Sie wollen eine bessere Situation für werdende sowie frischgebackene Mütter im Landkreis Konstanz und vor allem in Radolfzell schaffen: die neugegründete Initiative für eine familienfreundliche Geburtshilfe. Zwei Jahre nach der Schließung der Geburtshilfe am Radolfzeller Krankenhaus haben es sich die Mitglieder zum Ziel gesetzt, öffentlich über die brisante Situation für werdende Mütter zu diskutieren und Verbesserungen anzustoßen, wie die Sprecherinnen der Initiative, Nina Breimaier, Martina Gleich, Kirsten Mahlke, Helga Häusler und Madelaine Boege im Gespräch mit dem SÜDKURIER betonen. "Wir wollen auf den Punkt bringen, wo wir aktuell stehen", sagt Breimaier.

Brisante Situation der Geburtshilfen

Denn um die Geburtshilfe stehe es im Landkreis nicht unbedingt zum Besten, ergänzt sie. Im Gegenteil: Mit der Schließung der Geburtshilfe in Radolfzell im März 2017 habe sich die Situation für werdende Mütter im Landkreis verschärft. Zu wenig Bettenkapazitäten, zu wenig Personal und zu wenig Betreuung, mahnen die Sprecherinnen an. Und dennoch sagen die Sprecherinnen: Kinderkriegen sei im Landkreis nach wie vor kein Horrorszenario.

Aus hinterlässt noch immer Nachwehen

"Das Aus der Geburtshilfe hat Nachwehen hinterlassen", sagt auch Martina Gleich. Den Mitgliedern der Initiative geht es darum, eine qualitativ hochwertige Versorgung für werdende Mütter zu garantieren. Mit dem erhobenen Zeigefinger, wolle man nicht agieren, so Gleich weiter. Vielmehr wolle man gemeinsam mit den Verantwortlichen des Gesundheitsverbundes des Landkreises zusammenarbeiten – zum Wohle aller Eltern und Kinder. Obgleich auch ein wenig Kritik in ihren Worten mitschwingt. "Die Situation, wie sie heute ist, ist von der Politik im Landkreis hausgemacht", sagt etwa Helga Häusler. Sie selbst ist freiberufliche Hebamme und weiß um die aktuelle Situation ihrer Kolleginnen. So gebe es derzeit lediglich zwei Hebammen im gesamten Landkreis, die Hausgeburten anbieten. "Ich beobachte eine hohe Berufsflucht", sagt sie. Sie fordert deshalb die Entscheidungsträger zum Handeln auf. "Ich kann nur ein Drittel der Anfragen annehmen, und weiß aber gleichzeitig, dass die abgelehnten Eltern niemand anders finden", so Häusler weiter.

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Dass man jetzt an die Öffentlichkeit gehe, um die Ziele der Initiative vorzustellen, sei bewusst, betont Breimaier. Nicht nur weil sich die Schließung der Radolfzeller Geburtshilfe in 2019 zum zweiten Mal jährt, auch weil die Mitglieder der Initiative in naher Zukunft unterschiedlichste Projekte und Veranstaltungen geplant haben. Dafür arbeite man auch eng mit Dozentinnen der Universität Konstanz zusammen, betont Breimaier. Eine von ihnen ist Kirsten Mahlke. Im Rahmen eines Uni-Projektes will sie herausfinden, wohin die werdenden Mütter nach der Schließung der Geburtshilfe in Radolfzell abwandern und ob genügend Kapazitäten in den umliegenden Krankenhäusern vorhanden sind. Dafür werde aktuell eine Online-Umfrage vorbereitet, wie Mahlke erklärt, und solle noch in diesem Sommer gestartet werden. "Mit der Umfrage hätten wir wissenschaftliche Werte und können dadurch bei Bedarf Forderungen an die Entscheidungsträger stellen", so Mahlke.

