Herr Windscheid, Sie beginnen Ihre neue Tour in Radolfzell. Warum gerade hier? Waren Sie schon einmal da?

Nein, ich bin zum ersten Mal da und mir ist es ganz wichtig, dass ich in möglichst viele Städte und Richtungen komme. Ich habe oft das Gefühl, dass sich alle in London stationieren und dann noch die Hauptmetropolen in Europa mit ihren Shows beglücken und das möchte ich ganz anders machen.

Ihre Show steht unter dem Motto „Alles perfekt“. Nimmt denn der Druck auf uns Menschen zu, perfekt zu sein und perfekt zu funktionieren? Und woran liegt das?

Ob sich das so pauschal sagen lässt, ist die Frage. Wir haben definitiv aktuell die Situation, dass viele Leute auf dem Zahnfleisch gehen, weil so viel auf uns einprasselt. Von Botox über 10.000 Schritte am Tag, über Donald Trump, den Ampelkrach, gut aussehen, Instagram… es ist teilweise so überfordernd, was in dieser Welt stattfindet, dass mein Eindruck ist, dass viele Leute merken, es ist zu hektisch, zu laut, zu grell. Trotzdem fällt es schwer, abends im Bett mal runterzufahren und das Handy mal wegzulegen. Ein internationales Forschungsteam hat kürzlich gesagt, bei der mentalen Gesundheit gerade bei jungen Menschen läuft richtig was aus dem Ruder. Es ist wichtig, dazuzusagen, dass es auch daran liegen könnte, dass wir für solche Themen sensibler werden und genauer hingucken. Aber ich glaube nicht, dass es nur daran liegt.

Bisherige Auftritte brachten ihn beispielsweise in diese altehrwürdige Halle in Wuppertal.
Bisherige Auftritte brachten ihn beispielsweise in diese altehrwürdige Halle in Wuppertal. | Bild: Jonathan Wenzel

Und meine Show versucht, dem etwas dagegenzuhalten. Aber nicht, indem ich sage, bitte nur noch Vier-Tage-Woche und alle auf der Mental-Health-Couch sitzen und nur noch entspannen. Im Gegenteil: Menschen wollen auch weiterkommen. Daher ist das für mich eher so eine Gratwanderung zwischen „ich möchte vorwärtskommen“ auf der einen und einem Abstürzen ins Ausbrennen auf der anderen Seite. Dazwischen müssen wir einen Weg finden. Das ist im Prinzip die Idee von meiner Show. Dass wir gucken, wie kann ich mir Ziele setzen und wie kann ich etwas erreichen, ohne mich dabei aus den Augen zu verlieren.

Sie haben es schon angedeutet: Dabei spielt die Digitalisierung oder Soziale Medien ja durchaus eine Rolle.

Absolut. Man muss aber immer aufpassen, ob man es jetzt auf eine Sache schieben kann. Man muss zum Beispiel auch sagen, dass es auch junge Menschen gibt, die sagen, auf Social Media habe ich Zuspruch gefunden und Menschen, die mir ähnlich sind. Ich persönlich habe aber noch nie gehört, dass jemand nach 30 Minuten Instagram- oder Tiktok-Scrollen sein Handy weglegt und sagt, das war doch eine gute Zeit. Wir wünschen uns eigentlich alle, dass wir weniger Zeit online verbringen. Und ich glaube, das liegt daran, dass wir uns dort so an vielen Stellen mit Nonsense berieseln lassen, weil wir es nicht mehr aushalten, wenn mal gar nichts mehr ist. Und hinzu kommt noch, dass wir die ganze Zeit vergleichen.

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Macht es denn einen Unterschied, ob wir die Erwartungen an uns selbst stellen oder an andere?

Ja und nein. Da geht es auch in der Show drum. An einer Stelle versuche ich zu zeigen, dass der Mensch nicht das einzige soziale Wesen ist. Wir leben in einer Gemeinschaft, das machen auch Wölfe, Vögel, Fische. Und das machen zum Beispiel auch Wanderameisen. Wenn die einen Weg entlang laufen, dann hinterlassen die Duftstoffe. Wenn da dann viele Ameisen entlang gelaufen sind, wissen die Ameisen, das ist ein guter Weg. Manchmal passiert aber ein Phänomen, das heißt „Circle of Death“ – Kreis des Todes. Da fängt eine Ameise an, im Kreis zu laufen und die nächste Ameise denkt „Wow, hier ist eine Duftspur“ und läuft hinterher. Und irgendwann läuft dieser ganze Ameisenstamm im Kreis, so lange, bis die Ameisen sterben.

