Das Rätseldickicht um den illegalen Schneisenschlag im Markelfinger Winkel Anfang des Jahres lichtet sich Stück um Stück. Jetzt stehen der Öffentlichkeit alle Stellungnahmen und Protokolle der beteiligten Abteilungen und des Landratsamtes zur Verfügung. Noch Tage nach der Sitzung des Ausschuss für Planung, Umwelt und Technik blieben diese Dokumente unter Verschluss. OB Martin Staab selbst ordnete dies mit der Begründung an, er müsse städtische Mitarbeiter schützen. Das Regierungspräsidium Freiburg hingegen hatte keinerlei solche Bedenken und wollte die Unterlagen öffentlich sehen.
Nach der entsprechenden Berichterstattung im SÜDKURIER vom vergangenen Samstag sind die Stellungnahme der städtischen Abteilung Landschaft und Gewässer, die Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt Konstanz, die Arbeitsaufträge mit Lageplan an die Technischen Betriebe der Stadt Radolfzell sowie die Stellungnahme des OB vom 4. Mai 2021 – mit einigen wenigen Schwärzungen – auf der Homepage der Stadt Radolfzell den Sitzungsunterlagen des Ausschusses hinzugefügt.
Das sagt der OB
In der ausführlichen Stellungnahme von Oberbürgermeister Martin Staab gibt er Einblick in die Umstände des Missverständnisses. Er habe sich bei allen von ihm in Auftrag gegebenen Rückschneidemaßnahmen stets auf den Bereich nördlich der Kläranlage bezogen, da der südliche, so war sich der OB damals sicher, im geschützten Bereich liegt.
Grundlage seiner Entscheidung sei eine bereits ausgeführte Rückschneideaktion aus dem Jahr 2015 gewesen, die ähnlich der Situation in diesem Jahr war, beschreibt Staab seinen Gedankengang. Die Fachabteilung habe OB Staab darauf hingewiesen, dass man das zwar früher gemacht habe, heute aber dem Wunsch des Anwohners nicht mehr nachkommen würde. Staab verstand diese Absage auf den südlichen Bereich bezogen, also dem naturgeschützten Teil. Nördlich habe man immer wieder mal etwas zurückgeschnitten, deswegen habe er den Auftrag erteilt, dem Wunsch des Anwohners soweit es ging nachzukommen.
Die Details sollen allerdings während eines Telefonats im Auto geklärt worden sein. Staab sprach vom „Machbaren“, aus seiner Sicht der nördliche Teil. Was die Mitarbeiter verstanden haben, ist nicht bekannt. Doch so soll das Missverständnis passiert sein, schreibt Staab. Wie es zu dem Kahlschlag gekommen sein soll, das könne sich auch der OB nicht erklären. „Selbst wenn es der Auftrag gewesen wäre, eine Sichtschneise von Nord nach Süd zu schneiden, wäre dazu kein auf den Stock setzen notwendig gewesen“, schreibt Staab in seiner Stellungnahme.
Das sagen die Technischen Betriebe
Die Stellungnahme der Technischen Betriebe (TBR) der Stadt Radolfzell berichtet von wiederkehrenden Beschwerden eines Anwohners, der gerne von seinem Grundstück aus Sicht auf den See haben wollte. Dieser habe sich in seinen Forderungen nach einer Sichtschneise auf eine mündliche Vereinbarung beziehungsweise auf ein Gerichtsurteil berufen, welches ihm den Seeblick garantieren würde.
Dafür lagen laut Aussage der TBR allerdings keine Unterlagen vor und diese Vereinbarung habe auch nicht mehr nachvollzogen werden können. Deswegen hätten die Mitarbeiter der TBR die Rückschnitte abgelehnt. Seit mindestens sechs Jahren würden die TBR in dem Bereiche keine Gehölze mehr pflegen, heißt es in dem Dokument.
Nachdem der Anwohner mit seiner Bitte bei der Verwaltungsspitze, also OB Martin Staab, vorstellig geworden sei, kam der Auftrag erst zur Prüfung und anschließend zur Durchführung zurück. Die Details seien mit dem OB mündlich besprochen worden. Ein schriftlicher Arbeitsauftrag mit Lageplan wird in der Stellungnahme erwähnt und erst nach einer weiteren Anfrage an die Stadtverwaltung öffentlich gestellt.
In dem Lageplan sind die Bereiche nördlich der Kläranlage sowie der Bereich südlich der Kläranlage oberhalb des Spazierwegs rot markiert. Hier sei laut Legende „Rückschnitt notwendig“. Blau markiert ist nur der Bereich direkt am Seeufer, hier solle eventuelle auf Maßnahmen verzichtet werden. Rot markiert ist ebenfalls das Grundstück, welches von dieser Maßnahme profitieren soll.
Das sagt das Landratsamt
Anders als von OB Martin Staab angenommen, erklärt die Untere Naturschutzbehörde des Landratsamts Konstanz auch Teile nördlich der Kläranlage für geschützt. Das Gehölz im Bereich des Radweges und des Bahndamms sei als geschütztes Biotop eingestuft. Lediglich das einreihige Gehölze direkt am Zaun der Kläranlage befinde sich in keinem Schutzgebiet. Die gerodeten Bereiche südlich der Kläranlage sind laut Landratsamt Teil des Natura-2000-Schutzgebietes.
Ebenfalls stellt die Untere Naturschutzbehörde fest, dass bereit seit 2016 eine Sichtschneise von einem Grundstück zum See bestünde. Dies würden historische Aufnahmen belegen, dass dort schon in den vergangenen Jahren ungenehmigte Rückschnitte stattgefunden hätten. „Seesicht hat nur ein Haus“, heißt es in dem Dokument und die zuständige Abteilung im Radolfzeller Rathaus habe keine dieser Maßnahmen veranlasst.
Juristisch habe man diesen Fall dennoch nicht verfolgt, erklärt Marlene Pellhammer, Pressesprecherin des Landratsamtes, auf Nachfrage: „Es gab keine belastbaren Anhaltspunkte, wonach der Eingriff einem Anwohner konkret zugeordnet werden konnte.“ Das Landratsamt schlägt der Stadt Radolfzell in seiner Stellungnahme vor, auf dem Gelände der Kläranlage einen großkronigen Baum in die Sichtachse zu pflanzen, um weitere Rückschnitte zu verhindern. Laut Nicole Stadach, Sprecherin der Stadt Radolfzell, wolle man dies im Herbst prüfen.