Frau Rogge-Graf, Sie sind Betreuungskraft in der Tagespflege. Warum haben Sie sich für diesen Job entschieden?
Ulrike Rogge-Graf: Ich komme ursprünglich aus der ambulanten Pflege und habe dadurch schon viel Erfahrung mitgebracht. Als die Tagespflege im St. Elisabeth aufgebaut wurde, hat man mich angefragt, ein Konzept für Betreuungsangebote zu erstellen und dieser „ein Gesicht zu verleihen“.
Zu Ihnen kommen Senioren in die Tagespflege, die ihren Alltag teilweise nicht mehr selbständig bewältigen können.
Ulrike Rogge-Graf: Ja, der Schwerpunkt liegt bei den Senioren ab 60 Jahren, aber zu uns kommen auch jüngere Menschen mit Pflegebedarf.
Wie sieht konkret ein Tagesablauf aus?
Ulrike Rogge-Graf: Morgens werden unsere Gäste abgeholt und wir starten mit einem gemeinsamen Frühstück in den Tag. Anschließend gibt es unsere Zeitungsrunde, bei der wir gemeinsam den SÜDKURIER lesen, über Aktuelles berichten und auch den Raum lassen, über manche Themen zu sprechen. Danach folgen spezifische Bewegungsprogramme zur Sturzprophylaxe. Dann bieten wir unterschiedliche Aktivierungsangebote an. Nach dem Mittagessen, der Ruhepause und dem Kaffee und Kuchen bieten wir weitere Aktivitäten an, ehe dann die Gäste um 16 Uhr wieder heimgefahren werden.
Ich kann mir vorstellen, dass nicht nur die persönlichen Bedürfnisse Ihrer Gäste sehr unterschiedlich sind, sondern auch ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Wie werden Sie dieser Herausforderung gerecht?
Ulrike Rogge-Graf: Wir legen großen Wert darauf, die Mahlzeiten gemeinsam an einer langen Tafel einzunehmen, wer jedoch welche Aktivitäten mitmacht, das entscheidet jeder für sich. Während die einen sehr aktiv sind, gerne etwas spielen oder basteln, steht für andere das soziale Miteinander im Vordergrund, dass sie nicht alleine sind, Ansprache haben. Ich glaube, grundlegend wichtig für unsere Arbeit ist die Biographiearbeit sowie eine zeitnahe und vor allem klare Kommunikation mit den Angehörigen.
Inwiefern?
Ulrike Rogge-Graf: In der Tagespflege wird uns die Biografie der Menschen, die zu uns kommen, sozusagen auf dem silbernen Tablett serviert. Alle Betreuungskräfte wissen extrem viel über die Gäste, über ihre Vergangenheit, Gewohnheiten, über ihre Ängste, die Familie. Die eigene Familie will oft „die alten Geschichten“ nicht mehr hören – wir schon! Wenn ältere Menschen ihre Geschichte verlieren, verschwinden sie in der Bedeutungslosigkeit. Wir fragen nach, indem wir an Themen anknüpfen. Wenn wir jemanden fragen: „Sie waren doch Herrenschneider, was mache ich jetzt mit diesem Stoff?“, dann ist es unfassbar, wie auf einmal verloren gegangenes Wissen und Fähigkeiten wieder lebendig werden und was dann beispielsweise motorisch wieder möglich ist. Symptome von Krankheiten können sogar abflachen. Wir betrachten die Menschen wieder in einem anderen Licht, wenn wir ihre Lebensgeschichte hören – was daraus entsteht, ist unheimlich spannend.
Und die Menschen kommen aus der Isolation und ihr Tag bekommt Struktur.
Ulrike Rogge-Graf: Ja, das ist ganz wichtig. Der soziale Austausch, die gemeinsamen Aktivitäten und die Rituale, die den Alltag strukturieren. Wir basteln und dekorieren Räume, wodurch wir eine zeitliche Orientierung bieten. Wir pflegen Rituale und wundern uns oft, dass auch bei dementen Gästen noch Kochrezepte oder Liedertexte abrufbar sind.
Versorgen Sie die Gäste auch in der körperlichen Pflege?
Ulrike Rogge-Graf: Wir begleiten Sie zu den Toilettengängen, und wechseln auch Inkontinenzeinlagen, bereiten ein Handbad zu oder cremen sie ein, weil Berührungen wichtig sind. Aber es ist immer eine Fachkraft vor Ort, in deren Händen die Behandlungspflege wie zum Beispiel die Medikamentenvergabe liegt.
Wann wird es für Sie schwierig?
Ulrike Rogge-Graf: Wenn sich der Allgemeinzustand unserer Gäste rapide verschlechtert und wir sehen, dass die Versorgung im häuslichen Umfeld nicht mehr gewährleistet werden kann. Dieses bedeutet, dass eine andere Wohnform gesucht werden muss und wir uns von einem ans Herz gewachsenen Menschen trennen müssen.
Was braucht es neben Fachkompetenz für Ihre Arbeit?
Ulrike Rogge-Graf: Geduld, Empathie und die Fähigkeit und Bereitschaft zu kommunizieren. Generelle Voraussetzung ist die Freude im Umgang mit den pflegebedürftigen Menschen.
Braucht es für den Beruf eine dreijährige Ausbildung?
Ulrike Rogge-Graf: Die Ausbildung, die berufsbegleitend absolviert werde kann, dauert sechs Monate und endet mit dem Zertifikat Betreuungskraft nach §43b. Die Ausbildung umfasst sowohl theoretischen Unterricht, bei dem Grundkenntnisse der Pflege und Pflegedokumentation, der Umgang mit Demenzerkrankungen, Rechtskunde, Hauswirtschaft und Ernährungslehre, sowie Beschäftigungsmöglichkeiten und Freizeitgestaltung vermittelt werden, als auch ein Praktikum in einer Pflegeeinrichtung.
Ich vermute, es gibt viele Quereinsteiger?
Ulrike Rogge-Graf: In der Tat gibt es bei uns viele Quereinsteiger, die aus anderen Berufsfelder kommen und einen großen Erfahrungsschatz mitbringen, den sie in ihrer täglichen Arbeit mit einbringen können.
Was sind die Momente, die Ihnen die Bestätigung geben, dass Sie die richtige Berufswahl getroffen haben?
Ulrike Rogge-Graf: Da gibt es viele, vorwiegend, wenn wir die Dankbarkeit unserer Gäste spüren, sie lachen, Spaß haben und ihre Gebrechen oder das Alter für einen Moment vergessen. Und die Dankbarkeit der Angehörigen für die Entlastung, die sie empfinden. Ich denke, das sind die Momente, die für uns die schönste Bestätigung für unsere Arbeit sind.
Ist es das, was Sie an Ihrem Beruf lieben?
Ulrike Rogge-Graf: Ja, und die Möglichkeit zu haben, mich mit meinen eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften sinnvoll einzubringen. Letztendlich ist die Arbeitszeit auch gut mit dem Privatleben vereinbar, denn die wenigsten Betreuungskräfte bei uns arbeiten in Vollzeit und es gibt keinen Schicht- oder Wochenenddienste. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass wir personell gut aufgestellt sind.