Die Fortschreibung des Lärmaktionsplans ist beschlossen, künftige Temporeduzierungen hat der Gemeinderat festgelegt – doch eine Straße sorgt weiterhin für Diskussionen: die Radolfzeller Straße, Ortsdurchfahrt von Markelfingen. Hier gilt künftig zwar nachts Tempo 30, tagsüber sind jedoch 40 Stundenkilometer erlaubt. Und das, obwohl sich Anwohner und ein Teil des Ortschaftsrats für ganztägig Tempo 30 ausgesprochen hatten.

Anika Konsek kämpft laut eigener Aussage bereits seit zweieinhalb Jahren für die Temporeduzierung. 60 Unterschriften von Anwohnern hat sie damals innerhalb weniger Stunden für ihr Anliegen gesammelt, wie eine Liste mit den Namen zeigt. Seither führte sie Gespräche mit Ortschaftsräten, der Orts- und der Stadtverwaltung, sagt sie. Nun wirft sie diesen vor, mit falschen Behauptungen gegen Tempo 30 argumentiert und ihre Sorgfaltspflicht gegenüber den Bürgern verletzt zu haben. Stimmt das?

Wie ist die Situation in der Straße?

Wichtig ist der Markelfingerin, dass es ihr um die Sache gehe, nicht gegen bestimmte Entscheidungsträger. Konsek stellt klar: „Ich schätze das große politische Engagement der Fraktionsmitglieder und der Stadt sehr. Verkehrspolitische Maßnahmen sollten jedoch meiner Ansicht nach den Fakten standhalten und besonders schutzbedürftige Personen in den Vordergrund stellen – und nicht das Interesse einzelner Autofahrer.“

„Verkehrspolitische Maßnahmen sollten meiner Ansicht nach den Fakten standhalten und besonders schutzbedürftige Personen in den ...
„Verkehrspolitische Maßnahmen sollten meiner Ansicht nach den Fakten standhalten und besonders schutzbedürftige Personen in den Vordergrund stellen – und nicht das Interesse einzelner Autofahrer“, sagt Anwohnerin Anika Konsek. | Bild: Mario Wössner

Grund für ihr Engagement sei der „nachweislich gesundheitsschädliche Verkehrslärm“ in der Radolfzeller Straße. Denn Marklfingen hat laut Lärmaktionsplan mit 3100 bis 4100 Fahrzeugen täglich einen der höchsten Durchgangsverkehre in Radolfzell. „Während die Anwohner im Bereich der Oberdorfstraße nachts einem deutlich zu hohen Lärmpegel ausgesetzt sind, sind tagsüber nahezu alle Anwohner entlang der gesamten Radolfzeller Straße von einem zu hohen und damit gesundheitsschädlichen Lärmpegel betroffen“, klagt Konsek. Sie verweist dazu auf die Messungen von Modus Consult für den Lärmaktionsplan.

So laut ist es in der Radolfzeller Straße

Laut diesen liegt der Lärm im Osten von der Radolfzeller Straße 2 bis 9 tagsüber zwischen 65 und 70 Dezibel, nachts zwischen 54 und 60 Dezibel. Im Westen in der Radolfzeller Straße 10 und 21 liegen die Werte bei 65 Dezibel. In den drei Gebäuden der Nummer 23 sind insgesamt 23 Bewohner von 66 beziehungsweise 55 Dezibel betroffen. Alle Gebäude liegen damit über dem Grenzwert von 65 Dezibel, ab dem der gesundheitskritische Bereich beginnt.

Die beschlossene Geschwindigkeitsreduzierung von der Oberdorfstraße bis zum Ortsausgang von 50 auf 40 ist laut Konsek daher „völlig unzureichend“ und „verfehlt das zentrale Ziel des Lärmaktionsplans.“ Denn eine Reduzierung um 10 Kilometer pro Stunde reduziert den Lärm laut Modus Consult um ein Dezibel. 20 Kilometer pro Stunde bringen 2,5 Dezibel. Selbst Tempo 30 würde den Lärm also nicht überall in der Straße unter 65 Dezibel drücken.

Konsek, die selbst ab und an ins Auto steigt, wünscht sich daher, dass der Durchgangsverkehr komplett auf die B33 umgelenkt wird. Die Ausweisung einer ganztägigen Tempo-30-Zone stelle einen ersten Schritt dar, da so der Zeitgewinn durch den Ort wegfallen würde.

Warum gibt es kein Tempo 30?

Ursprünglich war im Lärmaktionsplan auch tatsächlich Tempo 30 für die Straße überlegt worden. Aufgrund eines politischen Beschlusses im Ortschaftsrat wurde es laut dem finalen Plan aber nicht weiter verfolgt. Anika Konsek findet daher, die Stadt missachte ihre Sorgfaltspflicht. Sie sei laut Verkehrsministerium verpflichtet, bei gesundheitskritischen Lärmwerten Maßnahmen zu ergreifen.

