Das Jahr 2025 ist gerade einmal ein Monat alt und doch steht Deutschland vor grundlegenden Veränderungen. Auch im Radolfzeller Gemeinderat blickt man während der Haushaltssitzung besorgt in die Zukunft. Doch an einem Ort in der Stadt scheint seit Jahren alles beim Alten zu bleiben: im Gewerbegebiet Blurado. Noch immer wartet hier teuer ausgebaute Infrastruktur, ein Agrothermiefeld und eine Heizzentrale, auf Abnehmer. Doch noch hat sich kein Nutzer einen Platz in Deutschlands angeblich erstem klimaneutralem Gewerbegebiet gesichert.

Viel angelegte Infrastruktur und wenig Leben: Das vorbereitete Gewerbegebiet Blurado am nördlichen Rand der Radolfzeller Bebauung kommt ...
Viel angelegte Infrastruktur und wenig Leben: Das vorbereitete Gewerbegebiet Blurado am nördlichen Rand der Radolfzeller Bebauung kommt einfach nicht ins Laufen. | Bild: Jarausch, Gerald

„Aktuell sind noch keine Grundstücke verkauft. Jedoch sind wir mit mehreren Unternehmen in Verhandlungen“, schreibt die städtische Pressestelle auf Anfrage dieser Zeitung. Damit meint die Stadt zwei Unternehmen, die für große Teilflächen des Gebiets angefragt hatten. Hier seien die Gespräche fortgeschritten, wie die Stadt mitteilt. Und mit „wenigen Interessenten“ stehe man für kleinere Flächen im Gespräch. In den vergangenen zwölf Monaten habe die Stadt Gespräche mit zehn ernsthaften Interessenten „in unterschiedlicher Intensität“ geführt, es habe auch eine Vielzahl an Anfragen gegeben.

Blurado steht seit Jahren schon still

Wie viel realistische Hoffnungen man sich jetzt auf einen Vertragsabschluss machen kann, bleibt unklar. Denn laut Stadt war das Interesse an Blurado immer hoch, gekauft und gebaut hat aber keines der Unternehmen. Im September 2023 hatte die Stadt noch vermeldet, man stünde mit drei Interessenten in Verhandlungen und rechne mit einer Unterschrift im Herbst desselben Jahres. Passiert ist weiterhin nichts.

Externe Vermittlungsagentur soll helfen

Die Stadt Radolfzell hat sich nun Hilfe bei der Vermarktung von etwa der Hälfte der Flächen geholt. „Für die Vermarktung einer Teilfläche von circa 22.500 Quadratmetern wurde ein Alleinvermarktungsmandat erteilt“, bestätigt die städtische Pressestelle.

Der Vertrag mit einer Vermarktungsagentur, die sich auf Gewerbeimmobilien spezialisiert hat, läuft bis Mitte 2025. Das Unternehmen konzentriere sich auf nachhaltige Immobilien im sogenannten ESG-Kontext – also Environmental, Social und Governance, zu Deutsch Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Laut Stadtverwaltung würden für die Stadt keine zusätzlichen Kosten entstehen.

„Werden 2025 Betriebe Flächen belegen, oder müssen wir unser Konzept ändern und völlig neu denken?“Bernhard Diehl, CDU
„Werden 2025 Betriebe Flächen belegen, oder müssen wir unser Konzept ändern und völlig neu denken?“Bernhard Diehl, CDU | Bild: Andreas Kochloeffel

Das Konzept des klimaneutralen Gewerbegebietes zu ändern, um mehr Unternehmen anzusprechen, lehnt die Stadt Radolfzell hingegen ab. Wer in Blurado bauen möchte, muss verschiedene Nachhaltigkeitsaspekte und Entwicklungsperspektiven aufweisen. Zudem ist der Anschluss an das kalte Nahwärmenetz zur Kälte- und Wärmeversorgung, der Bau von Photovoltaik-Anlagen und das Nutzen von Wärmepumpen, alles betrieben durch die Firma Getec, verpflichtend. Das alles macht den Quadratmeterpreis teuer.

