Die Diagnose Diabetes bedeutet immer eine Umstellung im Leben: Typ-1-Diabetiker müssen beispielsweise fortan Insulin spritzen. Dieser Typus tritt oft im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter auf. "In der Pubertät spielen sich Szenarien ab – Hut ab, wer ein Kind mit Diabetes managt", spricht sich Birgit Hansel beim Empfang von 18 Kindern anerkennend über die Leistung der betroffenen Eltern aus.
Für Eltern ist die Krankheit eine komplette Umstellung des Alltags
Die Organisatorin der Diabetikerfreizeit im Markelfinger Naturfreundehaus kennt die Sorgen und Nöte der Eltern aus ihrer Erfahrung mit Selbsthilfegruppen. Die Freizeit der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Sport verfolgt gleich mehrere Ziele: Mit viel Spaß sollen Kinder mehr über ihre Krankheit lernen und in einer betreuten Umgebung neue Erfahrung sammeln, andere Kinder treffen und sich mit ihnen austauschen.
Für die Eltern gibt es einen weiteren Effekt: Sie haben Urlaub vom Diabetes, der das Familienleben von jetzt auf nachher radikal veränderte. Im Gespräch mit dem SÜDKURIER berichten zwei Elternpaare über den tiefen Einschnitt, der die Diagnose mit sich brachte.
Kinder erleben Neues und lernen, ihr Leben mit Diabetes besser zu regeln
Im Naturfreundehaus werden Kinder mit Diabetes spielerisch in den Umgang mit ihrer Krankheit eingeführt. Ganz nebenbei lernen die Kinder für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. "Diabetiker müssen sich diszipliniert verhalten. Aber er darf nicht Herr über mein Leben werden", empfiehlt Birgit Hansel. Die Kinder besuchen das Radolfzeller Kletterwerk und den Wildpark, gehen via GPS auf einen Kulturtrip nach Konstanz, machen einen Fackelumzug, eine Disko und gleich am ersten Nachmittag eine Spaßolympiade.
Vor den Aktivitäten wird der Blutzuckergehalt eines jeden Kindes gemessen. Betreuer beobachten die Kinder und greifen bei Auffälligkeiten ein. Rund um die Uhr kümmern sich Pädagogen, eine Ärztin und Diabetes-Berater um die Kinder. In der Nacht misst eine Wache alle zwei Stunden den Blutzuckergehalt der Kinder.
Eltern haben einen klaren Auftrag, wie sie damit umgehen sollen
Mit der Diagnose Typ-1-Diabetes gehen große Veränderungen für die Eltern der betroffenen Kinder einher. Romy und Matthias Hokemaier aus Calw nahmen bei ihrer Tochter die Symptome einer Diabetes wahr. Der Kinderarzt bestätigte die Vermutung und überwies das Kind für zwei Wochen in ein Krankenhaus. Über eine Infusion wurde die Tochter mit Insulin behandelt.
Während des Aufenthalts im Krankenhaus wurden die Eltern intensiv geschult. "Als Eltern bekommt man einen klaren Auftrag, was zu tun ist", erläutert der Vater: "Das heißt regelmäßig messen, nachts aufstehen und immer auf den Blutzuckerspiegel reagieren."
Auch die Erzieher im Kindergarten mussten geschult werden", erinnert sich Romy Hokenmaier. Die Pädagogen mussten zustimmen, dass die Tochter weiter in den Kindergarten gehen durfte.
Regelmäßige Kontrollen, auch nachts, sind wichtig
Man müsse permanent mit einem Teil seiner Gedanken bei der Diabetes sein, berichtet der Vater: Schlechte Werte des Blutzuckergehalts könnten langfristig zu Spätfolgen oder Nebenwirkung führen. Es gebe verschiedene Ursachen, weshalb der Blutzuckerwert plötzlich in die Höhe schießen kann.
Das Positive im Negativen sei, dass man als Eltern einen klaren Auftrag bekomme. Es gebe schwere seelische Erkrankungen, bei dem Eltern völlig machtlos seien, so Matthias Hokenmaier: "Genau diese Machtlosigkeit haben wir nicht. Man kann immer reagieren.
Desto näher man dran ist am Kind und die Werte, desto besser kann man den Blutzuckerspiegel optimieren."
Der Aufwand ist dennoch enorm groß
Was vielen zunächst nicht bewusst ist: Welcher Aufwand und was für eine Belastung die Diabetes der Kinder für die Eltern darstellt. In der Nacht messen sie alle zwei Stunden die Blutwerte des Kindes. "Seit Februar haben wir zum Glück ein Gerät, das selber Alarm gibt, wenn die Zuckerwerte zu tief oder zu hoch liegen", sagt Annabelle Houdret sichtlich erfreut.
Zuerst hatte sich die Mutter aus Bonn alle vier Stunden bei der nächtlichen Kontrolle mit ihrem Mann abgewechselt. Da keiner so richtig einen Schlaf fand, wechselten sie sich fortan bei der Nachtwache ab. Die Eltern kennen den Speiseplan und informieren ihn, wie viel Insulin er dafür spritzen muss.
Der Umgang mit der Krankheit wird zum gemeinsamen Projekt
Normalerweise haben Eltern und Kinder jeweils ihre eigenen Probleme. Doch die Typ-1-Diabetes ist ein gemeinsames Problem. "Dann versucht man sich gegenseitig zu helfen, zu ermutigen und aufzumuntern.", so Ehemann Salah Quossai: "Die Beziehung wird auf eine Probe gestellt. In der ersten Zeit redet man über nichts anderes. Doch das Ziel ist für alle gleich: Wir wollen das Gute für das Kind.
Und deshalb diskutiert man, wie man das Ziel erreicht. Es wird zu einem Projekt", sagt der Vater. Leider sei es ein Projekt, dass nicht enden würde. "Es ist wie ein drittes Kind", so Quossai über die Diagnose: "Ich habe zwei Kinder und Diabetes."
Zur Krankheit
Die Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmun-Erkrankung bei der die Betroffenen kaum oder kein eigenes Insulin produzieren. Die Ursache ist noch ungeklärt. Bei diesem Typus richtet sich das Immunsystem gegen die Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse und zerstört diese. Das Hormon leitet für gewöhnlich die über die Nahrung aufgenommene Glukose über das Blut zu den Zellen, die sie zur Energiegewinnung benötigen. Bei einem Mangel steigt der Zuckergehalt im Blut an und führt zu einer massiven Stoffwechselstörung.