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Das Verkehrsministerium schreibt auf seiner Internetseite tatsächlich, ab 65 Dezibel werden „in der Regel lärmmindernde Maßnahmen wie zum Beispiel geringere Tempolimits“ eingeführt. Ab 67 Dezibel bestehe die Pflicht zur Einführung von lärmmindernden Maßnahmen. „Davon abgesehen werden kann nur, wenn dafür triftige Gründe vorliegen“, so das Ministerium.

Gab es solche triftigen Gründe in Markelfingen? Laut Anika Konsek nicht. Sie sagt, der Ortschafsrat habe als Gegenargument im Oktober lediglich angeführt, der Durchgangsverkehr weiche dann einfach in die Straße „Zum Lerchtal“ aus. Für diese Annahme gebe es jedoch keinerlei Belege. Tatsächlich bestätigt dies auch die Stadt in ihrer Antwort auf Stellungnahmen zum Lärmaktionsplan. Dies geht aus den Unterlagen zur Sitzung des Planungsausschusses am 7. Mai hervor.

So reagieren Stadt- und Ortsverwaltung

Auf SÜDKURIER-Nachfrage stimmen der Markelfinger Ortsvorsteher Lorenz Thum und die Abteilung Umwelt und Natur der Stadt zu, dass laut Kooperationserlass ab 67 Dezibel (57 nachts) „das Ermessen zur Festlegung von jeglichen Maßnahmen gegen Null geht“. Dadurch sei aber nicht automatisch die Begründung für eine verkehrsrechtliche Anordnung gegeben.

„Der Fokus lag auf einer ausgewogenen Lösung, die verschiedenen Anforderungen gerecht wird, ohne die Straße funktional zu entwerten“, ...
„Der Fokus lag auf einer ausgewogenen Lösung, die verschiedenen Anforderungen gerecht wird, ohne die Straße funktional zu entwerten“, sagt Ortsvorsteher Lorenz Thum. | Bild: Andreas Kochloeffel

Es seien dennoch verschiedene Belange gegeneinander abzuwägen, zum Beispiel Verdrängungseffekte, der Verkehrsfluss und Auswirkungen auf den ÖPNV sowie Fuß- und Radfahrer gegenüber der Anzahl der vom Lärm betroffenen Gebäude. Und in der Radolfzeller Straße seien nur wenige Gebäude vom Lärmwerten über 67 Dezibel betroffen.

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Daher, so Lorenz Thum, sei der Verdrängungseffekt als Argument gegen Tempo 30 alleine nicht ausschlaggebend gewesen. Es gehe auch um den Verkehrsfluss. „Der Fokus lag auf einer ausgewogenen Lösung, die verschiedenen Anforderungen gerecht wird, ohne die Straße funktional zu entwerten“, erklärt er. Eine durchgehende Reduzierung auf Tempo 30 sei in einer Straße mit Durchgangsfunktion nicht automatisch die beste Lösung. Tempo 40 tagsüber stelle hingegen einen guten Kompromiss zwischen Lärmschutz, Sicherheit und dem Wunsch nach einem flüssigen Verkehr dar.

Gibt es doch noch eine Chance für Tempo 30?

Ganz vom Tisch ist Anika Konseks Anliegen damit aber noch nicht. Denn Thum sagt auch: „Sollten sich neue Erkenntnisse ergeben oder eine stärkere Bürgerbeteiligung sichtbar werden, bin ich bereit, die Diskussion neu zu führen.“ Von den 60 Unterschriften habe er bisher nichts gewusst. Bislang habe es im Ortschaftsrat abgesehen von Anika Konseks Rückmeldung „keine nennenswerte negative Resonanz aus der Bürgerschaft“ zur aktuellen Regelung gegeben. „Wenn sich nun mehr Anwohnerinnen und Anwohner äußern, nehmen wir das selbstverständlich ernst“, sagt er.

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Eine Möglichkeit bietet die im November in Kraft getretene Novellierung der Straßenverkehrsordnung, die den Kommunen mehr Handlungsspielraum gibt. So ist Tempo 30 auf Kreisstraßen möglich, wenn sie sich in sensiblen Bereichen, wie in der Nähe von Kindergärten und Schulen befinden. In der Radolfzeller Straße liegt ein betreutes Wohnen.

Thum sagt dazu, der Ortschaftrat werde die Situation „aufmerksam beobachten“. Bisher sei ein ganztägiges Tempo 30 außerhalb des Lärmaktionsplans kein eigener Beratungspunkt gewesen. „Es könnte aber künftig durchaus eine Rolle spielen – vor allem, wenn sich der politische oder rechtliche Rahmen verändert oder weitere Impulse aus der Bürgerschaft kommen“, so Thum.