Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Lieferschwierigkeiten, Inflation, Fachkräftemangel – viele Wirtschaftsunternehmen hatten es zuletzt nicht einfach. Für Emanuel Flierl begann damit die Arbeit als Wirtschaftsförderer der Stadt Radolfzell in einer angespannten Zeit. Im Frühjahr 2024 übernahm er das Amt, nachdem sein Vorgänger Manuel Kern zum Bürgermeister der Gemeinde Krauchenwies gewählt worden war. Zuvor war Flierl der Leiter des Bereiches Liegenschaften gewesen. Wie blickt er nach den ersten Monaten zurück und wie geht es der Wirtschaft in Radolfzell?
In vielen Themen involviert
Fest steht: Zu tun gab es für Emanuel Flierl und sein Team in den vergangenen Monaten einiges. Zum einen geht mit der Neubesetzung seiner Stelle eine Umstrukturierung und Neuorganisation der Bereiche Wirtschaftsförderung und Liegenschaften – auch diesen Bereich leitet Flierl – einher. Unter anderem wurden die Stellen an einem Ort in der Stadt gebündelt, auch kam Nicole Stadach als neue Kollegin ins Team. „Natürlich muss man da erst einmal ein bisschen sortieren“, berichtet Emanuel Flierl.
Zusätzlich sei der Fachbereich Wirtschaftsförderung und Liegenschaften in vielen Belangen der Stadt gefragt, unter anderem bei Kinderbetreuung und Wohnraum. Denn diese seien auch für die Wirtschaft wichtig, betont Flierl. Es brauche eine gut funktionierende Stadt mit Angeboten für Arbeitnehmer, damit es auch der Wirtschaft gut gehe.
Radolfzell als attraktiver Standort
So habe er in diesem Jahr nicht nur zentrale Handlungsfelder in Radolfzell identifiziert, sondern sich auch um die Belange von Unternehmen, Einzelhandel und Dienstleistern gekümmert. Außerdem habe er sich mit seinem Team bei Themen eingebracht, die nicht nur die Wirtschaftsförderung betreffen. Das sei etwa die Innenstadtoffensive, mit der die Stadt aufgewertet werden soll und die teilweise bereits umgesetzt wurde. Andere Projekte wie der neue Pocket-Park am Mühlbachcenter stehen noch aus.
Wichtig sei auch Standortmarketing, also dass Radolfzell für Unternehmen als attraktiver Standort sichtbar werde. „Wir sind besser, als wir manchmal wahrgenommen werden“, sagt Flierl. „Das darf man auch ruhig präsentieren.“
Was macht Blurado?
Ein weiteres Thema, das den Wirtschaftsförderer beschäftigt, ist die geplante Überarbeitung des Bahnhofareals. „Wir müssen das Projekt mit Blick auf die Innenstadt betrachten“, erklärt Emanuel Flierl. Das Bahnhofsareal solle natürlich für sich selbst attraktiv sein, gleichzeitig aber die Innenstadt stärken.
Ebenfalls schon länger geplant ist das mit erneuerbaren Energien betriebene Gewerbegebiet Blurado, bei dem sich bislang aber noch nicht viel getan hat. Wie Emanuel Flierl sagt, habe sich die Stadt „bewusst für einen ambitionierten Ansatz entschieden“. Dass man mit der Idee auf dem richtigen Weg sei, zeigen laut ihm Anfragen anderer Kommunen, die sich nach der Erfahrung Radolfzells erkundigen. Derartige Konzepte seien auch bei Unternehmen immer mehr gefragt.
Gespräche werden geführt
Dennoch gebe es bei Blurado ein paar Schwierigkeiten. Zum einen sei das Gelände topografisch herausfordernd, außerdem sei das Energiekonzept nicht für alle Unternehmen geeignet. Für eine Firma, die zum Beispiel nur eine unbeheizte Lagerhalle benötigt, für diese aber trotzdem einen Grundbetrag für Energie zahlen müsse, werde sich Blurado so nicht rentieren.
Hinzu komme, dass das Gebiet zwar 2021 durch viele Bewerber sogar überzeichnet gewesen sei, sich die Lage für Investoren etwa durch die Ukraine-Krise und Zinsveränderungen aber danach verschlechtert habe. „Das Umfeld für Investoren ist gerade nicht besonders gut.“ Und erfahrungsgemäß brauche es auch eine gewisse Zeit, um Gewerbeansiedlungen über die Bühne zu bringen.
Allerdings arbeite die Stadt mit einem Unternehmen zusammen, das bei der Vermarktung eines Teilgebiets helfen solle, und einige Unternehmen würden Interesse an Blurado zeigen, so Flierl. „Ich bin positiv, dass wir da bald greifbare Ergebnisse haben“, sagt er.
Radolfzell steht gut da
Und wie geht es der Radolfzeller Wirtschaft angesichts diverser Krisen generell? „Gerade Unternehmen im Automobilbereich haben es aktuell sehr schwer, aber es gibt in Radolfzell wenige Unternehmen, die ausschließlich vom Automotive abhängig. Unserem Wirtschaftsstandort geht es als solchen ganz gut“, erklärt Emanuel Flierl. Die Stadt sei geprägt von einem soliden und breiten Mittelfeld und habe auch Unternehmen, die im Weltmarkt mitmischen.
Auch wenn Radolfzell mit BCS ein großes Unternehmen verliert, gebe es grundsätzlich eine relativ gleichbleibende Zahl von angemeldeten Unternehmen. Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, die in Radolfzell arbeiten, sei nur leichten Schwankungen ausgesetzt. In diesem Jahr gebe es etwa 14.000, diese Zahl sei zuletzt recht konstant geblieben.
Die Arbeitslosenquote habe in Radolfzell im August bei 4,0 Prozent gelegen – das sei zwar etwas mehr als im vergangenen Jahr, damals seien es im August 3,5 Prozent gewesen. Allerdings sei das noch immer recht konstant und liege das unter dem Wert des gesamten Landkreises. Dort waren es laut Flierl in diesem Jahr 4,3 Prozent. Da stehen wir auch gut da“, sagt der Wirtschaftsförderer und wertet es als ein Zeichen für die Wirtschaftskraft Radolfzells.
Außerdem zeichne sich schon jetzt ab, dass der mutige Ansatz von rund 23 Millionen Euro für die Gewerbesteuereinnahmen in diesem Jahr auch tatsächlich erreicht werden könne.
Fachkräftemangel und Nachfolgersuche
Dennoch gibt es künftig Herausforderungen. So gebe es auch in Radolfzell einen Fachkräftemangel. Außerdem werde das Thema Unternehmensnachfolge insbesondere im Handwerk künftig eine große Rolle spielen. 48 Prozent der Betriebsinhaber in Handwerksbetrieben seien 55 Jahre alt oder älter, für sie müssen Nachfolger gefunden werden.
Denn: „Unsere Handwerksbetriebe halten unsere Stadt mit am Laufen.“ Die Stadt könne hier zum Beispiel unterstützen und etwa Betriebe sensibilisieren, sich frühzeitig mit der Nachfolge zu beschäftigen. Sie könne auch bei der Vermittlung helfen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, Nicole Stadach und Marianne Lindenthal seien neu zum Team der Wirtschaftsförderung gestoßen. Tatsächlich ist aber nur Nicole Stadach seit Januar 2024 im Team, Marianne Lindenthal ist seit Juni 2008 Ansprechpartnerin für Radolfzeller Unternehmen und Monika Wiesner ist seit Oktober 2022 Mitarbeiter in der Wirtschaftsförderung.