernhard Diehl deutlich. Er war es auch, der den Antrag stellte, in einer Sondersitzung erneut zu beraten.
- Freie Wähler: Auch die Freien Wähler zeigten sich erzürnt: „Wir sind vehement gegen eine Grundsteuererhöhung. Sie trifft alle, Vermieter und vor allem auch Mieter“, sagte Fraktionssprecher Dietmar Baumgartner.
- FDP: Laut Jürgen Keck, Fraktionssprecher der FDP, sei eine Grundsteuererhöhung ohnehin nicht das Maß aller Dinge. „Wir müssen endlich mit der Vermarktung des Gewerbegebietes Blurado beginnen“, forderte er stattdessen. So könne die Stadt mehr Gewerbesteuereinnahen generieren.
- SPD: Die Sozialdemokraten wollen sich indes nicht in die Karten schauen lassen. Norbert Lumbe, Fraktionssprecher der SPD, deutete aber an, dass die Steuer- und Gebührenerhöhung nicht unantastbar seien. „Am Finanzfirmament tauchen Probleme auf, die dieser Haushalt nicht abdecken kann.“
Eine Sondersitzung soll‘s richten
Als letzten Ausweg einigten sich die Stadträte darauf, dass der Haushalt final in einer Sondersitzung im Januar 2020 beraten werden soll. Von OB Staab gab es für diesen einstimmigen Beschluss ein Lob: Er bezeichnete die Einigung auf eine Vertagung als großen Schritt. „Aber wir stehen weiterhin vor einer großen Aufgabe.“
Staab rechnet erst im März mit einem neuen Haushalt
Einen genauen Termin für die Sondersitzung konnte er am Tag Eins nach der abgebrochenen Haushaltssitzung nicht benennen. Allerding betonte Staab, dass das Fehlen eines Beschlusses Konsequenzen für die Stadtverwaltung haben werde. „Wir können keine neuen Projekte anfangen, neue Stellen besetzen oder anstehende Zuschüsse auszahlen.“ Dafür bedarf es grünes Licht Seitens des Regierungspräsidiums. Bis dahin greife der alte Stellenplan und der Haushaltsbeschluss aus dem Vorjahr. „Nach Gemeindeordnung müssen wir zum Jahresende einen neuen Haushalt beschließen, das werden wir definitiv nicht mehr schaffen“, sagte Staab. Er hoffe auf eine zeitnahe Einigung im Gremium, auch damit die Verwaltung ihren Geschäften uneingeschränkt nach kommen könne. Mit einer Genehmigung des RPs rechne Staab nicht vor Mitte/Ende März.

Für die erneute Beratung hege Staab einen einfachen Wunsch: „Wieder eine schwarze Null im Ergebnishaushalt und eine Entschärfung der schwierigen Folgejahre.“ Dies bringe auch eine Reduzierung des Investitionshaushaltes für 2021 mit rund 28 Millionen Euro mit sich. „Den müssen wir halbieren, sonst ist er nicht leistbar.“ Und wünschen darf angesichts des Weihnachtsfestes erlaubt sein.
Befürworter der Seetorquerung können Aus knapp abwenden
In der Haushaltsberatung des Gemeinderates folgte Antrag auf Antrag. Hier ein kleiner Auszug:
- Die Seetorquerug: OB Martin Staab hatte es im Vorfeld bereits vermutet und die Gegner der Seetorquerung machten in der Haushaltsberatung ernst: Siegfried Lehmann (FGL) stellte den Antrag das Aus für das Großprojekt zu besiegeln und einen Neustart zu forcieren. Einher ging dabei auch die Streichung der 450.000 Euro für das Projekt Stadt-Bahn-See im aktuellen Haushalt. Er rechne mit weiteren acht Millionen Euro, die der zentrale Seezugang bis 2024 kosten werde. „Jetzt können wir noch sagen, dass wir den Deckel zu machen, weil wir es uns nicht leisten können“, sagte Lehmann. Bernhard Diehl (CDU), ein bekennender Befürworter des Vorhabens entgegnete: „Wenn wir das Geld jetzt herausnehmen, stoppen wir das Thema.“ Der FGL-Antrag wurde mit einer knappen Mehrheit von einer Stimme (zehn Ja- und elf Nein-Stimmen) abgelehnt.
- Der Kunstrasenplatz: Was 2018 die Diskussion um die Toilettenanlage im Milchwerk war, dazu entwickelte sich 2019 die Debatte um den Kunstrasenplatz auf der Mettnau. Das Vorhaben, das rund 1,6 Millionen Euro kosten soll, steht zwar erst im Jahr 2021, sollte aber nach Vorstellung von Stadtrat Manfred Brunner (FDP) nach 2020 vorgezogen werden. „Wir eiern hier schon viel zu lange herum“, sagte er. Gegenwind gab es von Stadträtin Susann Göhler-Krekosch (SPD): Sie gehe davon aus, dass der Kunstrasenplatz ein Fass ohne Boden werde. „Ein echter Rasen ist wesentlich günstiger.“ Ein ökologisches Gleichgewicht wünscht sich Martina Gleich. „Alle stimmen dafür einen Wohnmobilstellplatz zu bauen, wollen den Kunstrasenplatz aber streichen“, so Gleich.
- Die Personalkosten: Zu viel Personal, zu hohe Kosten. Siegfried Lehmann (FGL) kritisierte den städtischen Stellenplan harsch. Er führte aus, dass die Stadtverwaltung über 27 Stellen mehr verfüge, als vergleichbare Städte. Das habe ein Gutachten der Gemeindeprüfanstalt ergeben. „Effizient und kostengünstig wird hier nicht gearbeitet“, sagte er. Dietmar Baumgartner (FW) wurde konkreter. Er forderte die Stadtverwaltung auf, die Personalkosten im Rathaus um eine Millionen Euro zu drücken. Helmut Villinger (CDU) pflichtete ihm bei: „Der Landesdurchschnitt muss hier unser Maßstab sein.“
- Die Realschule: Nach der Erweiterung steht die Sanierung der Thielcke-Realschule an. Zum ersten Mal nannte OB Staab Zahlen für das gesamt Vorhaben und sprach von 13 Millionen Euro. Allerdings betonte der Rathauschef auch, dass er sich nicht vom Fluch der ersten Zahl wolle einholen lassen.
- Die Güttinger Gemeindescheuer: Martin Aichem (Freie Wähler) würde die Sanierung der Gemeindescheuer in Güttingen lieber heute als morgen umgesetzt sehen. Einher geht ein Vorziehen des Projektes in 2020. „Das Vorhaben wird den Güttingern seit Jahren in Aussicht gestellt“, betonte er.
- Das Stadtmuseum: Reinhard Rabanser kritisierte, dass das Stadtmuseum erst 2021 neue Arbeitsräume bekommen soll: „Wir haben 2021 die Heimattage und können uns Schmutz und Lärm im Museum nicht leisten.“ Sein Vorschlag: Das 60.000-Euro-Vorhaben von 2021 ein Jahr nach vorne zu legen.