Wie ein kleiner Fels in der großen Baustellenbrandung steht eine unscheinbare Kapelle an der Kindlebildkreuzung. Sie wartet auf die Fertigstellung der Bauarbeiten – und das nicht zum ersten Mal. Der Bereich der heutigen Kindlebild-Kreuzung erlebt mit dem Umbau zum autobahnartigen Knoten derzeit die dritte, größere Verwandlung in 45 Jahren. Und mit ihr die Kindlebild-Kapelle, die noch Anfang der 1970er-Jahre direkt an der Ecke einer kleinen, gefährlichen Straßenecke stand. Damals führte die Straße von Konstanz in einer leichten Kurve zur Insel Reichenau und hatte eine Abzweigung im rechten Winkel Richtung Waldsiedlung und Hegne, die sich in mehreren Kurven über einen kleinen Bahnübergang schlängelte. Die kleine Kindlebild-Kapelle stand genau an dieser kleinen Kreuzung und damit direkt an einem Unfallschwerpunkt.
Das Jahr 1974 brachte eine Wende in dieser Verkehrssituation: Die Straßenführung veränderte sich und um das winzige Kirchlein wurde der Verkehrslärm leiser. Ab damals fuhren die Zwei- und Vierräder nur noch geradeaus an der Kapelle vorbei zur Insel. Wo zuvor Jahrzehnte lang die Autos an ihr abgebogen waren, verschwand die einstige Hauptverkehrsachse durch eine Verlegung. “Die nunmehr gut ausgebaute Straße schwingt in einem sanften Bogen an der Kapelle vorbei. Die scharfe und gefährliche Ecke, an der immer wieder Unfälle passierten, gibt es nicht mehr”, beschrieb ein SÜDKURIER-Artikel im August 1974. Es entstand die erste, große Kindlebild-Kreuzung – zunächst ohne Ampelanlage, später mit Ampel und Veränderungen an den Straßen. In den Folgejahren wurden auch die heute bekannte Bundesstraße 33 und die Brücke über die Bahnschienen gebaut.
Der Parkplatz bei der Kapelle kam später ebenfalls hinzu. Feststellungen bei jüngsten archäologischen Sondierungen im Bereich Kindlebild passen zum Umbau der Straßen vor rund 40 Jahren. "Wir haben teils moderne Auffüllungen aus den 60er- oder 70er-Jahren gefunden", sagt Kreisarchäologe Jürgen Hald. Auf einen möglichen Friedhof bei der Kapelle gab es jedoch keine Hinweise (siehe Erklärtext).
Die denkmalgeschütze Kindlebild-Kapelle und ihre Entwicklung
Die Kindlebildkapelle gibt es seit etwa 1644 und sie hat sämtliche Straßenumbauten um sie herum überstanden:
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Entstehung und NameDie frühbarocke Kindlebild-Kapelle wird in der Literatur teilweise auf 1644 datiert, obwohl sich dieses Datum genau genommen nur auf den Sandsteinaltar bezieht. Das Entstehungsjahr ist nicht bekannt, wird aber in etwa dieser Zeit vermutet. Das Gewann Kindlebild und der Name der Kapelle sollen darauf zurückgehen, dass dort vor Jahrhunderten ungetaufte Kinder bestattet worden sein sollen. “Es war verboten, auf der Insel Waffen zu tragen und ungetaufte Kinder durften in derselben nicht begraben werden. Eine abgesonderte Stelle, wohin eine Kapelle, noch jetzt Kindlebild genannt, gesetzt wurde, war dazu bestimmt, diese armen Geschöpfe (...) aufzunehmen," zitierte Karl S. Bader im Jahr 1960 in einem Beitrag über die Reichenau für "Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung". Mit Mittelalter gab es als Vorläufer der Kapelle einen Bildstock. Archäologische Untersuchungen konnten aber keine Beweise für Bestattungen bei der Kapelle finden.
