So eine Wahlkabine bekommt sicher einiges zu sehen. Menschen jeden Alters, jeder Gesellschaftsschicht, jeder Größe und Hautfarbe, suchen am Wahltag die Zurückgezogenheit der kleinen Box auf, um auf ein Stück Papier ein Kreuz zu setzen. In Deutschland wurde die Bevölkerung nun zum 21. Mal an die Urne gerufen.
Doch solche Gestalten hat die gemeine Wahlkabine bisher eher selten gesehen: In Radolfzell fanden sich zwischen Holzhauerball am Samstagabend (und sicher auch noch Samstagnacht) und Kinderball am Sonntagmittag etliche Hästräger in den Wahllokalen der Stadt ein, um ihrer Bürgerpflicht nachzukommen. Laut Wahl-Knigge ist das alles erlaubt. Solange man die Identität des Hästrägers eindeutig festzustellen ist, darf auch im Kostüm gewählt werden.
Darf man das?
Auch angetrunken darf man seine Stimme abgeben. Ein angemessenes und ruhiges Verhalten im Wahllokal ist allerdings Grundvoraussetzung, dass der Wahlleiter einen nicht doch rauswirft. Kein Problem also für alle, die das Wochenende direkt vor der heißen Phase der Fasnacht auf einer der vielen Veranstaltungen verbracht haben. Erst Höri-Umzug, dann Holzhauerball, dann Wählen – im Februar 2025 wird von engagierten Bürgerinnen und Bürgern so einiges abverlangt. Zum Glück wird es voraussichtlich eine einmalige Herausforderung für Narren und Wähler bleiben.
Blättert man zurück, fand die Wahl zum Bundestag bisher erst zweimal im Winter statt. Einmal am 6. März 1983. Nötig war die vorgezogene Neuwahl, weil die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt geplatzt war. Schmutziger Dunschtig im Jahr 1983 war der 10. Februar, fast ein Monat vor der Wahl. Das Häs hing da längst wieder im Schrank. Der zweite winterliche Wahltag war der 25. Januar 1987. Es war die letzte Wahl zum Bundestag vor der deutschen Wiedervereinigung, wovon aber an dem Tag noch niemand etwas wusste. Fasnacht gefeiert wurde am 26. Februar 1987. Ausreichend Zeit zwischen den Bällen und der Wahlkabine.
So haben die Radolfzeller Wahlkabinen nach 76 Jahren nicht nur große, kleine, dicke, dünne, junge und alte Wählerinnen und Wähler gesehen, sondern auch Hansele, Holzhauer, Klepperle, Gardist, Hexe, Narrenmodder, Kappedeschle und Schülerbue. Da die nächste Bundestagswahl voraussichtlich nicht mehr an Fasnacht stattfinden wird, muss das Regelwerk, was alles in die Wahlkabine mitgenommen werden darf, nicht zwingend aktualisiert werden. Die Saubloter und der Fensterrahmen können auch vor der Kabine warten.