„Eey“, schallt es aus Richtung der Tafel in den Klassenraum. Die Reaktion der Schüler aus zwei Klassenverbänden der achten Jahrgangstufe am Friedrich-Hecker-Gymnasium ist dennoch kaum wahrnehmbar. „Eeeyy“, setzt der Mann mit Stirnband über der langen Haarmähne und dem Hardrock-Outfit aus Lederhose und Musik-Shirt nach. Diesmal hat er seiner Stimme derart Nachdruck verliehen, dass es umgehend still wird im Raum. „Der erste Eindruck zählt – den habe ich jetzt schon einmal von euch gewonnen“, sagt er.
Dieser Mann weiß, wovon er spricht
Mit diesem ungewöhnlichen Einstieg in den anderthalbstündigen Vortrag zum Thema Suchtprävention hat sich Timo Schüsseler am Projekttag zur Drogenprävention an der Schule nicht nur Gehör, sondern auch gleich den nötigen Respekt bei den Schülern verschafft. Ein derartig rauer Ton ist hier eigentlich nicht üblich. Aber ein solcher Besuch schließlich auch nicht. Der 46-Jährige ist auf einer Art Mission durch die bundesdeutschen Klassenräume, um Heranwachsenden höchst eindrücklich die Folgen einer Sucht vor Augen zu führen. Denn der Mann weiß, wovon er spricht.
Es dauert nicht lange und Timo Schüsseler berichtet aus seinem eigenen Leben, das in den vergangenen 17 Jahren massiv von den Folgen seines übermäßigen Alkohol- und Marihuana-Konsums gekennzeichnet ist. Bei dem 46-Jährigen sind zahlreiche Folgeschäden diagnostiziert, die ihn heute zu einem Frührentner machen. Seine Tätigkeit als gelernter Altenpfleger und Operationshelfer im Krankenhaus konnte er nicht fortführen, weil ihn die Sucht einfach nicht loslassen wollte.
Er nimmt kein Blatt vor den Mund
Am Ende musste er als verwahrloster, alkolholkranker Mann praktisch aus seiner Wohnung getragen werden, wie er berichtet. Es folgten innerhalb von vier Jahren zehn Therapien, bevor er sich stabilisieren konnte. Bei seinem eindrucksvollen Schilderungen nimmt Timo Schüsseler kein Blatt vor den Mund. Es fallen Schimpf- und Fäkalwörter, die im Schulalltag sonst tabu sind – ganz wie es sein T-Shirt-Aufdruck es bereits ankündigt. Dort findet sich der englische Hinweis darauf, dass es zu anstößigen Äußerungen kommt.
Doch die direkte Ansprache und ehrliche Schilderung kommt bei den Schülern an. So redet sonst niemand über den Genuss und die Folgen von Alkohol, Marihuana und anderen Drogen, die selbst im ländlich geprägten Radolfzell Alltag sind. Parallel zu seinen persönlichen Schilderungen vermittelt Schüsseler echtes Fachwissen zu den Ursachen von Sucht und wie man sie erkennen und bekämpfen kann.
Eigenkontrolle und Eigenverantwortlichkeit sind wichtig
Dabei spielen ihm seinen medizinischen Grundkenntnisse in die Karten. Er erklärt, warum der Mensch sich gerne mit Dingen belohnt, die ihm eigentlich gar nicht gut tun. Und das, obwohl ihm das durchaus bewusst ist. Das müssen nicht zwangsläufig Drogen sein, sondern können neben Genussmitteln auch das dauerhafte Computerspielen oder andere Dinge sein, die zu einer krankhaften Sucht mit all seinen Folgen führen können.
Viel wichtiger sind aber vielleicht die Ratschläge, die Timo Schüsseler aus den Erfahrungen seines Lebens geben kann. Er ermutigt alle Heranwachsenden, sie selbst zu sein und nicht zwanghaft anderen gefallen zu wollen. Außerdem appelliert er an die Eigenkontrolle und Eigenverantwortlichkeit: „Eure Eltern können euch nicht vor einer Sucht schützen. Das würden sie zwar gerne, aber ihr selbst seid für euren Konsum verantwortlich“, sagt er den 13-bis 15-Jährigen auf den Kopf zu.
Erst ansprechen, dann professionelle Hilfe
Um anderen zu helfen, die in eine Sucht abzudriften drohen, rät er zunächst zur persönlichen Ansprache und dann die professionelle Hilfe, die es praktisch überall und kostenfrei gibt. In Radolfzell gibt es beispielsweise die Außenstelle der Fachstelle Sucht in Singen in der Schützenstraße 2, erreichbar unter Telefon 07732 8203950. Die Öffnungszeiten sind Montag von 9 bis 12 sowie 14 bis 18 Uhr, Donnerstag von 9 bis 12 und 14 bis 16 Uhr sowie Freitag nur vormittags von 9 bis 12 Uhr.