Jürgen Keck passt nicht ins Partei-Klischee der FDP. Er ist weder Anwalt noch Architekt, weder Freiberufler noch Unternehmer. Er ist Industriekaufmann. War Leiter der Logistik beim Fruchtsafthersteller Schlör und im Nachfolgeunternehmen Widemann, bevor er 2016 für manche doch überraschend im Wahlkreis Konstanz/Radolfzell in den Landtag gewählt worden ist.

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Überhaupt wehrt Keck sich vehement, wenn er mit Urteilen oder Vorurteilen über seine Partei und deren Vertreter in der ersten Reihe konfrontiert wird. Seinen Bundesvorsitzenden Christian Lindner und dessen Umtriebigkeit in den Talkshows dieser Nation nimmt Keck in Schutz: „Wenn du bei Anne Will eingeladen wirst, sagst Du als Politiker nicht Nein.“

Jürgen Keck zeigt sich als Liberaler mit sozialer Ader

Jürgen Keck, 59 Jahre alt, aufgewachsen und wohnhaft in Radolfzell, erliegt beim Spaziergang auf seiner Hausstrecke zum Böhringer See nicht der Versuchung, sich als bodenständiger Landtagsabgeordneter im südlichsten Zipfel der Republik von dem im Scheinwerferlicht gebadeten Parteivorsitzenden abzusetzen. Keck lässt sich nicht beirren, Populismus vermag er bei ihm nicht zu erkennen: „Für mich ist Lindner für freiheitliche Grundsätze unterwegs.“

Klar, da ist der eine Satz, der sich auch vier Jahre danach wie Flucht vor der Verantwortung anhört. Mit diesen Worten hat Christian Lindner die Koalitionsverhandlungen für eine Bundesregierung nach den Bundestagswahlen 2017 abgebrochen: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Es ist zum geflügelten Wort geworden, zum Wundmal der FDP.

Keck mag ihn nicht, diesen Satz. Da kickt er mit dem Schuh schon einmal nach einem Grasbüschel auf dem durchweichten Weg: „Immer wieder muss ich mir das anhören.“ Der Satz mag nicht der beste gewesen sein, die Entscheidung schon, glaubt Keck: „Es gab in den Gesprächen keine einzige Annäherung an liberale Positionen, wir hätten in dieser Regierung keine Rolle gespielt.“

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Was ist falsch, was ist richtig? Bei der Antwort auf diese Fragen liegen die Ansichten zwischen Regierung und Opposition oft auseinander. Das ist normal. Manchmal setzt sich die Ansicht der Opposition dennoch durch.

Im ersten Lockdown machte die FDP den Vorschlag, auch in Baden-Württemberg eine Öffnungsperspektive für klassische Kaufhäuser anzubieten und die geforderten 800 Quadratmeter Verkaufsfläche einfach abzusperren.

Jürgen Keck habe die Problematik des Kaufhauses Kratt in einer Video-Konferenz seiner Fraktion mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann angesprochen. Aber nicht die Landesregierung habe eine Entscheidung getroffen, diese Regelung habe dann das Verwaltungsgericht Sigmaringen der Landesregierung diktiert.

Jürgen Keck ist überzeugt: „Politik lebt vom Zuhören“

Gerade nach seinen Erfahrungen in der Corona-Krise ist Jürgen Keck mehr denn je überzeugt: „Politik lebt vom Zuhören.“ Sein politischer Werdegang vom Ortschaftsrat in Böhringen zum Stadtrat in Radolfzell und in den Konstanzer Kreistag hat ihn geprägt und in dieser Auffassung bestätigt. Das Zuhören und das Einfühlen in Schicksale in der aktuellen Krise rührt an seiner eigenen Biografie.

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Wenn Beschäftigte und Selbstständige in Gastronomie, Einzelhandel und Dienstleistung von ausbleibenden Zahlungen aus der Soforthilfe berichten, geht ihm das nahe: „Ich bin selber durch eine Insolvenz gegangen, wenn du Verpflichtungen hast und auf dem Girokonto gehen keine Zahlungen ein und das Sparbuch gibt nichts mehr her, dann hast du entsprechend Angst.“

Im Oktober 2014 hatte die Firma Fruchtsäfte Schlör in Radolfzell Insolvenz angemeldet. Für die Öffentlichkeit kamen die Zahlungsschwierigkeiten der Traditionsfirma überraschend. Die Mitarbeiter betrachteten die Lage längst mit gemischten Gefühlen.

