Herr Özdemir, weil Sie gerade bei der Vorstellung der Cannabis-Pläne der Bundesregierung sagten, dass es beim Kiffen keine Parteigrenzen gibt: Haben eigentlich bei den Ampelkoalitions-Gesprächen nur die Köpfe geraucht oder hat man sich da auch auf anderer Rauch-Ebene zusammengefunden?
Also, ich war ja beim Wirtschaftsteil dabei. Und für diesen Teil kann ich definitiv ausschließen, dass irgendwelche Drogen zum Einsatz kamen – mal abgesehen vom Feierabendbier oder einem Viertele Wein nach getaner Arbeit.
Genusshanf ausschließlich für Erwachsene
Warum haben Sie als Agrarminister mit dem Gesundheitsminister die Cannabis-Pläne präsentiert?
Ich habe den Part mitverhandelt, nicht nur für mein Haus, sondern auch für die grünen Häuser insgesamt. Das ist ja ein Projekt von allen drei Koalitionspartnern. Mir war es wichtig, dass es einen guten Interessenausgleich gibt zwischen dem Jugendschutz einerseits und einer liberalen Politik auf der anderen Seite, also dass Genusshanf für Erwachsene – ausschließlich für Erwachsene – künftig legal zu erwerben ist.
Jugendliche holen ihr Gras auf dem Schwarzmarkt, das werden sie auch künftig tun. Da ändert sich doch gar nichts?
Zunächst mal: Ich werbe insgesamt dafür, ein drogenarmes Leben zu führen. Aber man muss unter 18 Jahren und über 18 Jahren klar trennen. Ich weise, wie auch der Gesundheitsminister, insbesondere bei Cannabis drauf hin, dass der Konsum für die Gehirnentwicklung überaus schädlich ist. Darum gilt für Jugendliche: Finger weg. Ich stelle aber fest, die Drogenpolitik der Vergangenheit ist gescheitert. Cannabis-Konsum ist Realität. Derzeit aber zulasten der Kinder und Jugendlichen, der Polizei und der Justiz.

Aber nochmal: Wie bekommen Sie die Jugend aus dem Schwarzmarkt?
Die Jugend hat einfach unter 18 Jahren kein Cannabis zu konsumieren. Weder in Clubs noch anderswo. Das ist einfach gefährlich. Ich bin zweifacher Vater und habe zwei minderjährige Kinder. Da bin ich sehr klar. Wir machen eine Regelung für alle, die volljährig sind und verbessern gleichzeitig den Jugendschutz.
Unter 18 Jahren eine gefährliche Droge, über 18 Jahren völlig legal – wie glaubwürdig ist das denn?
Das gilt doch für Rauchen genauso und für Alkohol schon bei 16-Jährigen. Der Verbotslogik von CDU und CSU folgend, müsste Markus Söder morgen ein Komplettverbot von Alkohol und Zigaretten fordern. Es gehört doch aber zu einer liberalen Demokratie, dass man als Erwachsener selbst entscheidet, ob man am Feierabend ein Viertele oder ein Weizen trinkt oder eben einen Joint raucht.
Europäische Staaten wollen Thema neu bewerten
Sie haben eine 17-jährige Tochter, das ist bestes Party-Alter. Wie gehen Sie in der Familie damit um?
Man kommt um das Thema nicht herum, wenn man sich in der realen Welt bewegt. Da hilft eben nur, dass man nicht mit dem Schaum vor dem Mund agiert, sondern aufklärt. Das gilt auch für Alkohol.
Cem Özdemir
Der Kehler Bürgermeister hat schon angekündigt, bei ihm in der Stadt werde es keine Cannabis-Clubs geben, weil er grenzüberschreitenden Drogentourismus fürchtet. Wie lässt sich das verhindern?
Viele europäische Länder, ob Malta, Spanien oder andere, unterziehen dieses Thema einer Neubewertung. Es gibt aktuell keine einheitliche Regelung in Europa. Wir werben dafür, dass sich in Europa die Sicht der Dinge ändert.