Und was heißt das für uns, unseren Alltag?

Mein Eindruck ist manchmal, das ist das, was bei uns gerade passiert. Wir laufen mit im Kreis und machen, schaffen, tun, haben vielleicht auch eine ganz starke Angst, nicht mehr dazu zu gehören. Und merken nicht, dass wir als Gesellschaft in einem solchen Circle of Death unterwegs sind. Das Spannende bei den Ameisen ist, die brauchen dann einen Impuls von außen – es muss zum Beispiel ein Blatt runterfallen -, damit die ersten Ameisen ihren Weg rausfinden. Ich erzähle das den Leuten an dem Abend und das ist ein bisschen metaphorisch gemeint: Hey, Leute, wir laufen im Kreis, weil andere uns Druck machen.

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Die von hinten sagen, du musst gut aussehen und unbedingt mit 30 schon eine Doppelhaushälfte, einen Golden Retriever und am liebsten auch eine Familie und eine glückliche Ehe haben. Das können wir dann alles abliefern, und in dem Moment, in dem wir das tun, machen wir ja wieder anderen Druck. Jetzt kann man sagen, man läuft ja auch nur mit im Kreis. Aber wenn wir da zusammen ausbrechen wollen, muss man auch was dafür tun.

Was erwartet denn die Zuschauer, wenn sie zwei Stunden lang Psychologie live auf die Bühne bringen?

Das Allerwichtigste ist mir, dass wir uns zusammen eine gute Zeit machen. Es ist eine Achterbahnfahrt, die wir an dem Abend zusammen erleben. Es geht voll rein in unsere Psyche, es ist viel Wissenschaft dabei. Aber es ist kein Vortrag mit einem Professor mit weißem Rauschebart, den kein Mensch versteht. Es ist Entertainment. Wir haben ganz viele Einspieler dabei, ich mache Live-Experimente mit dem Publikum. Und es sind vor allem Impulse, die mit vielen Geschichten, vielen Bildern und vor allem auch mit viel Lachen den Menschen hoffentlich was mitgeben.

Leon Windscheid will mit Psychologie begeistern und schafft das regelmäßig im Fernsehen oder in Live-Shows. Die neue Tour startet am 20. ...
Leon Windscheid will mit Psychologie begeistern und schafft das regelmäßig im Fernsehen oder in Live-Shows. Die neue Tour startet am 20. November in Radolfzell. | Bild: Marvin Ruppert

Hat nach der Show idealerweise jeder gelernt, zufriedener mit seinem Leben zu sein?

Naja, das wäre vielleicht ein bisschen ein vermessener Anspruch. Ich sage eher, wenn ihr hier einen Impuls mitnehmt, dann wäre für mich schon alles erreicht. Ich habe schon die allerersten kleinen Tests von diesem Programm gemacht und da waren Momente, da sind Tränen geflossen, und im nächsten wurde wieder gelacht. Und das ist für mich ein Zeichen dafür, dass es was mit den Menschen macht und etwas anstößt im Kopf.

Es ist jetzt beinahe zehn Jahre her, dass Sie erstmals bei „Wer will Millionär“ öffentlich wahrgenommen wurden. Seither hat sich für Sie viel getan. Sind Sie denn selbst zufrieden mit ihrem Leben?

Ich bin wirklich zufrieden mit meinem Leben. Jetzt muss man fairerweise dazu sagen, ich hatte von Geburt an verdammt viel Glück. Ich finde es immer wichtig, sich das vor Augen zu führen und bin überhaupt kein Freund von Leuten, die viel erreichen, aber vergessen, wo sie eigentlich gestartet sind. In meinem Fall bin ich mitten in Europa auf die Welt gekommen, mit einer Krankenversicherung, mit Pausenbrot, als Kind von zwei total liebevollen Lehrereltern. Dann dieses Geld und damit Freiheit zu gewinnen und nicht bei der Unternehmensberatung anzufangen, was ich eigentlich vorgehabt hatte, sondern das machen zu können, was mich total erfüllt – da muss ich sagen, das empfinde ich als ein Riesenglück und bin total zufrieden.

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Es ist eher so, dass ich morgens aufwache und frage, wann kneift mich endlich mal einer. Es waren, glaube ich, 100.000 Leute bei der letzten Tour, ich war in der Lanxess Arena in Köln, aber auch in ganz vielen kleineren Gegenden, wo ich zum ersten Mal in die Orte gekommen bin. Und dann kommen da 1200 Menschen und haben Lust auf Psychologie. Wer da nicht mit zufrieden wäre, der hätte, glaube ich, ein großes Problem.