Was war bloß los in den 1970er Jahren in der Singener Scheffelstraße? Wie ein schleichendes Virus wälzte sich die Abrissbirne durch die Einkaufsstraße.

Wer im Stadtarchiv die Dokumentation von Franz Höning aus dem Jahr 1999 zur 100-jährigen Stadtgeschichte studiert, traut seinen Augen kaum: Die Nummer 8 fällt im November 1974. Das Kolonialwarengeschäft von Carl Leuthner war da schon längst einem Neubau gewichen. Juwelier Stein zog Anfang der 1970er Jahre aus der August-Ruf-Straße in die Scheffelstraße. Ebenfalls zu Beginn dieses Jahrzehnts fiel auch das Hotel „Ekkehard“ in der Scheffelstraße 13. Das Vereinslokal des Velo-Clubs war unrentabel und litt unter häufigem Pächterwechsel.
Das Ende etlicher Hotels
Noch im Alter von 92 Jahren stellte Franz Maurer 1975 den Antrag auf Abriss und Komplettneubau des Eckhauses Hegaustraße 14, in dem sich heute die Hohentwielapotheke und die Firma Hörgeräte Oexle befinden. In der Scheffelstraße 16 hatte die Familie Limbrock-Darpe 1974 einen Teilabriss und Neubau vollzogen. Bereits 1969 war das „Kolosseum“ in der Scheffelstraße 17, ebenfalls ein Gebäude mit wechselhafter Geschichte von Brauerei über Aluminiumgießerei bis hin zum Autohaus Brecht, dem Erdboden gleichgemacht worden.
1974 wurde das Gasthaus „Blume“ mit der Nummer 22 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Der damalige Besitzer Albert Hertrich hatte das Haus verpachtet. Es gab immer wieder Ärger wegen Ruhestörungen. Schließlich stellte die Hohentwiel-Gesellschaft 1974 den Antrag auf Abriss und Neubau.

Auch das Brödler-Eck mit den Nummern 28 und 30, am Eingang zur Scheffelstraße von der Ekkehardstraße gesehen, erfuhr 1975 einen vollständigen Wandel. Die zahlreichen baulichen Veränderungen gaben der Straße innerhalb weniger Jahre ein völlig neues Gesicht. Kleine, verschnörkelte Häuschen waren Betonblöcken gewichen. Der Charakter von Urbanität, wie ihn sich die Stadtplaner um Hannes Ott nach einem Besuch in den USA vorstellten, hielt mehr und mehr Einzug. Er plante eins einen durchgängigen Arkadengang von der Ekkehard bis zur Bahnhofstraße. An einigen Stellen ist das sichtbar geblieben.
Einige Altbauten gerettet
Aber einige schöne Häuserfassaden, wie zum Beispiel das Eckhaus, in dem heute die Parfümerie Gradmann beheimatet ist, das Ott-Albrechtsche Haus, das Bettenhaus Diehl, das Schuhaus Läufer und sein Gegenüber konnten gerettet werden und verleihen der Straße heute noch Individualität.

Ursprünglich begann die Scheffelstraße schon am Hohgarten und wurde als Verbindungsstraße zwischen Rathaus und Bahnhof genutzt. Diese Verbindung wird von Fußgängern auch heute noch rege frequentiert. Ein kurzes Teilstück wurde aber der Ekkehardstraße zugeschlagen.

Für die aufstrebende Stadt Singen war die Scheffelstraße eine wichtige Einkaufsstraße. Wie an einer Perlenschnur reihte sich Geschäft an Geschäft. Haushaltswaren, Schuhe, Bekleidung, Gastronomie, Bäcker, Metzger, Milchladen, Uhren und Schmuck: Alles war vorhanden. Mit Einbruch der Konjunktur Mitte der 1970er Jahre begann man sich Gedanken zu machen, wie die Einkaufsstadt weiter gestärkt werden könnte. Die Werbegemeinschaft City-Ring war dabei besonders aktiv.

Die Scheffelsträßler bildeten eine dazu eine eigene Gruppe von Händlern, die mit Werbeideen und Aktionen auf sich aufmerksam machen wollten. Doch die Konjunkturdelle zwang zum Handeln. Verwaltung und Gemeinderat kamen zu der Erkenntnis, dass ein Gesamtkonzept für die Einkaufsstadt her musste. Und so gab die Stadt 1978 unter Oberbürgermeister Friedhelm Möhrle ein Gutachten bei den Kölner Unternehmensberatern BBE in Auftrag, das die Struktur und Entwicklungsmöglichkeiten von Singen ermitteln sollte. Die Berater empfahlen die Schaffung von Fußgängerzonen. So sollte die Scheffelstraße 1986 erneut einen massiven Wandel erleben. Die Autos waren aus der Straße verbannt.

Bereits ein Jahr zuvor war die August-Ruf-Straße zur ersten Fußgängerzone in Singen umgebaut worden.