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Weiter geht es den Sprecherinnen auch darum mit Eltern in Kontakt zu treten und sich auszutauschen. Dafür finden einmal im Monat regelmäßige offene Treffen statt. Zum ersten Mal öffentlich auftreten wollen die Mitglieder am Samstag, 16. März. Dann soll es vormittags einen Informationsstand am Marktplatz geben. Am Sonntag, 5. Mai, seit 1991 der internationale Hebammentag, ist ein Familienpicknick geplant mit Möglichkeiten zum Austausch über die Situation der Geburtshilfe. Am 24. November soll es voraussichtlich eine Podiumsdiskussion geben. Im Rahmen der Veranstaltung sollen auch die Ergebnisse der Umfrage präsentiert werden. "Uns ist klar, dass man nicht einfach wieder eine Geburtshilfe in Radolfzell eröffnen kann. Wir wollen aber dazu beitragen, dass ein Umfeld entsteht, von der Betreuung bis zur Geburt, in dem sich Eltern und die Kinder bestens betreut fühlen", fasst Martina Gleich zusammen.

Weitere Inforamtionen:http://www.facebook.com/geburtshilferado

Zwei Jahre nach dem Ende der Geburtshilfe

  • Mehr Geburten in Singen: Laut Andrea Jagode, Pressesprecherin des Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN), hat sich die Situation nach der Schließung der Geburtshilfe am Radolfzeller Krankenhaus eingespielt. Laut Jagode sei die Mehrheit der werdenden Mütter ins Krankenhaus nach Singen abgewandert. "Natürlich bildet sich dies nicht eins zu eins ab, aber der Großteil geht jetzt nach Singen", sagt sie. Mütter, die hingegen eher kleinere Häuser bevorzugen, gehen indes nach Überlingen, so Jagode weiter. Sie betont aber auch, dass nicht alle künftigen Radolfzeller Kinder im Gesundheitverbund Landkreis Konstanz aufschlagen. In Singen kamen 2018 1649 Kinder zur Welt, davon waren 112 Zwillings- beziehungsweise sechs Drillingsgeburten.
  • Das Ende in Radolfzell: Vor zwei Jahren musste die Geburtshilfe im Radolfzeller Krankenhaus schließen. Der Grund: Der Kostendruck durch gestiegene Haftpflichtversicherungen für die drei Radolfzeler Belegärzte und ihr Team wurden zu hoch. Politisch gab es viele Bemühungen, das Ende abzuwehren, doch letztendlich scheiterten alle Anstrengungen. Nach Angaben von Nina Breimaier, Sprecherin der Initiative für eine familienfreundliche Geburtshilfe, seien damals über 11 000 Unterschriften für den Erhalt der Geburtsstation in Radolfzell gesammelt worden.
  • Die Zahlen: 2016 kamen im Radolfzeller Krankenhaus 527 Kinder zur Welt. Es war das letzte Jahr, in dem werdende Mütter ihre Kinder ganzjährig in Radolfzell gebären konnten. Im März 2017 musste die Radolfzeller Geburtshilfe schließen. Im Vergleich dazu nennt Andrea Jagode 2016 1290 Geburten im Singener und 833 Geburten im Konstanzer Krankenhaus. Insgesamt erblickten 2016 2650 Kinder in den Häusern des GLKN das Licht der Welt.
  • Der GLKN stockt auf: Nach Angaben von GLKN-Pressesprecherin Andrea Jagode habe der Gesundheitsverbund seit der Schließung personell und infrastrukturell aufgestockt. So sei in Singen ein vierter Kreißsaal eröffnet worden. Auch, weil die Geburtstation in Radolfzell nicht mehr tragbar erschien. Um auch personell auf die steigende Anzahl an Geburten im Singener Krankehaus vorbereitet zu sein, wurde mehr Personal angestellt, wie Jagode betont. "100 Geburten pro Hebamme, dieser Schlüssel wird derzeit im Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz realisiert", sagt Andrea Jagode weiter.
  • Neue leitende Hebamme: Mit Bärbel Weinert (53) hat das Klinikum Singen seit Jahresbeginn eine neue Leitende Hebamme. Weinert, die aus Nordrhein-Westfalen stammt und an der Universitätsklinik Kiel ihre Ausbildung zur Hebamme absolvierte, verbrachte die längste Zeit ihrer Berufstätigkeit, nämlich von 1994 bis November 2018 an der Humboldt-Universität, später Charité in Berlin. Dort finden jährlich an zwei Standorten rund 5000 Geburten in sechs Kreißsälen statt, rund 3700 Geburten waren es an Weinerts Standort. (mgu)