Einen Nachfolger für Handwerksbetriebe zu finden, ist schwer genug. Besonders im Lebensmittelhandwerk. Der Reichenauer Bäckermeister Tobias Wurz aber hat es geschafft – und bewahrt so auch die Reichenau vor einem Absterben des ohnehin nicht üppigen Einzelhandels. Der 58-Jährige zieht sich aus dem Geschäft zurück und übergibt an den Konstanzer Robert Martin.

Robert Martin (rechts) will mit dem schon seit Jahren hier tätigen Bäckermeister Hans-Peter Stärk Laib & Seele in bewährter Form ...
Robert Martin (rechts) will mit dem schon seit Jahren hier tätigen Bäckermeister Hans-Peter Stärk Laib & Seele in bewährter Form weiterführen oder sogar noch verbessern. | Bild: Zoch, Thomas

Große Begeisterung für die Backwaren

Mit Gänseblümchen-, Löwenzahn- oder Hanfbrot, Backwaren aus dem Urweizen Kamut, der in Pharaonengräbern entdeckt wurde, und vielen anderen Kreationen hat Tobias Wurz bei Laib und Seele unter dem Motto „Alte Tradition – neu erwacht“ seit der Gründung im Jahr 2002 viele Kunden überrascht und begeistert.

„Der Preis war der Verzicht auf ein Privatleben“

Von weit aus der Region kommen Leute in den Laden im Ortsteil Oberzell mit Blick auf die St.-Georgs-Kirche. Nun hat der 58-Jährige das Geschäft abgegeben – schweren Herzens, „aber Geld ist nicht alles“, sagt Wurz im persönlichen Gespräch.

Der Aufbau des Geschäfts, das täglich geöffnet ist, und die viele Arbeit hätten ihn sehr viel Kraft gekostet. „Der Preis war der Verzicht auf ein Privatleben. Das war oft ein 26-Stunden-Tag. Ich habe manchmal gar nicht gewusst, was sich auf der Welt tut.“

Es gehe auch um Lebensqualität

„Irgendwann musst du mal aufhören. Ich kann erst wieder ich sein, wenn dieser ganze Ballast weg ist“, erklärt Wurz – und merkt augenzwinkernd an: „Der typische Reichenauer schafft bis 80 und stirbt mit 79.“

Dass er Laib und Seele nun habe abgeben können, sei einem glücklichen Umstand geschuldet, so Wurz. Sein langjähriger Freund und früherer Geschäftspartner Robert Martin aus Konstanz habe sich angeboten, die Bäckerei und den Laden mit 30 Mitarbeitern in seinem Sinne weiterzuführen.

„Einen Nachfolger im Handwerk zu finden, ist nicht einfach“

Es hätten zwar immer wieder mal Interessenten bei ihm angefragt, aber eher Investoren oder Bäckereiketten. Bedingung des Hauseigentümers sei zudem gewesen, dass Laib und Seele wie bisher weitergeführt werde, erklärt der 58-Jährige.

Bäckermeister Tobias Wurz mit Mitarbeiterin Reinhild Riedle im Jahr 2017: Viele Brotspezialitäten nach eigener Rezepturen wurden ...
Bäckermeister Tobias Wurz mit Mitarbeiterin Reinhild Riedle im Jahr 2017: Viele Brotspezialitäten nach eigener Rezepturen wurden angeboten und dabei oft alte Getreidesorten verwendet. | Bild: Zoch, Thomas

Anfang des Jahres war der Laden am Kloster der Familie Keller aus Altersgründen geschlossen worden, und bis Ende des Sommers wird der große Hofladen von Gemüse Böhler zu einem Selbstbedienungsstand geschrumpft sein.

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Vor einigen Jahren war bereits die einzige Metzgerei geschlossen worden. Die Schwierigkeit für Handwerksbetriebe generell, speziell aber im Lebensmittelhandwerk, einen geeigneten Nachfolger zu finden, bestätigt Sonja Zeiger-Heizmann, Fachbereichsleiterin für Wirtschaftsförderung und Unternehmensservice bei der Handwerkskammer Konstanz.