Sie haben gerade eine Bundeswehr-Übung absolviert. Wie hat sich die Uniform so angefühlt für Sie – als gelernter Erzieher, der eher dem bundeswehrfernen politischen Milieu entstammt?
Das war ja nicht neu für mich. Vor der Corona-Krise war ich schon einmal für ein Führungskräfteseminar in Munster bei den Panzereinheiten. Und wollte es jetzt als Minister erneut machen. Schließlich entscheide ich als Bundesminister und Parlamentarier ja auch über Einsatzmandate mit und schicke junge Leute auf Einsätze in die ganze Welt. Außerdem entscheidet der Bundestag über den Haushalt, also auch darüber wie die Bundeswehr ausgestattet wird.
Deshalb wollte ich wissen: Wie geht es unseren Soldatinnen und Soldaten? Man kann dazu einen kurzen Kasernenbesuch machen. In den wenigen Stunden bekommt man aber nicht wirklich einen tieferen Einblick und um den geht es mir. Deshalb ist es gut, wenn man sich mehr Zeit nimmt. Das habe ich vor meinen Tagen bei der Bundeswehr auch mehrfach in verschiedenen Bereichen in der Wirtschaft gemacht.
Aber ein grüner Agrarminister in Uniform hat doch noch mal eine andere Strahlkraft …
Ich nehme für mich in Anspruch, schon sehr früh die Position vertreten zu haben, dass sich Demokratien nicht von selber verteidigen. Da muss man manchmal Flagge zeigen. Denken Sie etwa an meine Position im Kampf gegen den Islamischen Staat, als die Jesidinnen versklavt wurden. Da habe ich klar und deutlich gesagt, dass man diesen Kampf nicht mit der Yoga-Matte unter dem Arm führen kann. Diese Position hatte ich auch, als Putin 2014 die Krim besetzt und die Ost-Ukraine angegriffen hat.
Hat man Ihnen auch mit auf den Weg gegeben, dass die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr jetzt auch endlich mal ankommen sollen?
Mir hat man vieles mit auf den Weg gegeben, und das natürlich auch. Aber vor allem, dass man sich Sorgen macht, ob das Interesse von Politik und der gesamten Zivilgesellschaft für Sicherheit und Verteidigung auch dann noch da ist, wenn der Krieg in der Ukraine hoffentlich bald endet, indem Russland sich zurückzieht.
Aber warum ist das Geld noch nicht geflossen?
Die Versäumnisse der vergangenen Jahre sind in so kurzer Zeit nicht aufzuarbeiten. Dazu muss nicht nur an der Finanzschraube gedreht, sondern es müssen Strukturen verändert werden. Unser Verteidigungsminister Boris Pistorius hat die Ärmel hochgekrempelt und sorgt dafür, dass das Beschaffungswesen vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Die Bundeswehr wird so umgebaut, dass es auch wieder um Landesverteidigung geht. Das ist nichts, was über Nacht funktioniert.
Wäre das auch ein Job gewesen, der Sie gereizt hätte? Sie hatten ja das Agrarministerium nicht unbedingt als erste Wahl auf dem Schirm.
Ich habe einen der spannendsten Jobs, den die Bundesrepublik derzeit zu vergeben hat …
Aber Boris Pistorius doch auch?
Ja, absolut. Er ist der richtige Mann zu richtigen Zeit. Man merkt: Der brennt für seinen Job. Genau wie ich für meinen. Schließlich geht es in meinem Bereich um etwas sehr Grundsätzliches: Wir müssen begreifen, dass Klimaschutz, Ernährungssicherheit und Biodiversität zusammengehören. Der Hunger ist dort am größten, wo die Klimakrise bereits voll zuschlägt. An dieser Frage wird sich entscheiden, ob sich eine wachsende Weltbevölkerung künftig sicher versorgen kann.
