Bärbel Weinert hilft nicht nur Babys auf dem Weg vom Mutterleib ins Leben, sondern auch der Frauenklinik am Hegau-Bodensee-Klinikum in Singen beim Weg in die Zukunft. Die 53-Jährige ist seit Dezember die neue leitende Hebamme und freut sich auf eine spannende Arbeit: Derzeit sei viel im Umbruch und es gehe um Qualitätsmanagement, neue Strukturen und Teambildung. Nach einigen Monaten ist Bärbel Weinert bereits so sehr im Hegau angekommen, dass sie für die Kommunalwahl in Büsingen kandidieren möchte. "Ich bin jemand, der sich gerne einsetzt", sagt sie.
Noch fühlt sich das Leben im Hegau für Bärbel Weinert an wie Urlaub, wie sie sagt. Aus privaten Gründen zog sie 2017 nach Büsingen. Sie habe es genossen, mit ihren Kindern in Berlin zu wohnen, doch der Abschied von der Hauptstadt und der Umzug in den Hegau sei ihr nicht schwer gefallen. "Ich war gleich verliebt in die Gegend", sagt Bärbel Weinert. Die Region habe etwas Beruhigendes ohne Großstadt-Trubel. Auch die Nähe zum Bodensee, zur Schweiz und zu Frankreich habe ihr gefallen. Eine Herausforderung sei es anfangs gewesen, von Büsingen aus weiterhin nach Berlin zu pendeln, um dort zu arbeiten – "ich war an der Charité ein Urgestein", konstatiert Weinert. Es sei jedoch klar gewesen, dass sie das nicht auf Dauer machen könne. Als sie von der Stellenausschreibung im Hegau-Bodensee-Klinikum erfuhr, habe sie sich daher gleich beworben.
"In kleinen Gemeinden und kleineren Einrichtungen kann man vielleicht mehr bewegen und aktiv mitgestalten", sagt sie im Vergleich zur Hauptstadt Berlin. Weinert arbeitete 20 Jahre lang an der Berliner Charité, wo jedes Jahr rund 5000 Geburten gezählt werden. In Singen waren es im vergangenen Jahr 1649 Geburten, die Herausforderungen sind laut Weinert aber ähnlich. Beide Häuser sind ein Perinatalzentrum mit Level 1, das heißt sie kümmern sich auch um Risikoschwangerschaften. "Ich langweile mich hier sicher nicht", sagt Weinert. Für die Kommunalwahl in Büsingen sei sie angesprochen worden, nachdem sie an mehreren Gemeinderatssitzungen teilgenommen hatte.
Neuer Kreißsaal, mehr Hebammen
Die nächste große Neuerung im Hegau-Bodensee-Klinikum soll der Kreißsaal werden, dessen Eröffnung in zwei Jahren geplant ist. "Wir planen seit vier Jahren einen moderneren Kreißsaal", erklärt Frauenklinik-Chefarzt Wolfram Lucke und verweist auf stetig steigende Geburtenzahlen. Nach einem Jahr intensiver Arbeit stünden nun die Pläne fest, jetzt hoffe man auf die Freigabe der Gelder. Weinert wird bei Details in den Prozess einbezogen, auch wenn Grundsätzliches beschlossen ist. Langfristig haben der Chefarzt und die leitende Hebamme noch viel vor, wie Lucke verrät: "Wir träumen beide davon, dass man das integriert anbieten kann", sagt er über eine alternative Geburtshilfe. Mehr verraten will er aber noch nicht, dafür seien die Ideen noch nicht konkret genug.
Auch bei der Hebammenversorgung kündigen sich Neuerungen an: Statt zwölf sollen sich künftig 16 Hebammen um werdende Mütter kümmern – ein neuer Personalschlüssel sieht eine Hebamme für 100 Geburten pro Jahr vor. Das bestehende Team in der Frauenklinik ist laut Bärbel Weinert sehr engagiert und habe die zunehmende Zahl an Geburten in den vergangenen Jahren mitgetragen. "Es ist auch eine Herzensangelegenheit, dass es den Frauen gut geht", sagt die Hebamme. 2017 habe es rund 150 Geburten mehr gegeben als 2016. 2018 waren es nochmal rund 150 Geburten mehr als im Vorjahr.
Eine Arbeit ohne Routine
Weinert sieht sich dabei als frischer Wind von außen für etwas, was bereits auf einem guten Weg sei. Denn eine Klinik funktioniere heute nicht mehr wie noch vor 20 Jahren. Familienangehörige seien heute beispielsweise viel willkommener; Kinder dürften in der Geburtshilfe dabei sein und ihr Geschwisterchen direkt kennenlernen. "Das stützt die Gemeinschaft innerhalb der Familie", sagt Weinert. Nicht so abgeschieden zu sein, sei auch förderlich für eine Genesung. Um solche Bedürfnisse von Patienten und Angehörigen wahrzunehmen, sei es wichtig für Mitarbeiter, sich von ihrer Routine frei zu machen. Sie müssten sich immer wieder bewusst machen, dass Besucher die Klinik aufgeregt und womöglich zum ersten Mal betreten. Entsprechend müsse man die Sorgen eines Besuchers ernst nehmen und ihm das Gefühl geben, sicher zu sein.
Gerade bei einer Geburt sei Routine fehl am Platz. "Das Schöne ist, dass man sich auf jede Gebärende neu einstellen muss", sagt Weinert. Jedes Elternpaar sei anders, habe andere Hintergründe und Erwartungen. Der Gedanke an eine frischgebackene Familie, die eine Geburt gemeistert hat, sei dabei auch für die Hebamme etwas Besonderes: "Ein größeres Geschenk kann man nach einem Arbeitstag nicht nach Hause nehmen."
Zur Person
Bärbel Weinert stammt aus Nordrhein-Westfalen, hat ihre Ausbildung an der Universitätsklinik Kiel absolviert und über 20 Jahre lang an der Berliner Charité gearbeitet. Der Vater ihres Mannes wohnte in Radolfzell, daher kannte sie die Bodenseeregion bereits vor ihrem Umzug. Im Jahr 2017 zog sie von Berlin nach Büsingen und arbeitete anfangs im Zuge einer halben Stelle weiter in Berlin. 2018 bewarb sie sich am Hegau-Bodensee-Klinikum in Singen und begann, sich bei reduziertem Stundenumfang einzuarbeiten. Ihre Arbeitszeit teilt sich in klassische Hebammenarbeit und organisatorische Dinge wie das Erstellen eines Einsatzplans. (isa)