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Der AltarraumDer Altarraum zeigt an den Wänden links und rechts Figuren des Heiligen Georgs und Michaels sowie eine trauernde Maria. Auf dem 1,20 mal 1,20 Meter großen Altarbild umrahmen acht Bildnisse eine Jesus am Kreuz, neben dem Johannes und Maria stehen. Es sind an den Ecken vier Szenen aus dem Kreuzweg Christi und dazwischen Darstellungen der vier Evangelisten Markus, Lukas, Matthäus und Johannes. Ein Kruzefix aus dem 12. Jahrhundert, das zuvor anstelle der Maria in der Kapelle hing, ist heute in der Schatzkammer des Münsters.
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Erweiterung und RenovierungenIn den 1860er-Jahren wurde der Vorraum der Kapelle erweitert. Etwa Anfang 1900 gab es eine Renovierung, bei der die Farben des damaligen Altarbilds einfach übermalt wurden. 1959 renovierte die Kunstwerkstätte von Viktor Metzger aus Überlingen den Altar und das Relief. Die bisher jüngste Renovierung war 1979/1980. "Mit der Erneuerung des Daches hatte die Rettung der Kindlebildkapelle Anfang 1979 begonnen. Im Frühjahr dieses Jahres hatte dann das Landesdenkmalamt Freiburg den akademischen Maler und Restaurator Claus Hildebrandt aus Kandem mit der Untersuchung des Innenraums beauftragt. Ende Mai machte sich seine Mitarbeitern, die Restauratorin Elke Thiessen, ans Werk, das nun beendet ist", hieß es in einem Artikel im November 1980, als die Übergabe des Kapellen-Schlüssels an den damaligen Bürgermeister Eduard Reisbeck stattfand. Thiessen stellte das Aussehen der Kapelle um 1880 wieder her.
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Kurioses EreignisVor 200 Jahren herrschte Hochwasser und die Kapelle hatte einen Schiffsunfall. So heißt es im 1860 erschienen Buch “Die Insel Reichenau im Untersee": “Beim großen Wasser 1817 aber fuhr einmal von der Schweiz herüber an die Kapelle nachts ein Schiff, wo das Gitter herausgebrochen und gestohlen wurde. Die Einlasse sind noch heute zu sehen." (löf)
Mit dem derzeitigen Ausbau des Kindlebildknotens ist beim Verkehr, aber auch bei der Kapelle alles anders geworden. Die neue Verbindung von Kindlebildstraße und Pirminstraße über die Brücke mit dem kleinen Kreisverkehr liegt so, dass die Kapelle nun auf der anderen Seite der Straße Richtung Insel steht und die Straße im Rücken hat. Die Entfernung zur Fahrbahn beträgt zehn Meter.
Nachdem der Verkehr nun bereits wie geplant über den neuen Knoten fließt, steht in der Endphase noch der Bau des neuen Parkplatzes an, in dessen Bereich die Kapelle steht. Sie soll außerdem einen Ruheraum bekommen. Landschaftsplaner Michael Eberhardt erklärte bereits im vergangenen Jahr, dass vor der Kapelle, die nach Fertigstellung des Kindlebildknotens am neuen Parkplatz mit Toilette steht, ein geschützter Bereich entstehen werde. Auch Bürgermeister Wolfgang Zoll sagte, dass es ein Ort der Einkehr werden solle. Um die Kapelle stehen einige Bäume, die durch weitere Bepflanzungen ergänzt werden sollen. Dafür sowie für Infotafeln gibt es noch eine Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde. Außerdem steht nach den Bauarbeiten eine Renovierung der Kapelle selbst an. Bis dahin bleibt der Eingang zum Schutz mit Holz verschalt. Der schützende Bauzaun ist aber schon weg.
Historische Zeitungsberichte zum Download
Dateiname | : | Die Kindlebildkapelle 1959 |
Datum | : | 04.10.2017 |
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Dateiname | : | Die Kindlebildkapelle 1986 |
Datum | : | 04.10.2017 |
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Dateiname | : | Die Kindlebildkapelle 1989 |
Datum | : | 04.10.2017 |
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Dateiname | : | Die Kindlebildkapelle in den 70ern |
Datum | : | 04.10.2017 |
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