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„In den sechs Monaten zuvor kam das Gehalt immer verspätet“, berichtet Keck über seine damalige Situation. Mit der Insolvenz sei dann das Insolvenzgeld wenigstens wieder pünktlich auf dem Konto eingegangen. Diese Unsicherheit ist Jürgen Keck als Vater von zwei Kindern in bleibender Erinnerung geblieben.

Diese Unsicherheit trifft er heute bei Menschen an, die vom Lockdown betroffen sind. „Man bekommt mit, wie die Menschen Not leiden, die psychische Belastung ist riesengroß, viele gehen auf dem Zahnfleisch„, beschreibt Keck seine Eindrücke.

„Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht“, kritisiert Keck

Seine Kritik an der Corona-Verordnung des Landes lautet: „Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht.“ Diese Verhältnismäßigkeit ist ihm ein Anliegen. „Die FDP kann auch Sozialpolitik“, ist deshalb ein Statement, das Keck gebetsmühlenartig wiederholt.

Als sozialpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist er dazu verpflichtet. Die wirtschaftsfreundliche Ausrichtung seiner Partei ist für ihn kein Widerspruch: „Um sich mehr Soziales leisten zu können, braucht es eine gesunde Wirtschaft.“

Ortstermin an der frischen Luft: Jürgen Keck zeigt beim Spaziergang am Böhringer See die Richtung an.
Ortstermin an der frischen Luft: Jürgen Keck zeigt beim Spaziergang am Böhringer See die Richtung an. | Bild: Becker, Georg

Überzeugungen sind das eine, Handeln das andere. Als Obmann der FDP kümmert er sich im Petitionsausschuss um die Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern, die sich durch eine Landesbehörde ungerecht behandelt fühlen.

Ungerechtigkeit erkennen, Auseinandersetzung beenden

Der Petitionsausschuss darf – im Unterschied zu den Gerichten – nicht nur die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Entscheidung überprüfen, sondern auch deren Zweckmäßigkeit. „Wir stellen aber nicht die Gerichtsbarkeit infrage“, schränkt Keck ein. Oft gingen der Behandlung im Petitionsausschuss jahrelange Verfahren voraus.

Oft seien dem Ausschuss aus juristischen Gründen die Hände gebunden. „Wir können aber eine Empfehlung an die Behörden abgeben und so versuchen, die Auseinandersetzung aufzulösen.“ Der Abgeordnete nennt als Beispiel die Empfehlung an die Stadt Konstanz, nur ein Drittel des Flugplatzes als Gewerbegebiet auszuweisen. „Wenn ein Flugplatz weg ist, ist er weg. Mit dieser Lösung können beide Seiten leben.“

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Persönlich am Herzen liegt ihm die Geschichte einer Studentin. Ihr sei das Bafög gestrichen worden, weil sie die Studienregelzeit überschritten habe. „Sie hat aber in dieser Zeit ihre krebskranke Schwester gepflegt und musste von ihrem Studienort zur Schwester nach Freiburg fahren.“

Im Bundesausbildungsförderungsgesetz sei ein solcher Fall nicht berücksichtigt, der Petitionsausschuss half über einen Umweg. Keck berichtet von zwei guten Nachrichten: „Wir haben erreicht, dass die Studentin eine Finanzierung aus einem Spezialfonds bekommen hat und ihre Schwester ist inzwischen geheilt.“ Politik kann glücklich machen: „Das ist ein Höhepunkt meiner Arbeit.“

Die Digitalisierung hat noch mehr Bedeutung gewonnen

Corona hat ein anderes Thema nach vorne geschoben: Digitalisierung. Ein Thema, das seine Partei früh benannt habe. „Ich konnte es manchmal nicht mehr hören, immer ging es um Digitalisierung, das Thema war für mich sehr abstrakt.“ Jetzt in der Corona-Krise habe es sich gezeigt, wie wichtig die Breitbandversorgung und die Ausstattung der Schüler mit Endgeräten sei.

„Die Digitalisierung ist eben auch ein soziales Thema“, sagt Keck am Ende der Runde um den Böhringer See. Für Jürgen Keck passt alles zusammen, er, die Politik der FDP, die Arbeit im Landtag: „Ich hoffe, ich komme wieder hinein.“

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