Touristiker, Gastronomen und auch Gäste am Untersee hatten sich schon seit Wochen gefragt, warum Restaurants und Hotels nicht endlich wieder öffnen dürfen. Die schon mehr als ein halbes Jahr dauernde Schließung sei einfach nicht mehr nachvollziehbar und vermittelbar, sagte in der vergangenen Woche noch der Allensbacher Seegarten-Wirt Rainer Brandt auf Nachfrage des SÜDKURIER.
Ebenso der Reichenauer Tourismuschef Karl Wehrle, der nun nach der kurzfristig von der Landesregierung beschlossenen neuen Verordnung mit Öffnung von Gastronomie und Hotellerie im Gemeinderat betonte: „Das war längst überfällig.“ Die Betriebe im Gastgewerbe seien schließlich nicht die Treiber gewesen bei den Corona-Zahlen. Und sie hätten im vergangenen Jahr viel Geld investiert, um den Besuch von Gästen zu ermöglichen.
„Wir sind froh, dass jetzt dieser Schritt gemacht wurde“, betonte Wehrle. Doch neben der Freude gebe es auch viel Frust und Verunsicherung in den Betrieben und bei Gästen. Zum einen wegen der Kurzfristigkeit. „Das war wieder mal eine Ad-hoc-Entscheidung“, monierte Wehrle die Landesregierung, „nicht visionär“. Er wundere sich über die Weltfremdheit und Unkenntnis der Entscheider. Es fehlten Strategie und zeitlicher Vorlauf wie in manch anderem Bundesland. Denn von heute auf morgen könnten nicht alle Betriebe öffnen.
Restaurants, die Essen zum Mitnehmen angeboten hatten, seien da vielleicht etwas im Vorteil, aber: „Bei den Hotels sieht es ganz anders aus.“ Es brauche Zeit, diese Betriebe hochzufahren. Und es brauche Personal. Er wisse, dass im Winter viele Servicekräfte in andere Bereiche abgewandert seien. Neben den massiven wirtschaftlichen Verlusten im Gastgewerbe gebe es damit auch Verluste bei der Servicequalität. Auf jeden Fall werde mancher Betrieb im Gastgewerbe erst gegen Ende Mai wieder öffnen können.
Für Fragen und Verunsicherung sorgten auch die mit der Öffnung verbundenen Hürden, berichtete Wehrle, vor allem das Testen. Es gebe in der Tourist-Information viele Anfragen von Vermietern, wie dies ablaufen solle. Und was sei, wenn ein Gast während des Aufenthalts auf der Reichenau positiv getestet würde. Müsse der gleich abreisen oder hier in Quarantäne bleiben? Und müsse der Gast dann die gebuchten Nächte bezahlen? In Restaurants gebe es das Problem, dass Gäste es nicht verstehen im Restaurant einen Test zu benötigen, wenn sie zuvor ohne Test im Supermarkt einkaufen waren. „Die Menschen verstehen es oft nicht“, so Wehrle. „Das ist schwierig zu vermitteln.“
Um den Tourismus wieder einigermaßen zum Laufen zu bringen, müsse es genügend Testmöglichkeiten geben, so Wehrle – und dies möglichst unbürokratisch ohne Voranmeldung. Dies sei für ihn Aufgabe der Kommune, betonte der Tourismuschef. Denn diese bekomme das vom Land finanziert. Die Betriebe hingegen müssten selbst zusätzlich investieren. „Das ist für mich auch eine Wirtschaftsförderung für diesen gebeutelten Bereich“, sagte Wehrle.
Unterstützung erhielt er von Bürgermeister Wolfgang Zoll: „Ich denke, die Branche ist schwer gebeutelt. Es wird Zeit in Anspruch nehmen, bis sie wieder in Tritt kommt. Wir werden das durch zusätzliche Testangebote unterstützen.“ Geplant seien solche – möglichst ab Pfingsten – in Oberzell am Bruckgraben für Fußgänger und Radfahrer sowie am Parkplatz für Autofahrer und an der Schiffslände.
Gemeinderäte kritisieren die Tourismusverbände
Kritik an den Verantwortlichen im Tourismus äußerten dagegen Matthias Graf (CDU) und Gabriel Henkes (Freie Liste Natur). Die Tourismusverbände hätten sich in der Zeit der Schließung auf die Öffnung vorbereiten können, meinten sie. Henkes nannte es gar eine Frechheit, dass der Tourismus nun von der Kommune Testmöglichkeiten fordere. „Ihr habt kein Konzept“, so sein Vorwurf. Dagegen verwahrte sich Wehrle: „Es war ja völlig unklar, wie sich die Situation entwickelt.“ Unterstützung erhielt er vom Bürgermeister, aber auch von Berndt Wagner (CDU): „Wir haben eine kuriose Corona-Politik, die sich nur an Virologen orientiert“, äußerte er. Die Betriebe könnten nicht auch noch testen.
Wehrle äußerte sich zudem zu den Aussichten auf Feste und Kultur. „Ich glaube nicht, dass wir ein Weinfest 2021 durchführen können“, prognostizierte er zu dieser Großveranstaltung der Vereine Anfang August. Doch man lasse sich noch etwas Zeit und könne bis Mitte Juni entscheiden. Mehr Hoffnung habe er bei den klassischen Kulturveranstaltungen im Juli, dem Theater auf der Insel und der Inselklassik im Klosterhof. Mit reduzierter Besucherzahl, Hygienekonzept und Test könnte dies möglich sein.
Die von Wehrle angesprochenen Probleme in der Gastronomie und bei Übernachtungsbetrieben durch die plötzliche Öffnung hatte in der Woche vor der neuen Verordnung beim Campingplatz Sandseele Pächterin Caroline Motz bestätigt. „Von Null auf 100 mit dem Personal hochfahren ist schwierig.“ Bei ihr auf dem Platz seien auch noch nicht alle Mitarbeiter, diese seien teils noch im Ausland und müssten möglicherweise nach der Einreise erst noch in Quarantäne. „Wir sind immerhin schon gut organisiert durch das To-go-Geschäft“, so Motz. Seit rund drei Wochen biete man Essen zum Mitnehmen, die Karte habe man etwas umgestellt auf mehr Fingerfood oder Wraps.
Am Donnerstag soll der Campingbetrieb starten
Wobei die erfahrene Campingplatzbetreiberin anmerkt, aus der besonderen Situation auch einiges lernen zu können. So habe man zum Beispiel auf wiederverwertbare Verpackungen umgestellt und das Recup-System eingeführt, also Pfandbecher. „Das kommt super an. Das wollen wir beibehalten.“ Im Selbstbedienungs-Restaurant habe sich bewährt, dass die Leute mit Abständen Schlange stehen – und sich nicht wie früher eine Menschentraube um die Theke bilde. „Das funktioniert reibungslos“, hat Motz festgestellt.
Der Campingbetrieb starte am Donnerstag. Auch die Sanitäranlagen dürften geöffnet und genutzt werden. Generell setze man ein Hygienekonzept streng um, habe Hinweisschilder drucken lassen, biete auch die Luka-App und QR-Codes zum Einchecken. Aber so oder so: Es fehlen wie schon im Vorjahr die Einnahmen von zwei Monaten.