Während des Gesprächs meldet sich Thomas Romers Handy. Eine Kurznachricht erscheint. "Hi Thomas, habe eben einen Apfeldieb auf Deinem Feld auf frischer Tat erwischt", lautet der Text, versehen mit einem Smiley, einem lachenden Gesicht. Thomas Romer muss auch schmunzeln. "Wer sich hier und dort mal etwas Obst nimmt und gleich isst", sagt er, "dagegen haben wir Bauern nichts. Inakzeptabel wird es jedoch, wenn das im großen Stil abläuft." So wie vor rund zwei Jahren, als in einer Nacht der gesamte Bestand an Braeburn-Äpfeln verschwand. Die Felder liegen oberhalb Litzelstettens in Richtung Purren. "Als wir damals Ende Oktober morgens zur Ernte dorthin gefahren sind, wollten wir unseren Augen nicht glauben", berichtet Thomas Romer, der den Hof in achter Generation führt.
Seit dem Vorfall ist Thomas Romer noch aufmerksamer als zuvor. "Es ist spannend zu sehen, dass zu Zeiten der Apfelernte viele Spaziergänger mit Tragetaschen rund um die Felder unterwegs sind", sagt er und ergänzt: "Dieselben Menschen haben im Winter oder im Hochsommer niemals Taschen dabei. Da würde ich ganz gerne mal hineinschauen." Wie hoch der wirtschaftliche Schaden durch Obst- und Gemüsediebstahl ist, kann er nur schwer abschätzen. "Vielleicht sind das ein oder zwei Prozent, die dadurch verloren gehen. Es existieren aber keine verlässlichen Zahlen."
Mundraub und die Rechtslage
Ist doch bloß Mundraub", denkt sich so mancher, der sich am fremden Apfelbaum bedient. Doch weit gefehlt:
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Mundraub-ParagrafBis zum Jahr 1975 gab es den Paragrafen 370 Abs. 1 Nr. 5 im Strafgesetzbuch, der den Begriff Mundraub fasste. Nahrungsmittel vom Feld zu nehmen, um sich zu ernähren, war schon damals strafbar, berührte aber insbesondere in Notzeiten eine juristische Grauzone – vor allem, wenn es um kleine Mengen ging. Mit der Strafrechtsreform wurde der Mundraub-Paragraf, der Geldstrafe bis 500 Mark oder Freiheitsstrafe bis sechs Wochen vorsah, abgeschafft.
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Rechtslage heuteEs macht juristisch keinen Unterschied, ob man einen Ladendiebstahl begeht oder Kirschen vom fremden Baum pflückt. Beides ist Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen gemäß Paragraf 248a StGB – wird allerdings nur noch auf Strafantrag verfolgt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Im Zivilrecht ist Obst stets Eigentum des Baumbesitzers, auch wenn der Zweig, an dem die Frucht hängt, ins Nachbargrundstück ragt. Man macht sich strafbar, wenn man den Apfel pflückt. Nachbarn werden erst zum Eigentümer, wenn Obst auf ihr eigenes Grundstück fällt. Fallen Früchte auf öffentlichen Grund, bleibt der Baumbesitzer ihr Eigentümer.
Benjamin Fuchs vom Fuchshof in Dingelsdorf-Oberdorf kennt das Problem: "Fast täglich spreche ich Menschen an, die sich bei unseren Obst- und Gemüsefeldern bedienen", erzählt er. "Ich gehe dann meist direkt auf sie zu und suche das Gespräch." In aller Regel verlaufe das ganz harmonisch, wobei die erste Reaktion stets die gleiche ist, wie Benjamin Fuchs berichtet: "Die Personen sind überrascht, wenn ich höflich nachfrage, was sie da machen. Dann sagen sie: Hier wächst doch so viel, da machen die paar Äpfel doch nichts aus." Er stimme dann zwar zunächst zu, weise aber auch darauf hin, dass er davon leben müsse. "Dann ist es fast immer so, dass die Menschen kurz darüber nachdenken und sich entschuldigen. Für uns ist das dann erledigt."

