So eine Menschenansammlung hat die Singener Innenstadt lange nicht erlebt. Nach Schätzungen der Polizei waren rund 4000 Menschen zur Kundgebung gegen Hetze und Hass um 10 Uhr in die Fußgängerzone gekommen. Angemeldet hatten die Organisatoren rund um Bernhard Grunewald, Vorsitzender des Vereins Integration in Singen (Insi), 200 Menschen. Da schon bald klar war, dass viel mehr Leute kommen würden, war der eigentliche Kundgebungsort vor der Lutherkirche kurzfristig in die Fußgängerzone vor dem Einkaufszentrum Cano verlegt worden. Dort konnte die Kundgebung mit markigen Reden friedlich in einer knappen Stunde über die Bühne gehen.
Singen ist weltoffene, solidarische Stadt
Singen kann Demokratie, Respekt und Vielfalt – diesen Slogan hatte eine Teilnehmerin auf ihr Transparent geschrieben. Tatsächlich steht die Stadt mit seinen fast 50.000 Einwohnern seit vielen Jahrzehnten in einer langen Tradition für eine weltoffene, solidarische Gemeinschaft. Vielfalt gibt es in der Stadt unterm Hohentwiel seit den späten 1960er-Jahren, als viele Gastarbeiter nach Singen kamen.

Paula Mendes gehöre schon zur nächsten Generation, denn ihre Eltern kamen vor rund 50 Jahren nach Singen. „Ich bin überwältigt und ich bin bestens integriert“, sagte sie. Sie sei hier aufgewachsen und habe schon immer viel Akzeptanz gefunden. Sie fühle sich nicht als Portugiesin, sondern als Bestandteil der Stadt. Oguz Akbudak, Vorsitzender des Hegauer Kulturvereins, lebe ebenfalls praktisch sein ganzes Leben in der Region. „Ich gehöre hier hin und werde immer hier bleiben“, sagte er.
Auch Mona Schramm, stellvertretende Vorsitzende des Vereins Insi, war überwältigt von der Resonanz. „Es gibt so viel Hass und Leid in der Welt, aber wenn ich mich hier umschaue, sehe ich unheimlich viel Mut“, sagte sie. Als Sprecher der jungen Generation appellierte Guiseppe Femia vom Jugendkomitee Singen an seine Generation: „Seid mutig und kämpft für Eure Zukunft!“ Wie alle Redner war er überwältigt, dass so viele Menschen an diesem Vormittag gekommen waren, um für das wichtigste Gut der Menschen, die Demokratie, zu kämpfen.

Es darf kein Hass gestreut werden
Klaus Mühlherr, DBG-Kreisvorsitzender, skizzierte anhand von einigen prägnanten Beispielen, was wäre, wenn die über 50 Prozent Migranten in Singen nicht mehr da wären. „Wir hätten keine Nähstuben, weniger Restaurants und Personalnot in Gastronomie oder im Krankenhaus. In den Betrieben wird es eng, wenn nur noch die Hälfte der Belegschaften da wäre“, so Mühlherr. Gerade auch Portugiesen, Griechen oder Spanier wüssten nur zu gut, wie es in einer Diktatur zugehe. „Demokratie zu erhalten bedeutet, keinen Hass zu streuen und Respekt gegenüber jedem Menschen zu bewahren“, sagte Mühlherr.
Er appellierte in seiner Rede vor allem daran, wählen zu gehen. Auch Bernhard Grunewald rief dazu auf, bei den im Juni anstehenden Kommunal- und Europawahlen demokratische Parteien zu wählen.

OB Häusler: Wir müssen Rechtsextremismus austrocknen
Oberbürgermeister Bernd Häusler war stolz auf seine Stadt und das Umland, aus dem ebenfalls viele Menschen gekommen waren. Besonders viel Applaus erhielt er, als er einen AfD-Abgeordneten zitierte, der geäußert hatte, Remigration sei kein Geheimplan, sondern ein Versprechen. „Pfui, das ist unglaublich“, kommentierte Häusler. „Wir müssen den Rechtsextremismus austrocknen.“ Deshalb reiche eine Kundgebung nicht aus. Ob ein Parteienverbot der richtige Weg sei, stellte Häusler jedoch in Zweifel. „Wir stehen gemeinsam für eine freiheitlich demokratische Grundordnung.“
Andreas Jung, CDU Bundestagsabgeordneter, begann seinen Redebeitrag mit einem Blick auf die Erzbergerstraße ganz in der Nähe. ‚Diese Straße im Herzen von Singen ist uns Mahnung‘, sagte Jung, denn der Politiker Matthias Erzberger (1875 bis 1921) war nach rechts-nationaler Hetze ermordet worden. „So etwas darf niemals wieder passieren“, sagte Jung.
Hintergründe zur Kundgebung
„Nicht noch 1x braun“ stand auf dem kleinen Plakat, das Roswitha Besnecker in die Menge hielt. Auf der Rückseite war als Statement „Oma gegen rechts“ zu lesen. Die 87-jährige Singenerin engagiert sich auch bei der Initiative Stolpersteine. Für sie war es selbstverständlich, an der Kundgebung teilzunehmen.
Hans-Peter Storz (SPD) machte als Sprecher der Initiative Stolpersteine, die in Singen seit dem Jahr 2009 Steine verlegt, deutlich, dass es nie wieder Krieg und Faschismus geben darf. Allerdings seien national-sozialistische Gedanken wieder in Deutschland angekommen. „Dagegen müssen wir angehen“, sagte Storz, der für die SPD auch im Landtag sitzt.

Wolfgang Heintschel sprach für den Arbeitskreis Christlicher Kirchen und das Forum der Religionen, das sich als Bindeglied zwischen den verschiedenen Religionen sieht. Rassismus sei den Religionen im Grunde fern, doch würden sie für Gewalt instrumentalisiert.
Zum Schluss der knapp einstündigen Kundgebung lasen Wolfgang Heintschel (Caritasverband), Mona Schramm (Vorstand Insi), Sofie Fiebiger (Pfarrerin der Bonhoeffergemeinde) und Feride Funda Gökcimen-Gencaslan (Sufi Zentrum Eigeltingen) kurze Texte, bevor die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Gebet der Vereinten Nationen gemeinsam lasen.
Am Samstag, 27. Januar, war für 11 Uhr eine LKW-Demo im Industriegebiet angekündigt. Dieser Protestzug wurde jedoch von der Stadt Singen verboten, woran sich auch viele Lastwagenfahrer gehalten haben. Wer gegen Hass und Hetze aufstehen möchte, der hat am kommenden Mittwoch, 31. Januar, um 17 Uhr auf dem Marktplatz in Radolfzell die nächste Gelegenheit dazu.