Es ist das Ende einer Ära. Nach 125 Jahren gibt es das Geschäft der Familie Keller, das zuletzt Laden am Kloster hieß, auf der Insel Reichenau nicht mehr.
In den vergangenen Jahrzehnten bot es Literatur zur Reichenauer Geschichte, Faksimiles von mittelalterlichen Büchern, Geschenkartikel, Kinderbücher, Fotoarbeiten sowie selbst gemachte Ansichtskarten und Kalender. Nun hat Gabriele Keller, die Witwe des im Januar 2017 verstorbenen Inselfotografen Theo Keller, das Geschäft aus Altersgründen Anfang des Jahres geschlossen und das Haus in der Burgstraße an die Gemeinde verkauft.
„Allein so ein Haus zu verwalten, war mir einfach zuviel“, erklärt sie.
Von Theodor zu Theo: Die Kellers kennt man
Das kann der Kultur- und Tourismuschef Karl Wehrle gut verstehen, aber er bedaure sehr, dass der Laden als Vermittler der Reichenauer Geschichte im Zentrum des Welterbes, direkt gegenüber dem Münster, nun wegfalle. Er sei eine wichtige Anlaufstelle für Gäste gewesen. „Es fehlt elementar etwas in diesem Bereich.“
Theo Keller und zuvor sein Vater Theodor hätten zudem als Inselfotografen eine wertvolle Bilddokumentation zur Reichenauer Geschichte des 20. Jahrhunderts geschaffen und den Tourismus auf der Insel nach dem Zweiten Weltkrieg tatkräftig gefördert.
Gründung 1893 als kleine Drogerie
In den frühen Jahrzehnten war das Geschäft der Kellers vor allem für die Einheimischen sehr wichtig. Als Kombination aus Buchbinderei und kleiner Drogerie habe ihr Großvater Joseph Keller den Laden im Jahr 1893 gegründet, erinnert sich Paula Maier; zunächst an anderer Stelle in der Burgstraße.

Anfang des 20. Jahrhunderts habe er dann das heute noch bestehende Haus gebaut. Gabriele Keller berichtet, der Großvater habe damals viel für die Gemeinden in der Region gebunden, Unterlagen und Protokolle. „Er ist mit dem Schiff um den ganzen Untersee gefahren.“
Und in der Drogerie habe es die für Reichenauer nötigen Sachen gegeben, so Maier, wie Handcreme, Kinderpuder oder Seife. „Früher hat man keine dekorative Kosmetik auf der Reichenau gebraucht.“ Joseph Keller gründete auch bereits einen eigenen Verlag zur Herstellung von Ansichtskarten, so Wehrle.
Das ein oder andere Gundelboot hat wohl Spuren von Teer aus dem Hause Keller
Nach dem Tod von Joseph Keller 1937 habe sein Sohn Theodor nach Lehr- und Wanderjahren das Geschäft übernommen, erzählen Gabriele Keller und Paula Maier. Die Buchbinderei gab er auf, erweiterte dafür die Drogerie um Fotoarbeiten und Papierwaren.

In der Drogerie habe es alle möglichen Ingredienzien zum Abfüllen gegeben wie Baldrian, Franzbrandwein, Leinöl und sogar Teer für die Gundelboote. Außerdem seien Farben zum Anstreichen, oft selbst angerührt, im Angebot gewesen und auch Sämereien und Spritzmittel für den Gemüsebau.
„Geh‘ zum Keller und kauf‘ eine Flasche Rotbäckchen-Saft“
Der 60-jährige Tourismuschef Wehrle erinnert sich noch gut an seine Kindheit. Wenn ein neues Schuljahr begann, hätten alle bei Keller ihre Schulhefte gekauft oder neue Füllhalter. „Und wenn ein Kind krank war, dann hieß es, geh‘ zum Keller und kauf‘ eine Flasche Rotbäckchen-Saft.“
Mit der Geschäftsübernahme durch Theodor Keller begann auch die Zeit der Inselfotografen, so Gabriele Keller. Er habe nicht nur das Sortiment an eigenen Ansichtskarten erweitert, sondern auch Werbeprospekte und Gebrauchsartikel wie Papiertütchen oder Schreibblöcke mit Reichenau-Motiven versehen, um die Reichenau bekannter zu machen.
