
Hinter den Kulissen des Radolfzeller Tafelladens herrscht an diesem Morgen bereits reger Betrieb. Zu zehnt sind ehrenamtliche Helfer damit beschäftigt, alles für die nächsten Stunden vorzubereiten. Nahe der Eingangstür werden Brot, Brötchen und süße Stücke in eine Theke einsortiert, im hinteren Bereich wird frisch angeliefertes Gemüse und Obst in Augenschein genommen. Wenig später werden damit etwa 40 Menschen versorgt, die von Armut betroffen sind und deshalb vergünstigt bei der Tafel einkaufen dürfen.
Gab es in der Vergangenheit einen so großen Andrang, dass sogar ein Aufnahmestopp für Kunden verhängt werden musste, hat die Zahl mittlerweile wieder abgenommen – aber die ehrenamtlichen Helfer haben dafür mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen.

Wie Hildegard Gallenschütz, Leiterin der Radolfzeller Tafel, berichtet, bekomme der Laden inzwischen weniger Lebensmittel aus Geschäften, da diese zum Teil ablaufende Ware vergünstigt selbst anbieten. „Wenn wir nicht Spenden aus der Bevölkerung bekommen würden, würde es an manchen Tagen sehr mau aussehen“, sagt sie.

Frische Ware kommt am Morgen
Dennoch wurde aus dem Tafel-Zentrallager in Rielasingen an diesem Tag einiges angeliefert. Was umgehend verkauft werden muss, weil es sonst schlecht wird, bringt der Lastwagen am Morgen vor dem Verkauf vorbei, berichtet Helmut Reuter, einer der Lagermeister und Bestücker des Tafelladens. Weitere Ware kommt aus dem Lager der Radolfzeller Tafel. Dort wird Haltbares, das stark nachgefragt wird – also etwa Mehl, Zucker und Öl – erst einmal gesammelt, erklärt Hildegard Gallenschütz. In den Laden kommt es erst, wenn es genug für die vielen Kunden gibt. So bleibt es fair.
Denn nicht alle Kunden können den Radolfzeller Tafelladen gleichzeitig besuchen. Hereingelassen werden nacheinander jeweils nur sechs von ihnen und die übrigen müssen draußen warten, bis sie an der Reihe sind. Um trotzdem für eine möglichst große Gerechtigkeit zu sorgen, hat sich die Radolfzeller Tafel etwas einfallen lassen.
Normal sind 40 Kunden pro Tag
Zum einen legen die Tafelmitarbeiter abhängig von der Gesamtmenge der jeweiligen Waren fest, wie viel von einer Sorte pro Person verkauft wird. Gibt es zum Beispiel nur so viel Joghurt wie Kunden, darf jeder nur einen mitnehmen. Denn auch Menschen, die erst später einkaufen dürfen, sollen noch die Möglichkeit haben, etwas abzubekommen. Zum anderen entscheidet der Zufall, wer zuerst an der Reihe ist.
Dafür hat Stefan Dierks bei der Anmeldung an alle Kunden jeweils eine Plakette mit einer Nummer ausgegeben – heute sind es rund 40, weniger als zu Hochzeiten. Aber laut Stefan Dierks ist es normal, dass im Sommer weniger Kunden kommen als im Winter, wenn sich alle Menschen zuhause aufhalten. Maximal möglich sind bis zu 70 Kunden pro Verkaufstag, wie Hildegard Gallenschütz erzählt – für mehr reichen weder Ware noch Helfer.