Fachkräfte im Backhandwerk sind gefragt

Das sei ein Topthema in der Beratung, weshalb die Kammer mittlerweile auf ihrer Homepage eine regionale Betriebsbörse anbiete. Im Fall Laib und Seele könne man sagen: Glück gehabt. „Das Bäckerhandwerk ist durchaus auch ein schwerer Beruf“, erklärt sie.

Wegen der Arbeitszeiten sei es schon schwierig, Auszubildende oder Fachkräfte zu finden. Und für inhabergeführte Bäckereien komme die Konkurrenz hinzu: durch Großbäcker und industrielle Backwarenherstellung, die günstiger seien. „Andererseits gibt es Bäcker, die sich gut positioniert haben mit Biowaren oder speziellen Produkten,“ sagt Zeiger-Heizmann.

Ein Unternehmer mit viel Kreativität

So wie Wurz mit Laib und Seele. Doch das sei nicht einfach gewesen, erinnert sich der 58-jährige Tobias Wurz. Als er die Idee gehabt habe, in den Räumen eines vorigen Getränkelieferdienstes eine Bäckerei einzurichten, hätten viele gedacht, das könne nicht funktionieren.

Der Vorplatz war damals schlichte Asphaltfläche. Doch wie in der Backstube zeigte Wurz auch bei der Gestaltung Kreativität. Als zum Beispiel auf dem Inseldamm einige alte Pappeln gefällt werden mussten, habe er sich von den Arbeitern einige der alten, mächtigen Stämme vor dem Laden aufstellen lassen. Das sei ein beliebtes Fotomotiv gewesen – und nützlich, um wilde Parkerei einzudämmen. „Die Leute sind fast in den Laden hineingefahren,“ erinnert sich Wurz.

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Selbst bezeichnet er sich als Food Designer und Lebensmittelentwickler. Etliche Jahre hat er gemeinsam mit seinem jetzigen Nachfolger, Robert Martin, das Café mit hauseigener Konditorei im Konstanzer Klinikum betrieben.

Danach gründete er in einem Gewächshausanbau bei seinem Elternhaus mit einfachsten Mitteln eine Lieferkonditorei. Dann übernahm er das Café-Bistro Zur schönen Au (heute das Schatzkischtle), bevor er mit Laib und Seele anfing.

Trotz Freizeit wieder neue Ideen

Nun genieße er erst einmal die Freizeit, so Wurz. Doch am Ende seines Arbeitslebens scheint der 58-Jährige damit noch nicht unbedingt angekommen. Er habe schon wieder neue Ideen, verrät Wurz. „Für Essen und Trinken gibt es immer einen Markt.“

Doch seine enge Vertraute Christine Müller, die selbst einen Handwerksbetrieb leitet, und seine langjährige Mitarbeiterin Sabine Lück, meinen, Tobias Wurz habe seit seinem 16. Lebensjahr jetzt erst mal genug gearbeitet: „Wir sind am Bremsen.“

So geht es weiter

Neuer Inhaber von Laib und Seele ist Robert Martin aus Konstanz. Der 65-Jährige ist pensionierter Betriebswirtschaftslehrer, betrieb mit Tobias Wurz das Café im Klinikum und gründete vor zwei Jahren mit Tochter Sandra erfolgreich das Café Auszeit im Paradies. „Ich bin noch voller Elan“, so Martin.

Bei Laib und Seele behalte er Konzept und Rezepturen bei, wolle die Angebote eher noch ergänzen und verbessern. Das komplette Personal habe er übernommen – allen voran Bäckermeister und Betriebsleiter Hans-Peter Stärk. „Die Rezepte des Herrn Wurz sind gut“, sagt Stärk. „Er ist sehr bekannt für seine kreative Backstube.“ Es werde weiter Pestobrot, Inselkruste oder Dinkelknörzer geben.