In der August-Ruf-Straße bilden 122 Paar Damenschuhe eine Reihe, daneben auf Blattseiten Aussagen betroffener Frauen wie: „Ich wurde ausgegrenzt, niemand durfte mehr Kontakt zu mir haben“ oder „Nach außen war immer alles ‚heile‘ Welt, das perfekte Image einer intakten Familie – mein Elend und die blauen Flecken hat ja niemand gesehen.“ Die Schuhpaare stehen für 122 Frauen, die laut Bundeskriminalamt 2018 durch Partnerschaftsgewalt getötet wurden. Eine Gruppe engagierter Frauen um Gleichstellungsbeauftragte Petra Martin-Schweizer und Bürgermeisterin Ute Seifried machte mit einer Aktion auf den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen aufmerksam.
Die Aktion in der Innenstadt kam bei den Passanten an. „Dass Frauen so offen über ihre Gewalterfahrungen sprechen, habe ich noch nie erlebt“, sieht Petra Martin-Schweizer darin ein beeindruckendes Zeichen, dass diese Thematik immer mehr im Bewusstsein der Öffentlichkeit ankommt. Auch ältere Frauen hätten von Erlebnissen aus früherer Zeit erzählt: „Gewalt brennt sich in die Seele. Sie erinnern sich nach vielen Jahren noch genau an das damals Erlebte.“ Mit der Aktion möchte die Frauengruppe die Öffentlichkeit für dieses Tabuthema sensibilisieren.

Eine ältere Frau hatte auch Bürgermeisterin Ute Seifried von Gewalt in ihrer Ehe erzählt. Die Familie habe weggeschaut und ihr nicht geglaubt. Dass sie sich nach 15 Ehejahren getrennt habe, hätte sie einer Freundin zu verdanken. „Es erforderte auch Mut von betroffenen Frauen, davon zu erzählen“, sagt Seifried, „vielen ist es peinlich, sie verwenden Ausreden und kaschieren äußerlich sichtbare Zeichen wie blaue Flecken.“ Gewalt an Frauen hat viele Gesichter. Heike Kornmayer ist Lehrerin und in Sorge um minderjährige Schülerinnen, die sich in sogenannte „Loverboys“ verlieben. Das seien junge Männer, die Mädchen in der Pubertät durch vorgetäuschte Liebe an sich binden und dann in die Prostitution zwingen. „Das Thema ist auch im Landkreis Konstanz angekommen“, weiß Heike Kornmayer, die solch einen Fall schon erlebt hat.
Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau an den Folgen häuslicher Gewalt
In der Stadtbücherei eröffnete im Anschluss an die Aktion die Landtagsabgeordnete Dorothea Wehinger die von ihr initiierte Ausstellung „Ich verbrenne von innen“ mit Texten betroffener Frauen und Fotos von Wolfgang Schmidt, die von der Info- und Beratungsstelle Feuervogel im Zollernalbkreis konzipiert wurde. Die Zahlen erschrecken. “Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau an den Folgen häuslicher Gewalt durch ihren Mann oder Ex-Mann. Einen Mann zu verlassen oder abzuweisen, kann für Frauen tödlich enden“, erläuterte Wehinger. Jede vierte Frau in Deutschland erlebe mindestens einmal in ihrem Leben sexuelle Gewalt, meist durch den Partner oder Ex-Partner. 42 Prozent erleben psychische Gewalt, jede dritte Frau ist ein Mal im Leben von Gewalt betroffen. Einen Einblick in ihre Beratungen mit betroffenen Frauen gab Diplom-Psychologin Heike Akli.

„Empörung alleine reicht nicht aus“, so Wehinger. 2014 sei in Baden-Württemberg der Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen verabschiedet worden. Ziele seien eine funktionierende Infrastruktur und bedarfsdeckende Hilfeangebote, aber auch Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit. Zudem sei im Februar 2018 das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in Deutschland in Kraft getreten. In diesem ersten völkerrechtlichen Vertrag seien umfassende Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung sowie Schutz der Opfer formuliert worden. Zudem verpflichten sich die Vertragsstaaten, gegen alle Formen körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt, gegen Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, Zwangsabtreibung und Zwangssterilisation vorzugehen.