Geöffnet hat die Tafel in Radolfzell wöchentlich mittwochs und freitags, jeder Kunde darf nur an einem der Tage kommen. Dafür bekommen sie verschiedenfarbige Karten, die sie Stefan Dierks bei der Anmeldung zeigen. Zusätzlich verrät ein Computerprogramm Dierks nach Erfassung der Tafel-Ausweise, wer wann einkaufen darf – und ohne Tafel-Ausweis ist ein Einkauf nicht möglich.
Einkaufen geht nur in Etappen
Obwohl die ersten Kunden schon deutlich vor der Öffnung des Tafelladens erscheinen, sind an diesem Morgen die Ersten im wahrsten Sinne des Wortes die Letzten – denn die Reihenfolge wird ausgelost, als allererstes dürfen die Nummern 21 bis 26 eintreten. Am Eingang geben die Kunden bei Stefan Dierks ihre Plaketten wieder ab, dann erhalten sie einen Wagen und können ihren Einkauf beginnen.
Wer hier zum Einkaufen kommt
Nach und nach betreten so die unterschiedlichsten Menschen den Laden – junge Frauen, ältere Herren, Stammkunden, die schon seit vielen Jahren immer wieder hier einkaufen. Viele sprechen nur gebrochen Deutsch. Zu 80 Prozent seien die Kunden aus der Ukraine, berichtet Hildegard Gallenschütz. Rund zehn Prozent stammen aus dem Nahen Osten, etwa aus Syrien. Der Rest kommt aus Deutschland, allerdings gebe es hier nur wenige Neuaufnahmen. „Es ist den Leuten aber auch peinlich“, berichtet die Tafelleiterin – zum Teil wollen sie ihre Bedürftigkeit nicht zeigen.
Die ehrenamtlichen Helfer gehen denen, die kommen, beim Einkauf zur Hand und sagen auch, wie viel von welcher Ware mitgenommen werden darf. Volker Leitz kümmert sich um die Backwaren, Christina Rode und Ute Koch um Obst und Gemüse und Christel Leitz und Frank Renner sind unter anderem für Wurst, Joghurt, Marmelade und Eier zuständig. Ganz zum Schluss kommen die Kunden zu Doris Reuter und Cornelia Sieber an die Kasse.

Tomate kostet nur fünf Cent
Denn die Lebensmittel werden zwar vergünstigt angeboten – eine Tomate kostet etwa fünf Cent, eine große und frische Gurke 30 Cent -, aber nicht umsonst. „Wir brauchen ja auch Geld“, erklärt Hildegard Gallenschütz. Strom, Gas, Fahrzeuge, Benzin, unter anderem diese Dinge müssen bezahlt werden. Und während der Container, in dem der Tafelladen in Radolfzell untergebracht ist, der Tafel gehört, fallen anderswo auch noch Mietkosten an. Für die 22 Mitarbeiter in Radolfzell muss die Tafel kein Geld zurücklegen – sie packen ehrenamtlich an.

Helfer sind oft sechs Stunden im Einsatz
Es ist eben auch die Arbeit der ehrenamtlichen Mitarbeiter, die die Tafel am Laufen hält. Wenn der Tafelladen am Mittag schließt, räumen sie noch auf und nehmen gegebenenfalls übrig gebliebenes Obst und Gemüse in Augenschein. Wenn es noch gut aussieht, wird es zurück ins Zentrallager gebracht und in einem anderen Laden verkauft. Auch geht es an die Foodsharing-Gruppe, die nicht mehr benötigte Lebensmittel sammelt und Gleichgesinnten zum Verbrauch anbietet.
Insgesamt sind die Mitarbeiter pro Verkaufstag rund sechs Stunden im Einsatz. Noch häufiger packen laut Hildegard Gallenschütz die Lagermitarbeiter Heiner Kratt und Helmut Reuter an. Sie kommen auch dienstags und donnerstags, um Ware einzuräumen und den Laden zu bestücken.
Und warum tun sie das? „Es bringt einem selbst auch etwas“, sagt Hildegard Gallenschütz über die Arbeit bei der Tafel. Sie habe das Gefühl, etwas beizutragen, spüre auch die Dankbarkeit der Kunden. Helfer und Kunden scheinen sich zum Teil schon gut zu kennen, bei der Anmeldung scherzt Stefan Dierks mit vielen. Und auch das Helferteam bilde eine schöne Gemeinschaft – und auch das motiviert, weiterzuhelfen.