Ferdinand Harich, Holger Niederberger und Nico Talenta

Das Geschehen in Kürze

Das Unglück von 1992

Die Wandertour eines Fichtelgebirgsvereins aus dem fränkischen Hof wurde am Sonntag, 6. September 1992, zu einer Fahrt in den Tod. Der tragische Unfall ereignete sich an der Autobahnabfahrt Donaueschingen/Bad Dürrheim.

„Die altmodische Herren-Armbanduhr mit geknüpftem Band blieb um 11.56 Uhr stehen. Fassungslos hebt sie der fränkische Tourist auf, Mitglied einer Reise- und Wandergruppe aus Hof, die eigentlich das Wiesental auf Schusters Rappen erkunden wollte. Eigentlich. Denn diese Reise in den Schwarzwald und nach Süddeutschland wird sich vermutlich ebenso tief und ebenso negativ in sein Gedächtnis eingraben, wie der Weltkrieg, den er miterlebt hat.“

Mit dieser Szene beginnt der Bericht auf der Seite „Weltspiegel“ des SÜDKURIER am 7. September 1992. Einen Tag nach nach dem Busunglück auf der A864. 21 Menschen starben, viele weiter wurden verletzt.

Ein Leichenwagen steht neben dem umgestürzten Bus. 21 Menschen kamen ums Leben, mehr als 30 wurden verletzt.
Ein Leichenwagen steht neben dem umgestürzten Bus. 21 Menschen kamen ums Leben, mehr als 30 wurden verletzt. | Bild: dpa

Über 150 Helfer von Polizei, Feuerwehr und Rotem Kreuz waren an der Rettungsaktion beteiligt. Sechs Hubschrauber waren beim Transport der Unfallopfer im Einsatz. „Mein erster Eindruck war fürchterlich. So etwas habe ich in 30 Jahren noch nicht erlebt“, berichtete einer der damalige Feuerwehrkommandant.

Dank der 50 Sanitäter und 25 Ärzte, die die Verwundeten versorgten, konnten die Opfer innerhalb einer Stunde in umliegende Kliniken gebracht werden. Nach der Rettung begann eine grauenvolle Arbeit für die Kripobeamten: Sie mussten die teilweise verstümmelten Leichen identifizieren.

Wie kam es zu dem Unglück?

1992 war es neben dem Unglück bei Donaueschingen zu einer ganzen Reihe von schweren Busunfällen gekommen, bei denen über 50 Urlauber den Tod fanden. In fast allen Fällen, so vermuteten die Ermittler, saßen völlig übermüdete Fahrer oder unerfahrene Aushilfskräfte hinter dem Steuer, die zulässige Lenkzeit wurde teilweise um viele Stunden überschritten.

Auch Gerhard Vogtmann, der Chef des gleichnamigen Reisebusunternehmens, war hinter dem Lenkrad bei überhöhter Geschwindigkeit eingenickt. Er kam von der Fahrbahn ab, kollidierte mit einem entgegenkommenden Auto und kippte schlussendlich auf die Leitplanke. Vor dem Unfall fuhr er ohne Erholungspause fast 17 Stunden Bus.

Das Landgericht Konstanz verurteilte Vogtmann damals zu einer Strafe von drei Jahren Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung in 21 Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in 32 Fällen und fahrlässiger Straßengefährdung. Die Begründung: Der Busfahrer hatte das Unglück wegen Übermüdung selbst verschuldet.

Gaffer waren auch damals ein Problem bei Unfällen

Heute halten Menschen, die an einem Unfall vorbeifahren, oft ihr Smartphone aus dem Fenster, fahren langsam am Geschehen vorbei und behindern so die Arbeit der Einsatzkräfte. Alles nur, um den Unfall und häufig auch die Opfer auf einem Video festzuhalten.

Aber auch 1992 spielten sich bereits ähnlich bizarre Szenen nach dem Unfall auf der A 864 ab: Auf einer Wiese am Waldrand sammelten sich Gaffer, die mit Ferngläsern die Bergungsarbeiten auf dem Autobahnzubringer mitverfolgen. Ein Eisverkäufer bot den Zuschauern, darunter etliche Familien mit Kindern, Erfrischungen an.

Da es fürs bloße Zuschauen bei Unfällen keinen Verbotsparagrafen gab, nahm die Polizei den Umweltschutz und die Verkehrsordnung zu Hilfe, um die Schaulustigen zu bestrafen: Mehr als 100 Gaffer erhielten Bußgelder – wegen Falschparkens oder einem Verstoß gegen den Naturschutz.