Die Schiebetür öffnet sich. Dahinter befindet sich im Archäologischen Landesmuseum Konstanz (ALM) ein dunkler Gang, der bei 19 Grad Raumtemperatur verschiedene Gegenstände ausstellt. Das dämmrige Labyrinth führt die Besucher durch die Ausstellung „Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“. Vor Licht und Hitze geschützt, befindet sich dort eine einzelne Buchseite.

Fragment aus dem Astrolablehrbuch, entstanden 980 nach Christus. Aktuell in der Ausstellung des Archäologischen Landesmuseums zu sehen.
Fragment aus dem Astrolablehrbuch, entstanden 980 nach Christus. Aktuell in der Ausstellung des Archäologischen Landesmuseums zu sehen. | Bild: Anjuli Rossa

Das Fragment stammt ursprünglich aus einem Lehrbuch für Astrolabien. Diese scheibenförmigen Mess- und Rechengeräte wurden im Mittelalter zur Berechnung von Sternpositionen verwendet. Die ausgestellte Seite dient als eine Art Bedienungsanleitung für derartige astronomische Geräte.

Mit einem Astrolabium wurden bereits im Mittelalter zum Beispiel Sternpositionen berechnet. Die Erfindung sowie die dazugehörigen ...
Mit einem Astrolabium wurden bereits im Mittelalter zum Beispiel Sternpositionen berechnet. Die Erfindung sowie die dazugehörigen Schriften gelangten mit der Zeit aus dem islamischen in den christlichen Kulturraum. | Bild: Anjuli Rossa

Der recycelte Schatz im Einband

Aber wie gelangte die Einzelseite in die Konstanzer Landesausstellung? Der Historiker und Konstanzer Stadtarchivar Jürgen Klöckler erklärt, dass der Ursprung der Schrift lange vor unserer Zeit – nämlich 980 nach Christus in Barcelona vermutet wird.

Erkenntnisse aus dem Astrolablehrbuch basieren auf dem Wissen arabischer Gelehrter. Später brachten Geistliche das Werk nach Frankreich, in das Kloster Fleury. Dort wurden Äbte ausgebildet, auch Abt Berno vom Kloster Reichenau. Dieser brachte wiederum das Schriftstück an den Bodensee, sodass der dortige Mönch Hermann der Lahme damit in Kontakt kam.

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Jürgen Klöckler erzählt begeistert: „Hermann der Lahme muss über diese Seiten geblättert haben.“ Laut dem Historiker habe sich der Reichenauer Mönch auf Astrologie spezialisiert. Nachdem das Buch auf der Insel Reichenau angekommen war, durchwanderte es noch viele Stationen, bis es letztlich im Spital Konstanz landete.

Die Spitalmitarbeiter bekamen dann den Auftrag, Rechnungsbücher zu binden, die Dokumente aus dem 16. und 17. Jahrhundert enthielten. Dazu stellten die Mitarbeiter stabile Einbände her. Sie verklebten wahllos viele einzelne Seiten aus anderen Büchern. Eine der Seiten stammt aus dem Astrolablehrbuch aus Barcelona.

Rechnungsbuch von 1588, in dessen Einband das historisch kostbare Fragment schlummerte.
Rechnungsbuch von 1588, in dessen Einband das historisch kostbare Fragment schlummerte. | Bild: Anjuli Rossa

Die Rechnungsbücher mit den besonderen Umschlägen finden im frühen 20. Jahrhundert ihren Weg ins Konstanzer Stadtarchiv. Die damaligen Historiker fragen sich zunehmend, woraus die Einbände bestehen. Ihre Entdeckungsneugier ist geweckt. „Es war klar, dass alte Dokumente für die Einbände verwendet wurden“, sagt Jürgen Klöckler.

Für die Forscher beginnt eine moderne Schatzsuche. In den 1930er-Jahren lösen sie die Einbände in ihre Fragmente auf. Dabei wird auch die Astrolabseite aus dem verklebten Verbund herausgelöst. Jahrelang verschwindet die einzelne Buchseite wieder im Stadtarchiv. Erst in den 80er-Jahren findet ein deutscher Historiker das Dokument wieder und erkennt seine Bedeutung.

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Der Leiter des Stadtarchivs Konstanz nennt es einen „Überlieferungszufall“. In diesen Tagen liegt die besondere Buchseite in einem Glaskasten und kann besichtigt werden.