Radolfzell wird kein kommunales medizinisches Versorgungszentrum, kurz MVZ, bekommen. Über Monate wurde dieses Thema im Gemeinderat und in der Radolfzeller Bevölkerung heiß diskutiert, es wurden Unterschriften gesammelt und Podien abgehalten. Nach der Schließung des Radolfzeller Krankenhauses vor mehr als einem Jahr ist die Unzufriedenheit über die medizinische Versorgung in der Stadt und auch auf der Höri groß. Doch nun ist klar: Ein MVZ wird nicht die Lösung sein. Möglich hingegen wäre ein Ärztehaus auf dem Wein-Mayer-Areal neben dem Weltkloster.
Um das Thema abschließend zu klären, hatte die Stadtverwaltung eine Analyse bei dem Beratungsunternehmen Dostal aus Vilsbiburg beauftragt, die Radolfzeller Ärzteschaft zu befragen, wie groß denn das Interesse sei, sich an einem MVZ zu beteiligen.
Strukturwandel im Medizinbereich
Dabei wurde einmal mehr der Strukturwandel im Praxisbereich dargestellt. Die Anzahl an Einzel- und Gemeinschaftspraxen werde perspektivisch immer weiter zurückgehen. Das Konzept eines MVZ sei für Ärzte besonders attraktiv, weil sie weniger Patienten hätten, gleichzeitig aber auch weniger Zeit in administrative Aufgaben stecken müssten. Laut Kassenärztlicher Vereinigung Baden-Württemberg arbeiten selbstständige Ärzte im Schnitt 53,3 Stunden pro Woche, angestellte Ärzte kommen auf 42,8 Stunden pro Woche.

Vor allem junge Ärztinnen und Ärzte hätten immer weniger Interesse daran, sich mit einer eigenen Praxis selbstständig zu machen. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf nehme einen neuen Stellenwert ein, informiert Gabriele Dostal, die per Videokonferenz an der Gemeinderatssitzung teilnahm. Die Zahlen belegen das: Zwischen 2014 und 2023 haben Medizinische Versorgungszentren um 165,5 Prozent zugenommen, Einzelpraxen haben sich um 7 Prozent reduziert.
Zu wenig Ärzte wollen in ein MVZ
Konkret für Radolfzell lässt sich dieser Trend allerdings nicht übertragen. Wie Gabriele Dostal erklärte, habe die Stadt eine ‚sehr bewusste Ärzteschaft‘, die sich vorstellen könne, sich zusammenzutun. Allerdings nicht im Rahmen eines kommunal geführten MVZ. In der Befragung, wie die Ärzte zu einem kommunalen MVZ stünden, sagten vier Ärzte, sie würden eintreten, vier sagten nein, drei würden es sich noch überlegen.
Befragt nach den Räumen gaben sechs Praxisinhaber an, sie können sich vorstellen, sich zu vergrößern und umzuziehen. Fünf würden eine städtische Förderung begrüßen, sei es durch Mietzuschüsse, Umbaumaßnahmen oder dem Schutz vor Kündigung.

Für die Beraterin zur medizinischen Versorgungssicherheit bedeutet dies als Empfehlung für die Stadt: Ein medizinisches Zentrum könne nur mit einem Investorenmodell realisiert werden. Die Stadt könne hierbei eine moderierende Funktion einnehmen, aber nicht aktiv als Träger auftreten.
Oberbürgermeister Simon Gröger erklärte auch, dass ein MVZ einer aktuellen Unterversorgung nicht entgegentreten könne. „Mit einem MVZ bekommen wir nicht mehr Ärzte.“ Ein medizinisches Zentrum könnte nur mittelfristig dafür sorgen, dass sich junge Ärzte mit regulären Arztsitzen in der Stadt ansiedeln und vielleicht ältere Ärzte länger in Teilzeit arbeiten könnten.
Die Region ist sogar überversorgt
Wie die Versorgung der Bevölkerung auf dem Papier aussieht, darüber hatte sich der OB in diesem Jahr direkt bei einem Termin mit Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) informiert. Und diese ist gar nicht so schlecht, wie von vielen wahrgenommen. Der Versorgungsgrad im Bereich Radolfzell und Höri liegt laut KVBW bei 107 Prozent. Es ist nur noch ein Hausarztsitz frei.
Bei den Fachärzten sehe es auch nicht so schlecht aus. Der Planungsbereich Landkreis Konstanz mit 294.374 Einwohnern sei mit Fachärzten gut versorgt oder sogar überversorgt, so die Aussage der KVBW. Zusätzliche Facharztsitze zu bekommen, sei laut Gröger eher unwahrscheinlich.

Mit all diesen Informationen hatte die Stadtverwaltung nun den Vorschlag, wie sie ein medizinisches Zentrum abseits eines MVZ anstreben könne. Schauplatz soll das Wein-Mayer-Areal neben dem Weltkloster sein. Hier möchte die Stadt ein Ärztehaus bauen und Platz für all die Praxen schaffen, die sich gerne vergrößern möchten. Realisiert werden soll das Projekt über ein Investorenmodell. Die Stadt stellt das Grundstück, Planung, Bau, und die Vermietung an Praxen soll dann der Investor übernehmen. Den Standort sieht die Verwaltung auch wegen der zentralen Lage nahe ZOB, Bahnhof und Innenstadt als ideal an.
Dieser Vorschlag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Das gilt auch für den Vorschlag der Freien Grünen Liste, das Grundstück über Erbpacht einem Investor zu übergeben und nicht zu verkaufen.
Nicht viel Glück mit Suche nach Investoren
Mit Investoren hat die Stadt bisher nicht so viel Erfolg gehabt. Projekte wie der Kita-Neubau plus Wohnbebauung in der Hebelstraße sind geplatzt, da sich kein Investor fand. „Eine Konzeptvergabe für ein medizinisches Zentrum könnte ins Leere laufen“, mahnte Siegfried Lehmann (FGL) an. Deswegen schlug er vor, nicht nur ein Ärztehaus als Ergebnis für die Vergabe zu sehen.
Christof Stadler (CDU) erinnerte seine Ratskollegen an den Beschluss, auf einem Teil des Wein-Mayer-Areals den benachbarten Stadtgarten zu vergrößern – und zwar nicht nur Rollrasen über einer Tiefgarage. Dieser Beschluss wurde erneut bestätigt. Die für ein Ärztehaus notwendigen Parkplätze ließen sich auch weiter südlich am Kapellenweg realisieren. Ein ganzheitliches Parkraumkonzept forderte Mona Kramer (FGL).