Wichtige Dokumentationen für die Geschichte der Reichenau
„Das war der Anfang von Souvenirartikeln.“ Theodor Keller fotografierte auch – wie später sein Sohn Theo – viel für Literatur über die Insel. Die beiden Inselfotografen hätten einfach alles in Bildern festgehalten, das Leben, Arbeiten und Wissenschaftliches, so Wehrle. „Die Geschichte der Reichenau im 20. Jahrhundert ist dokumentiert durch Theodor und Theo Keller.“
Theodor Keller war zudem nach dem Krieg einer der Mitbegründer des Verkehrsvereins und lange dessen Vorsitzender, so Wehrle. Und seine vielleicht wichtigste Leistung für die Reichenau sei es Mitte der 1950er-Jahre gewesen, eine Ausstellung mit den wertvollen Original-Handschriften aus der großen Klosterzeit zu organisieren. „Das wäre heute unmöglich.“
Wandel zum Laden für Touristen
Die Resonanz war entsprechend groß. Gabriele Keller erinnert sich: „Mein Mann hat erzählt, da habe er zum ersten Mal Japaner gesehen.“ Theo Keller engagierte sich ebenfalls im Verkehrs- und auch im Museumsverein. Ins Geschäft der Familie war er Ende der 60er-Jahre eingestiegen, übernahm es Anfang der 80er.
Der Laden war mittlerweile umgebaut, das Sortiment stetig den Bedürfnissen angepasst worden, so Paula Maier. Zeitweise habe es auch Badeartikel wie Schwimmringe oder Schlappen gegeben. Theo Keller legte den Schwerpunkt mehr auf Bücher und Artikel zur Reichenau, benannte den Laden Anfang der 1990er um von Drogerie, was bis dahin am Haus stand, in Kunst, Bücher, Foto Keller. Später machte er auch einige viel beachtete Filme komplett selbst.
Und zum 100-Jahr-Jubiläum des Geschäfts organisierte Theo Keller mit seiner Frau 1993 selbst eine große Ausstellung. Rund 100 Faksimiles von Reichenauer Handschriften und ein Original habe man für die große Sonderausstellung „Strahlendes Mittelalter“ im Museum zusammengetragen, berichtet Gabriele Keller. Auch dies wurde zu einem Höhepunkt in der jüngeren Reichenauer Geschichte. Rund 15.000 Besucher kamen in diesem Jahr ins Museum, erklärt Wehrle. „So viele hatten wir sonst noch nie.“
Was passiert jetzt mit dem früheren Laden?
Das traditionsreiche Geschäft der Familie Keller in der Burgstraße auf der Reichenau gibt es zwar nicht mehr. Doch Bürgermeister Wolfgang Zoll erklärt, dass nach dem Kauf des Hauses durch die Gemeinde für gut eine Million Euro grundsätzlich eine Fortführung der bisherigen, öffentlichen Nutzung geplant sei, allerdings mit anderer Gewichtung.
Gabriele und Theo Keller sowie dessen Schwester Paula Maier hatten in den vergangenen Jahren zusätzlich sonntags bei schönem Wetter ein kleines Gartencafé betrieben. Das Café solle nun im Vordergrund stehen, so Zoll, und im kleinen Umfang solle es Bücher und Infos zur Reichenau geben. Die Gemeinde werde das Haus hierfür verpachten, müsse es aber zuvor umbauen.
Der Neustart werde daher sicher erst im Frühjahr 2020 erfolgen. Auf jeden Fall erhalten bleibt die umfangreiche Fotosammlung der Inselfotografen Theodor und Theo Keller. Dessen Witwe Gabriele hat diese dem Gemeindearchiv übergeben, was für die Gemeinde sehr wichtig sei, so Kulturchef Karl Wehrle und der Bürgermeister: „Das ist das visuelle Gedächtnis des 20. Jahrunderts.“