Das Geschehen in Kürze
- Während einer Ski-Ausfahrt kommt es am 6. Februar 1949 zum Busunglück bei Döggingen
- 22 Menschen sterben bei dem Unfall, die Überlebenden sind ihr Leben lang geprägt
- Ein Gedenkstein soll die Erinnerung auch heute noch wach halten
Es muss ein Koloss von einem Bus gewesen sein, der sich mühsam um die Häuser der Altstadt in Radolfzell zwängte. So schildern Zeitzeugen die Fahrt des Unglücksbus. Es war der Postbus mit 60 Sitzplätzen, der die Höri-Linie bediente. Die Post stellte ihn auch für Sonderfahrten ab. Wie an diesem Sonntag, den 6. Februar 1949.
Eine Ski-Ausfahrt in den Tod
Manche wollten an den Schwarzwald-Ski-Meisterschaften teilnehmen, andere einen Tag im Schnee auf dem Feldberg genießen. Mitglieder der Skihütten-Genossenschaft und des Skiclubs Radolfzell meldeten sich an. Es wurde eine Fahrt in den Tod, dieser Tag und dieser Bus haben sich tief in das Gedächtnis der Stadt Radolfzell eingegraben.

„Hedi“ Hedwig Uhl (86) kann sich gut an den Postbus erinnern. Sie hat nach dem Krieg im Feinkostgeschäft Gutmann in der Bahnhofstraße in Radolfzell gelernt. Wenn der Postbus oben von der Obertorstraße in die Bahnhofstraße einbog, war das ein Ereignis: „Da musste man schauen, wie der Fahrer um die Ecke kommt mit diesem Riesenbus.“ Damals hieß Hedi Uhl noch Dietrich. Dass der Bus mal Teil ihrer Familiengeschichte werden sollte, ahnte sie nicht. Dass der Bus aber großes Leid über die Stadt Radolfzell brachte, erfuhr Hedi Uhl noch am selben Tag des Unglücks: „Es kam im Radio.“
Es kommt zum Unglück, weil die Bremsen versagen
Die Bremsen des „riesigen Dreiachsers“, wie es in den Presseberichten nach dem Unglück hieß, versagten an diesem Sonntagmorgen hinter Döggingen auf der abschüssigen Strecke der Reichsstraße 31. Vor der Posthausbrücke durchbrach der Bus das Geländer und stürzte den acht Meter hohen Steilhang an der Gauchach hinab und bohrte sich mit großer Wucht in die gegenüberliegende Böschung, so der damalige Artikel im SÜDKURIER.
Von 65 Insassen, die sich auf einen schönen Skitag auf dem Feldberg freuten, waren 17 sofort tot, fünf starben auf dem Transport oder im Krankenhaus. Unter den Toten waren 18 aus Radolfzell und vier aus Singen. Keiner der Buspassagiere blieb unverletzt, sie wurden verteilt auf die Krankenhäuser Donaueschingen, Löffingen, Singen und Radolfzell.

Horst Knobelspies, damals ein Knirps mit zehn Jahren, wäre fast dabei gewesen. Aber er musste seinen Platz für einen Erwachsenen abgeben. Im Sporthaus Kratt, das seine Eltern führten, lag die Anmeldeliste für die Sonderfahrt aus: „Die Plätze waren begehrt, die Fahrt war ausverkauft“, erinnert sich Horst Knobelspies, der heute in Texas in den USA lebt. Zu denen, die einen Platz bekamen, zählte sein Freund Heinz Bartak (79). Er hat die Ereignisse von damals mit vielen Einzelheiten abgespeichert. Nach der Abfahrt um sechs Uhr in Radolfzell habe man kurz nach sieben Uhr am letzten Haus in Döggingen angehalten: „Da ist die ganze Busbesatzung ausgetreten.“
„Dann gab es einen großen Krach, der Bus war auf den Hang geprallt“
Kaum sei die Fahrt fortgesetzt worden, habe er bemerkt, wie der Bus an Bäumen gestreift sei: „Dann gab es einen großen Krach, der Bus war auf den Hang geprallt.“ Der neunjährige Heinz hatte mit seiner Mutter Trudel auf der „allerletzten Sitzbank“ Platz genommen. „Beim Aufprall sind die Sitze abgerissen und ich bin vielleicht fünf Meter in Fahrtrichtung geflogen und war dann in einer stabilen Lage eingeklemmt.“ Zuerst setzte Stille ein. „Dann hörte ich das Gestöhne und Gejammer der Überlebenden“. Er sei als einer der letzten aus dem Bus geborgen worden: „Ich wurde auf eine Matratze gelegt und aus dem Fenster gereicht.“

