Ist das banale Comedy oder anspruchsvolle Psychologie, was Leon Windscheid da im Radolfzeller Milchwerk auf die Bühne bringt? Beides. Und nichts davon. Denn Comedy ist selten banal und Psychologie muss nicht aufwändig anspruchsvoll sein, sondern kann auch in kleinen Happen serviert kommen. Oder in Kreisen einer Burg, die sinnbildlich für unser Gehirn steht.

Dieses Bild zieht sich nämlich wie ein roter Faden durch den Abend, der eine Premiere ist: Der erste Termin der neuen Show „Alles perfekt“, die Leon Windscheid bis Ende 2025 kreuz und quer durch Deutschland reisen lässt. Es geht um eine Burg der Perfektion, deren Mauern wir nach und nach überwinden können bis zur Erkenntnis: Alles ist perfekt, wenn wir akzeptieren, dass es niemals perfekt ist.

Leon Windscheid ist promovierter Psychologe, er ist aber auch bekannt aus Funk und Fernsehen. Das begann vor etwa zehn Jahren bei der Quiz-Sendung „Wer wird Millionär“, wo er tatsächlich zum Millionär wurde. Das ging weiter mit diversen Fernsehformaten, in der ZDF-Mediathek finden sich beispielsweise zwei Staffeln seiner Show „Alles psychologisch“. Doch er wählt auch andere Formate für seine Wissenschaftskommunikation und spricht im Podcast „Betreutes Fühlen“ mit Atze Schröder – vielleicht hat er sich bei ihm die Comedy-Elemente abgeschaut?

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Perfekte Babys für 2500 Euro

Wissenschaftskommunikation klingt denkbar langweilig und trocken. Doch der promovierte Psychologe hat sich vorgenommen, dass es ganz anders ist. Lebensnah. Und das schafft er beim Tourauftakt mühelos. Dafür sorgen diverse Beispiele aus dem Alltag – und die sind teilweise erschreckend. Es geht um Slips mit Kohlefilter, die Pups-Duft neutralisieren. Es geht aber auch um einen Gentest, der sicherstellen soll, dass Kinder ohne genetische Krankheiten wie Krebs oder Autismus auf die Welt kommen. Der Embryo wird zum Produkt, wenn werdende Eltern dafür 2500 Dollar investieren.

Vor dem ersten Auftritt der neuen Show hatte Leon Windscheid etwas Respekt, erzählte er.
Vor dem ersten Auftritt der neuen Show hatte Leon Windscheid etwas Respekt, erzählte er. | Bild: Arndt, Isabelle

Es geht um Perfektion, immer wieder und immer mehr. „Wir fühlen doch, dass das zu viel ist“, sagt er zu Beginn des Abends. Zu viel Dubai-Schokolade und zu viel 10.000-Schritte-Laufen, um die Schokolade wieder loszuwerden. Zu viel Druck, Stress, Hamsterrad. Zu viel Perfektion. Und da kommt die Burg ins Spiel: „Je näher man der Burg kommt, desto mehr wird sie verteidigt“, erklärt Windscheid. Ein Sinnbild für unser Gehirn und die Erfahrungen, die schon viele Wege und Vorgehensweisen zementiert haben.

Doch man könne die Burg ja kennenlernen und vielleicht umbauen, schlägt der Psychologe vor. Ein Stück weit zurück zum Synapsen-Dschungel eines Neugeborenen, der doppelt so dicht sei, weil noch keine Trampelpfade aus Gewohnheiten gebildet wurden.

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Klingt nach Lebensberater, ist aber anders

Denn Leon Windscheid macht innerhalb von zweieinhalb Stunden Programm deutlich: Der ständige Drang nach Perfektion muss so nicht sein. „Es sind die Fehler, die uns ausmachen.“ Klingt nach Küchenpsychologie oder den Lebensberatern, von denen Windscheid laut eigener Aussage nichts hält. Er untermauert solche Sätze aber mit Fachwissen und kleidet es in unterhaltsame Experimente. Dafür braucht er beispielsweise nur Maurermeister-Martin und einen Kasten, der als Kühlschrank dient.

Maurermeister Martin ist ein Zuschauer, den die rund 800 weiteren Menschen im Saal im Lauf des Abends etwas besser kennenlernen. Er ist mit seiner Frau Carola aus Rottweil gekommen und hätte sich vermutlich nicht träumen lassen, wie prominent er in Radolfzell wird. Es beginnt damit, dass seine Frau ihn auf Nachfrage von Windscheid mit elf von zehn Punkten bewertet – im Gegensatz zu sieben Punkten für seinen Vorgänger. Da lacht nicht nur der Psychologe, sondern das gesamte Publikum. Das passiert noch häufiger an diesem Abend.

Mit der Zeit wird klar: Carola hat ihren Mann in die Show geschleppt und er weiß nicht mal, wie der Mann auf der Bühne heißt. Doch auf das Kühlschrank-Experiment lässt er sich gerne ein.

Enttäuschung ist, wenn es Erwartungen gibt

Das Hormon Dopamin gilt als Botenstoff des Glücks und wird besonders dann ausgelöst, wenn wir positiv überrascht werden. Von Fehlern im perfekten System. Beispiel Kühlschrank: Wenn Martin beim ersten Klopfen sein Lieblingsgetränk Cola gereicht bekommt, freut er sich. Beim zweiten Klopfen und der zweiten Cola ist es schon keine angenehme Überraschung mehr, er freut sich weniger. Doch wenn es keine Cola gibt, ist die Enttäuschung groß. Es geht also einerseits um Erwartung, aber auch um positiv überraschende Momente, so der Psychologe.

Bei der Show „Alles perfekt“ ging es auch um Leon Windscheids Füße, die er gerne hinter Lautsprecherboxen und Monitore versteckt – sie ...
Bei der Show „Alles perfekt“ ging es auch um Leon Windscheids Füße, die er gerne hinter Lautsprecherboxen und Monitore versteckt – sie haben Größe 49.3 und er habe lange damit gehadert, weil sie nicht perfekt sind. Bis er merkte: Müssen sie gar nicht. | Bild: Arndt, Isabelle

Premiere mit Mini-Patzern: „Mach es ängstlich“

Nicht ganz perfekt und damit perfekt zum Motto passend ist auch der Tourauftakt: Helfer Leo wird kurzerhand im Kühlschrank vergessen und muss sich nach einigen Minuten des Ausharrens selbst von der Bühne schleichen. Es ist der „vielleicht echteste Abend der Tour“, so Windscheid, weil an einigen Stellen noch gearbeitet werde. So entstand ein Abend, wie er ihn sich nicht besser hätte vorstellen können, erklärt er zum Abschluss.

Ganz passend zu einer Grafik, die er im Zuge seines Programms geteilt hatte, mit dem Slogan, dass man etwas tun soll (“do it“). Und wenn man Angst hat? Sollte man sich diesen stellen und einen Umgang finden: „Mach es ängstlich.“