Benjamin Fuchs kennt aber auch andere Geschichten: "Es gibt auch die Personen, die dann ausfallend werden und sagen, dass ich mich nicht so anstellen solle." Und genau in diesem Moment hört das Verständnis auf, wie er sagt: "Diese Dreistigkeit ist wirklich unverständlich. So mancher denkt, dass Obst auf den Feldern jedem gehören würde und sich jeder bedienen kann. Dabei steckt sehr viel Arbeit dahinter." Viel Sinn, solche Einzelfälle bei der Polizei zu melden, sehen die Obstbauern nicht: "Das sind doch alles Bagatellfälle, die nur in ihrer Gesamtheit zu Schäden führen", erklärt Thomas Romer.
Christof Wurz, der auf der Reichenau Gurken, Salate, Radicchio, Sellerie, Feldsalat, Kopfsalat und Staudensellerie gewerblich anbaut, war soeben Opfer mehrerer Diebstähle. Einmal pro Woche wurde über einen Zeitraum von zwei Monaten in eines seiner Gewächshäuser eingebrochen, und jedes Mal fehlten rund 20 Gurken. Christof Wurz stellte schließlich eine Kamera auf, die von dem mutmaßlichen Dieb ein Bild machte. "Ich ging mit dem Bild über die Insel, aber niemand kannte den Mann", sagt er. "Immerhin hörte die Diebstahlserie auf." Er erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Bisher ohne Erfolg.
Thomas Straub vom Konstanzer Polizeipräsidium kann da auch nur wenig Hoffnung machen: "Die Aufklärungsquote hängt natürlich vom jeweiligen Einzelfall ab. Gibt es Zeugen, die die Tat beobachtet haben, sind die Chancen deutlich höher. Die durchschnittliche Aufklärungsquote bei Diebstahlsdelikten lag im Jahr 2016 bei rund 35 Prozent im Landkreis Konstanz. Diebstahl von Obst wird in der polizeilichen Kriminalstatistik jedoch nicht einzeln ausgewiesen."
Silvia Zeiler von Gemüse und Pflanzen Böhler auf der Reichenau ist stets von Neuem irritiert über die Reaktionen von Fußgängern, die sie quasi auf frischer Tat anspricht. "Es scheint nicht wirklich bekannt zu sein, dass wir vom Verkauf unserer Produkte leben müssen", erzählt sie. "Gerade vor ein paar Tagen habe ich Menschen angesprochen, die ein paar Kopfsalate einpacken wollten. Die haben partout nicht verstanden, wieso ich das nicht wollte."
Ist Mundraub erlaubt?
Bis zum Jahr 1975 gab es einen entsprechenden Paragrafen, und bis heute existiert im deutschen Sprachgebrauch der Begriff Mundraub – Nahrungsmittel vom Feld zu nehmen, um sich zu ernähren. Dieser Tatbestand stammt aus Notzeiten, als etwa Kartoffeln für den Eigenbedarf entwendet wurden. Mundraub war zwar schon damals strafbar, berührte aber eine juristische Grauzone und wurde meist toleriert. Vor allem, wenn es um kleine Mengen ging. Heute macht es juristisch keinen Unterschied, ob man einen Ladendiebstahl begeht oder ein paar Kirschen entwendet. Beides ist Diebstahl. Mundraub ist als Straftatbestand abgeschafft. Er bezeichnete bis zur Strafrechtsreform von 1975 die Entwendung oder Unterschlagung von Nahrungs- oder Genussmitteln in geringer Menge oder von unbedeutendem Wert zum alsbaldigen Verbrauch (früher § 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Zuletzt wurde Mundraub mit einer Geldstrafe bis 500 Mark oder einer Freiheitsstrafe bis sechs Wochen bestraft. Wurde die Tat zum Nachteil eines Nachkommen oder des Ehegatten begangen, war sie straflos.