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Ein Quadratmeter kostet laut Information der Stadt 120 Euro, inklusive Erschließungsbeiträge, und zuzüglich 18,70 Euro pro Quadratmeter für die Energieversorgung. Zum Vergleich: Im Gewerbegebiet „Vor Eichen 2“ in Steißlingen kostet der Quadratmeter beispielsweise 100 Euro. „Grundsätzlich sind diese Kriterien für die begrenzte Flächenverfügbarkeit in Radolfzell richtig und soll daher so weiterverfolgt werden“, schreibt die Stadt.

Lockerung des Energiekonzeptes gar nicht so einfach

Dennoch sei der Grundstückspreis eine Stellschraube, die in Zukunft diskutiert werden könne. Auch prüfe man mit dem Energieversorger konstruktive Verbesserungen. Allerdings räumt die Stadt ein, dass es finanzielle Auswirkungen hätte, sollte man sich komplett vom bereits errichteten Wärmenetz der Firma Getec abwenden und diesen Vertrag auflösen.

„Es sind nicht nur die Kosten, auch der Standort ist nicht ideal.“Siegfried Lehmann, FGL
„Es sind nicht nur die Kosten, auch der Standort ist nicht ideal.“Siegfried Lehmann, FGL | Bild: FGL

In seiner Haushaltsrede griff auch Bernhard Diehl, Fraktionssprecher der CDU, das Thema Blurado auf. „Werden 2025 Betriebe Flächen belegen, oder müssen wir unser Konzept ändern und völlig neu denken?“, so Diehl. Man habe zwar viel investiert und Blurado sei stets als Prestigeprojekt angepriesen worden. Dennoch koste es bislang nur und habe der Haushaltskasse nichts eingebracht.

Ähnlich äußerte sich auch Jürgen Keck, Fraktionssprecher der FDP. Er sagt: „Lieber weniger verdienen als gar nichts verdienen.“ Klimaneutralität sei ein hehres Ziel, aber wie man sehe, sei das Konzept nicht überzeugend.

„Lieber weniger verdienen als gar nichts verdienen.“Jürgen Keck, FDP
„Lieber weniger verdienen als gar nichts verdienen.“Jürgen Keck, FDP | Bild: Fdp

Abwarten bis Sommer 2025

Laut Stadtverwaltung liege es an der unsicheren wirtschaftlichen und auch politischen Lage, dass die Unternehmen zögerlich mit derartigen Investitionen seien. Man wolle abwarten, wie sich die Lage entwickle. Diese Haltung teilt Norbert Lumbe, Fraktionssprecher der SPD. Er sprach sich dafür aus, die Grundstückspreise zu besprechen, wenn diese einer Ansiedelung von Gewerbe im Wege stehen sollten. Aus seiner Sicht sei das Thema Blurado in der Verwaltung angekommen, wie er sagt.

„Das Thema Blurado ist in der Verwaltung angekommen.“Norbert Lumbe, SPD
„Das Thema Blurado ist in der Verwaltung angekommen.“Norbert Lumbe, SPD | Bild: Andreas Kochlöffel

Bis Sommer abwarten und schauen, welchen Erfolg die Vermittlungsagentur habe, dafür spricht sich auch Dietmar Baumgartner, Fraktionssprecher der Freien Wähler, aus. Danach könne man noch immer über das Konzept beraten. Und er fügt hinzu: „Angesicht der wirtschaftlichen Lagen ist es schade, dass wir das Streuhau nicht bebaut haben, das wären noch einmal mehr Gewerbesteuern gewesen.“

Mehrere Probleme beim Blurado sieht Siegfried Lehmann, Fraktionssprecher der FGL. „Es sind nicht nur die Kosten, auch der Standort ist nicht ideal.“ Der Anschluss an die Infrastruktur sei sicher vielen Unternehmen zu teuer.

Angesicht der wirtschaftlichen Lagen ist es schade, dass wir das Streuhau nicht bebaut haben, das wären noch einmal mehr Gewerbesteuern ...
Angesicht der wirtschaftlichen Lagen ist es schade, dass wir das Streuhau nicht bebaut haben, das wären noch einmal mehr Gewerbesteuern gewesen.“Dietmar Baumgartner, Freie Wähler | Bild: Foto Lichterloh