Das zweite Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen lautet: Bis 2030 soll niemand mehr hungern. Bis 2030 sind es aber nur noch sieben Ernten – und von Ernährungssouveränität sind wir weit entfernt. Dazu kommt, dass die Landwirtschaft einerseits Opfer der Klimakrise ist, aber gleichzeitig auch zu ihrer Verschärfung beiträgt. Hier zu einer zukunftsfesten Produktion zu kommen, das ist doch eine der spannendsten Aufgaben, die es gibt. Und es gilt ein klassisches Dilemma zu lösen auf dem Weg dahin: Denn die einen fühlen sich mit dem, was ich an Umbau mache, überfordert. Da müssen wir unterstützen. Anderen wiederum geht alles viel zu langsam. Beides in ein gesundes Verhältnis zu bringen, ist meine Aufgabe. Grüner geht es nicht.
Umbau der Tierhaltung als Großprojekt Özdemirs
Wo haben Sie denn schon etwas bewegt?
Nehmen Sie zum Beispiel unser Großprojekt, den Umbau der Tierhaltung. Hier haben wir jetzt als Erstes das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz auf den Weg gebracht. Ich gebe zu, dass das ein hartes Stück Arbeit war. Die hat sich aber gelohnt, denn die verbindliche Tierhaltungskennzeichnung wird kommen.
Zweitens ändern wir das Baugesetzbuch und machen es für die Landwirte einfacher, Ställe umzubauen. Drittens fördern wir den Umbau mit einem Bundesprogramm. Die Leistungen der Landwirte werden sichtbar und finanziell anerkannt. Und viertens werden wir die Immissionsschutzregeln anpassen, damit das auch rechtlich geht. Wenn diese vier Bausteine alle dieses Jahr verabschiedet sind, kann es losgehen. Das dient dem Klimaschutz, dem Tierschutz, dem Verbraucherschutz und es dient den ländlichen Räumen und der Landwirtschaft.
Markus Söder sagt ja, ohne Leberwurstbrot und Gelbwurst wäre seine Kindheit nicht so schön gewesen. Wie war denn Ihre Kindheit in dieser Hinsicht?
Bei der Leberwurst kann ich nicht mithalten, bei mir war es die Rote Wurst oder die Currywurst mit Pommes. Wobei das nicht freiwillig war, sondern daran lag, dass meine Eltern eben geschafft haben und der Bub was essen musste. Ich setze alles in meiner Macht daran, dass Kinder eine Chance haben, sich so zu ernähren, dass sie ihr Leben und das Alter in Würde und Gesundheit verbringen können. Dazu trägt eine ausgewogene Ernährung maßgeblich bei.
Der Herr Söder darf gerne seine Leberwurst essen. Aber es muss die Möglichkeit geben, dass jede und jeder sich saisonal, regional, mit höherem Bio-Anteil und pflanzenbasierter ernähren kann. Auch mit wenig Geld. Dafür ist Gemeinschaftsküche ganz wichtig, und dafür möchte ich unter anderem mit der Ernährungsstrategie bessere Angebote schaffen.

Bei Ihnen wird keiner zum Zwangsvegetarier gemacht?
Ich habe mein Ministerium nicht in Tofu- oder Sojaministerium umbenannt und frage auch nicht, wie sich die Leute ernähren. In unserer Kantine gibt es Fleisch, vegetarisch und auch mal vegan – wir haben einen ansehnlichen Bio-Anteil. Wichtig ist, dass es gut schmeckt, gesund ist und die Zutaten dürfen gern nachhaltig produziert und von heimischen Höfen sein. Gesünder ist, wenn man weniger Fleisch isst als bisher im Durchschnitt. Und das Fleisch aus tiergerechterer Haltung stammt.
Kein Interview mit Ihnen ohne Frage zur Kretschmann-Nachfolge. Also: Ein grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg, der im Amt bleibt, bis er fast 78 Jahre alt ist, statt vorher für einen Nachfolger Platz zu machen, hat a) historisches Format, hält sich b) für unersetzlich oder findet c) keinen geeigneten Nachfolger?
Historisches Format hat er mit Sicherheit – und viel Energie.