Trudel und Heinz Bartak wurden in das Krankenhaus Donaueschingen gebracht. Die Diagnosen waren niederschmetternd. „Meine Mutter hatte einen Schädelbasisbruch, sie lag vier Wochen im Koma.“ Deshalb sei sie wahrscheinlich in einem der ersten Berichte als Tote aufgeführt worden. Trudel Bartak ist 87 Jahre alt geworden, aber die Folgen des Unfalls hätten sie zeitlebens begleitet. „Sie sah Doppelbilder und litt unter einem Rauschen im Kopf.“ Bei Heinz Bartak stellten die Ärzte einen gespaltenen Brustwirbel fest: „Ich bekam vom Arzt die Prognose, dass ich querschnittsgelähmt bleiben werde.“
Der Arzt hatte sich getäuscht. Nach vier Wochen im Gipsbett hörte Heinz Bartak draußen vor dem Fenster Narrenmusik. „Ich bin einfach aufgestanden und konnte selbstständig stehen und rausschauen.“ Nach vier weiteren Wochen im Gipskorsett wurde er entlassen. Zur Krankengymnastik musste er weiter mit dem Zug von Radolfzell nach Donaueschingen fahren. „Auf dem Weg vom Bahnhof zum Krankenhaus sah ich dann immer noch das Buswrack stehen, es war auf dem Posthof abgestellt.“
Das Schicksal der Familie Uhl
Ludwig Uhl, heute 74, war damals mit vier Jahren der jüngste im Bus. Er durfte mit, weil sein Vater Alfred Uhl als Postinspektor die Sonderfahrt organisiert hatte. Mit im Bus saß auch seine Mutter Frieda Uhl. Erst sei er am Fenster gesessen, dann habe er unbedingt zu seinem Vater auf den Klappsitz gewollt. Ludwig Uhl bemerkt, dass er vom Unfall nur „Einzelbilder“ im Gedächtnis habe: „Der Bus stand halb im Bach und meiner Erinnerung nach fast senkrecht aufgerichtet.“
Der Busfahrer sei mit blutüberströmten Gesicht auf der Kühlerhaube gesessen. Wie sein Vater sei er mit einem gebrochenen Fuß ins Krankenhaus Donaueschingen eingeliefert worden: „Ich habe so lange in der Kinderabteilung randaliert, bis sie mich zu meinem Vater gelegt haben.“ Bett an Bett lagen sie im Streckverband, wenn einer sich rührte, quietschten die Gewichte. „Es war fürchterlich, die ganze Zeit nur auf dem Rücken zu liegen.“ Wann er erfahren habe, dass seine Mutter Frieda bei dem Unglück ums Leben kam, kann Ludwig Uhl nicht mehr sagen.
Die Überlebenden des Busunglücks reden kaum über den Unfall
Später habe man darüber kaum geredet: „Mein Vater hat sich nicht so viel anmerken lassen, auch um mich zu schützen“, glaubt Ludwig Uhl. Noch schlimmer habe das Schicksal seinen Vetter Michael getroffen: „Er hat beide Eltern bei diesem Unfall verloren.“

Hedwig Dietrich hat 1956 Hans Uhl geheiratet, den älteren Bruder von Ludwig Uhl. Hans Uhl kam 1949 aus der Kriegsgefangenschaft heim und erfuhr erst da, dass seine Mutter gestorben war und er einen kleinen Bruder hat. Es sei eine schlimme Nachricht für ihren Mann gewesen: „Er hat sehr an seiner Mutter gehängt.“ Deshalb habe er auch manchmal mit dem Schicksal gehadert.
„Er hat immer gesagt, wäre ich da gewesen, wäre ich im Bus mitgefahren“, berichtet Hedi Uhl über ihren vor zehn Jahren verstorbenen Mann Hans. Er sei ein leidenschaftlicher Skifahrer gewesen und sei es bis ins hohe Alter geblieben. Auch sein „kleiner“ Bruder Ludwig fährt heute mit 74 Jahren immer noch gerne Ski und das gerne zügig. Der Schicksalstag 6. Februar 1949 habe das nicht geändert: „Das war ein Busunfall, das hatte nichts mit Skifahren zu tun.“
Aus den Berichten
In den Zeitungsberichten zum Busunglück am 6. Februar 1949 gab es unterschiedliche Angaben. Anfangs war von 24 Toten die Rede, diese Zahl ist später auf 22 korrigiert worden.
- Die Namen der Toten – aus Radolfzell: Kurt Uhl und seine Frau Erika Uhl, Frieda Uhl, Maria Schroff, Alfred Waldraff, Josef Längle, Elisabeth Längle, Kurt Vogelbacher, Hans Renz, Marlis Renz, Gustaf Keller, Adalbert Thaler, Margarethe Geschwinder, Pia Geschwinder, Paul Kunze, Else Kunze, Elfriede Blesch (Tochter des früheren Bügermeisters Otto Blesch), Richard Ober; – aus Singen: Emma Sprißler, Richard Rüffert, August Hepp, Anna Atzenhofer (Überlingen am Ried).
- Die Unfallursache sollen eingefrorene Bremsen gewesen sein. Ein festgefrorenes Blatt habe zudem zum Versagen des Luftdruckreglers geführt. Die Motorbremse habe man nicht einsetzen können, weil die Fahrerkabine überfüllt gewesen sei. Zudem soll die Handbremse nicht funktionsfähig gewesen sein.
- Einen Gedenkstein stellte die Stadt Radolfzell ein Jahr nach dem Unglück am Unfallort auf. Zu dieser Feier kam damals auch der Staatspräsident von Baden Leo Wohleb. Der Gedenkstein ist derzeit abgebaut, weil die Posthausbrücke erneuert wird, er soll aber wieder aufgebaut werden. Auch für den Skiclub Radolfzell ist der Ort Teil der Vereinsgeschichte.