Homeschooling, Isolation, ausfallende Veranstaltungen, fehlende Treffen mit Freunden – Corona sorgte in den vergangenen zwei Jahren für zahlreiche Einschränkungen und große, auch psychische Belastungen, gerade für Kinder und Jugendliche. Und das hat Folgen: Die Zahl der Betroffenen, die an psychischen Erkrankungen oder Auffälligkeiten leiden sowie Probleme bei der Bewältigung des Alltags und in der Schule haben, ist gestiegen.
Viele Anfragen bei Beratungsstelle
Das macht sich auch im Landkreis Konstanz bemerkbar. „Wir erleben einen immensen Anstieg an Anfragen“, berichtet Claudia Riedlinger, die mit zehn weiteren Familientherapeuten in der Psychologischen Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern des Landkreises mit Sitz in Radolfzell arbeitet. An dieser und an einer Außenstelle in Singen sollen Betroffene unterstützt und gemeinsam weitere Vorgehensweisen besprochen werden. Die Gründe für die aktuellen Anfragen seien unterschiedlich. „Es gibt viele Kinder, die mit Ängsten oder Zwangserkrankungen kommen“, sagt die diplomierte Psychologin.
Zudem fänden viele Kinder und Jugendliche nicht mehr zurück in die Schule oder trauen sich nicht in den Kindergarten. Weiter listet Riedlinger unter anderem Depressionen, Schlafstörungen, Trennungsängste und Antriebslosigkeit auf. Und: „Wir haben auf jeden Fall auch vermehrt mit Suizidgedanken bei Kindern, Jugendlichen und auch den Eltern zu tun.“ Außerdem zeigen sich vermehrt psychosomatische Probleme, die durch Stress und Ängste ausgelöst werden, etwa Kopfweh und Bauchschmerzen. „Damit reagieren Kinder im Grundschulalter besonders häufig“, so die Psychologin. Betroffen von den Problemen seien grundsätzlich aber Kinder aller Altersgruppen.
Fehlende Kontakte, Verlustängste, Schuldgefühle
Die Gründe für die Probleme sind ebenfalls vielfältig. Zum einen fehlte im Lockdown der Kontakt zu Freunden oder zu Vereinen. „Der Zusammenhalt ist nicht mehr so da“, sagt Claudia Riedlinger. Gerade für Jugendliche sei das schwer, denn sie orientieren sich in ihrer Entwicklung an Gleichaltrigen. „Das ist total wichtig für die psychische Entwicklung und um glücklich zu sein.“ Zum anderen könnten etwa Verlustängste entstehen, wenn Kinder vom Tod mancher Großeltern erfahren, und Schuldgefühle könnten entstehen, wenn ein Betroffener selbst das Virus übertragen hat.
Waschzwänge seien wiederum auf Vorsichtsmaßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens zurückzuführen. „Das hängt sehr deutlich mit der Pandemie zusammen“, sagt Claudia Riedlinger über die psychischen Probleme. Schwierig sei auch, dass viele Kinder und Jugendliche in der Pandemie keine Aussicht auf eine Besserung gehabt hätten: „Hilflosigkeit ist ein ganz großer Faktor.“
Sozial benachteiligte Familien besonders betroffen
Betroffen seien häufig vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Es gebe deutlich mehr Gefährdungsfälle, bei denen es zuhause zum Beispiel zu Gewalt kommt. Auch herrsche in Familien oft die Sorge vor einem Jobverlust der Eltern und vor Armut. „Die Sorge der Eltern hat sich stark auf die Kinder ausgewirkt“, so Riedlinger. Für solche Kinder und Jugendlichen sei auch schon der Beginn des ersten Lockdowns schwierig gewesen, als in anderen Familien zum Teil auch eine Entspannung durch weniger Leistungsdruck in der Schule bemerkbar gewesen sei.
Tipps für Eltern
Während des zweiten harten Lockdowns hätten sich die Probleme auch auf andere Kinder und Jugendliche ausgeweitet: „Da kamen viele, die bis dahin eigentlich gut mit ihrem Leben klar gekommen sind.“ Und obwohl der Lockdown mittlerweile längst zu Ende ist, gebe es weiterhin viele Fälle. Claudia Riedlinger führt das darauf zurück, dass nun vor allem für Kinder, die in der Pandemie abgehängt wurden, der Druck in der Schule wieder zunimmt – sie müssen verpassten Unterrichtsstoff aufholen.
Studie bestätigt Beobachtungen
Mit den Erkenntnissen ist die Beratungsstelle nicht alleine. In einer groß angelegten Langzeitstudie mit 2000 Teilnehmern untersuchten Forscher des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf die Auswirkungen und Folgen der Pandemie auf die seelische Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Das Ergebnis: Fast jedes dritte Kind litt unter psychischen Auffälligkeiten.
Auch in der Studie ist von zunehmenden Sorgen, Ängsten, depressiven Symptomen und psychosomatischen Beschwerden die Rede, die sich auch nach einer Öffnung der Schulen und Freizeiteinrichtungen nur wenig zurückgebildet hatten. Und es werden ebenfalls Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien, Familien mit Migrationshintergrund oder eigener psychischer Erkrankung der Eltern als besonders betroffen hervorgehoben.
Hier gibt es Hilfsangebote
Insgesamt gilt: Psychologische Probleme müssen so schnell wie möglich behandelt werden, so die Psychologin. Zum einen sei der Leidensdruck der Betroffenen groß und Erkrankungen wie etwa Depressionen würden ein großes Risiko für die weitere Entwicklung der Kinder darstellen.
Und psychische Probleme könnten, wenn sie unbehandelt bleiben, Folgen bis weit in die Zukunft haben. Angsterkrankungen zum Beispiel würden sich von alleine nicht bessern, sich unbehandelt sogar verschlimmern, laut Riedlinger sogar chronisch werden und im Erwachsenenalter auch andere psychische Erkrankungen, wie etwa Depressionen und Suchtprobleme begünstigen.
Folgen bis weit in die Zukunft
„Wichtig ist, dass interveniert wird, bevor das Leben eingeschränkt ist“, betont die Psychologin. Je größer die Probleme sind, desto schwerer werde es, wieder zu einem normalen Leben zurückzukehren. Sie befürchtet sogar, dass es sonst viele Jugendliche geben wird, die gar keinen Schulabschluss schaffen. Oder dass sie später in die Arbeitslosigkeit rutschen.
„Für die seelische Gesundheit ist es wahnsinnig wichtig, dass man das frühzeitig behandelt, damit die Kinder nicht abgehängt werden.“ Am Anfang sei es auch noch leichter, gute Lösungen für die Bewältigung der Probleme zu finden: „Wenn ich früh anfange, kann ich die leichten Symptome gut behandeln.“ Werde länger gewartet, hätten diese sich aber oft schon verfestigt.
Wenige Therapieplätze vorhanden
Die Schwierigkeit: Schon vor der Pandemie habe es viel zu wenig Therapieplätze für Kinder und Jugendliche gegeben. Wer also so große Probleme hat, dass eine Beratung an einer Familienberatungsstelle nicht ausreicht, der muss lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Sehr wichtig wäre hier, so Riedlinger, zeitnah ausreichend Kapazitäten zu schaffen.
Dennoch fordert Claudia Riedlinger Eltern auf, nicht die Hoffnung zu verlieren. Sie rät ihnen, auf der Suche nach Therapieplätzen auch nach Absagen nicht aufzugeben. „Da muss man wirklich dran bleiben.“ Denn die gute Nachricht sei: „Viele Schwierigkeiten sind gut behandelbar.“