In Böhringen, dem größtem und am stärksten wachsenden Ortsteil Radolfzells, geht immer mehr Infrastruktur verloren: Nachdem in den vergangenen fünf Jahren der Verlust der Apotheke verschmerzt werden musste, dann nacheinander Sparkasse und Volksbank dicht machten, gibt jetzt der letzte Lebensmittelmarkt im Ort auf.
Fast alles für den Haushalt zu kaufen
Draußen vor dem Eingang stapeln sich die Kisten mit leuchtenden Orangen und Clementinen aus Sizilien, drinnen gibt es noch frisches Obst, Gemüse und alles für das tägliche Brot, doch andere Regale zeigen erste Lücken. Wo es doch hier seit 70 Jahren von der Schuhcreme bis zu Balkonblumen fast alles zu kaufen gab, was der Haushalt braucht.
Doch es herrscht traurige Gewissheit: Zum Jahresende schließt Markus Diehl, der das Geschäft in dritter Generation führt, als letzter verbliebener Nahversorger im Ort – außer Bäcker und Metzger – die Pforten. Ein Nachfolger ist bis heute nicht in Sicht.
Im Spätsommer wurde noch gefeiert
Zwar hatte es schon vor dem Tod von Seniorchefin Herta Diehl im April Hinweise auf bevorstehende Veränderungen gegeben. Doch das schnelle, endgültige Aus zum 31. Dezember kam dann doch überraschend. Zumal Markus Diehl mit den Kunden noch im Spätsommer bei einem Weißwurstessen das 70-jährige Geschäftsjubiläum feierte. „Die Umsätze gehen schon seit vielen Jahren kontinuierlich zurück, es lohnt sich einfach nicht mehr und wenn ich weiteres Personal einstellen muss, schon gar nicht“, begründet der 58-Jährige seine Entscheidung, sich früher als zunächst beabsichtigt zur Ruhe zu setzen.
Zurzeit stemmt er das Geschäft mit zwei Teilzeitkräften, in den früheren guten Jahren waren auch Verkäuferinnen in Vollzeit angestellt. Damals hatte er noch Zeit, erst im Jugendblasorchester, dann in der Stadtkapelle und im Musikverein Böhringen Waldhorn zu spielen. Damit ist aber schon seit etlichen Jahren Schluss und auch der Urlaub blieb auf der Strecke. Und nicht nur Markus Diehl packte an: Noch bis wenige Tage vor ihrem Tod saß Herta Diehl mit ihren fast 84 Jahren an der Kasse. Ein Jahr zuvor starb ihr Mann, der nach seinem Renteneintritt viele Jahre Frau und Sohn im Geschäft tatkräftig unterstützt hatte.
Suche nach dem Nachfolger ist schwer
Dass sich das direkt an der Ortsdurchfahrt gelegene Geschäft nicht mehr lohne, führt Markus Diehl auf mehrere Entwicklungen zurück, die die Kundenfrequenz zusehends beeinträchtigten. Neben dem eingedämmten Durchgangsverkehr durch Umfahrungen und dem Wegzug größerer Unternehmen aus dem Böhringer Industriegebiet nennt er vor allem die gewachsenen Geschäftsstrukturen mit Biomarkt, drei Supermärkten, Sparkasse, Apotheken und vielen anderen Dienstleistern in nur zwei Kilometer Entfernung vom Ortsausgang Böhringen. „Dort gibt es alles. Wenn die Kunden zu uns kommen, dann hauptsächlich wegen Kleinigkeiten, die nicht die großen Umsätze bringen“, so der Geschäftsmann.
Gerade dieser schwache Umsatz aber sei der Hauptgrund, dass sich trotz moderater Miete die Suche nach einem Nachfolger schwer gestalte. „Es gibt inzwischen mehr als 25 Absagen“, sagt Markus Diehl. Er sei mit etlichen Supermarktgruppen, Bäckerei-Ketten und Drogerie-Unternehmen intensiv im Gespräch gewesen, versichert er. „Wir haben uns ja nicht erst in den letzten Monaten mit der Nachfolge beschäftigt“, betont er und führt sein eigenes Alter an.
Gründung im Jahr 1953
Gegründet wurde das Geschäft 1953 als Tante-Emma-Laden auf 30 Quadratmeter von seiner Großmutter Amalie Uhl, die zuvor in der nahegelegenen Bäckerei ihres Vaters Wilhelm Bertsche arbeitete. „Es war damals das achte Lebensmittelgeschäft in Böhringen bei etwa 1600 Einwohnern“, berichtet Markus Diehl. Es hieß damals Lebensmittel Uhl.
Seine Mutter Herta Diehl, bekannt auch für ihre schönen Käse- und Wurstplatten für Familien- und Firmenfeiern, hat bei Feinkost Mayer am Obertor in Radolfzell gelernt und ihre Ausbildung als Kauffrau mit der Traumnote 1 beendet. Gerne hätte sie Karriere in Stuttgart gemacht, erzählt der Sohn, wurde aber im Geschäft zu Hause gebraucht und aus war der Traum.
Inhaberwechsel im Jahr 2013
Viermal wurde das Geschäft erweitert bis auf die heutige Größe von 250 Quadratmeter. Markus Diehl absolvierte die Mittlere Reife und eine Ausbildung bei Karstadt in der Feinkostabteilung, war dort auch Marktleiter, bevor er nach der Bundeswehr 1989 ins Geschäft zu Hause einstieg. Seit 2013 ist er Inhaber.
Spezialisiert war man all die Jahre immer auf Obst und Blumen. Letztere sorgten für eine schöne Augenweide vor dem Geschäft und lockten Kundschaft an. Bis vor ein paar Jahren ließ es sich die Familie nicht nehmen, selbst regelmäßig zum Großmarkt zu fahren, um für die Kunden die schönsten Blumen wie auch Obst und Gemüse zu sichern. Und jeder Kunde wurde mit Namen angesprochen.
Ein weinendes Auge zum Abschied
Vielen Kunden trug Markus Diehl den schweren Sprudelkasten ans Auto. Ältere Menschen in Böhringen, die Lebensmittel Diehl wohl am meisten vermissen werden, bekamen im Krankheitsfall – nicht erst seit Corona- ihre Einkäufe ohne Aufpreis nach Hause gebracht. Ging früher mal die Milch aus, konnte man auch nach Geschäftsschluss noch klingeln. Und Vereine, die für ihre Feste bei Markus Diehl die Getränke orderten, konnten sicher sein, bei Bedarf auch am späten Samstagabend oder am Sonntagnachmittag noch Nachschub zu bekommen.
„Auch wenn ich meine Entscheidung nicht bereue, natürlich gibt es auch ein weinendes Auge“, so Markus Diehl. Lebensmittel zu verkaufen habe ihm auch Spaß gemacht. „Und dass ich ohne Nachfolger dastehe, ist schon richtig ärgerlich für mich.“ Aber das Gewerbe sei zum 31. Dezember abgemeldet – da führt kein Weg vorbei. Weil Silvester dieses Jahr auf einen Sonntag fällt, ist schon der Samstag sein letzter Tag. Der Tag, an dem Markus Diehl leise Servus sagt.