Der letzte Traktoren-Konvoi aus Konstanz traf gerade erst ein, da trat Stefan Leichenauer bereits ans Mikrofon. Landwirte aus dem ganzen Landkreis Konstanz, aber auch aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis oder aus Tuttlingen und Villingen-Schwenningen sind mit knapp 500 Traktoren und einem gewaltigen Hupkonzert zu einer Protest-Aktion in Mühlhausen-Ehingen auf dem Gelände der ZG Raiffeisen zusammengekommen.

Das könnte Sie auch interessieren

„Wahnsinn, was hier los ist. Der ganze Landkreis ist da“, rief Stefan Leichenauer, als Organisator der Kundgebung den mehr als 600 Menschen zu. Mit Traktor-Kolonnen haben die bundesweiten Bauernproteste am Montagmorgen auch in der Region begonnen. Die Kundgebung in Mühlhausen-Ehingen war gegen 11 Uhr der Höhepunkt im Kreis Konstanz.

Organisator Stefan Leichenauer zeigt die aktuelle SÜDKURIER-Ausgabe, die gut zusammenfasse, was Landwirte aktuell beschäftigt.
Organisator Stefan Leichenauer zeigt die aktuelle SÜDKURIER-Ausgabe, die gut zusammenfasse, was Landwirte aktuell beschäftigt. | Bild: Matthias Güntert

Dabei machten die Landwirte klar: Für sie ist das Maß voll. Nachdem in den vergangenen Jahren immer neue Vorschriften und zusätzliche Bürokratie ihren Arbeitsalltag schwerer gemacht hätten, seien die geplanten Streichungen der Steuerbegünstigung und die aktuelle Agrar-Politik der Ampel-Regierung in Berlin der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe.

„Am Montagmorgen stand es im SÜDKURIER und was dort zu lesen war, stimmt zu 100 Prozent: Uns Landwirten stinkt es gewaltig“, so Leichenauer. Die Proteste, die am Montag durch ganz Deutschland zogen, seien ein friedliches Zeichen, um auf die Missstände in der Landwirtschaft aufmerksam zu machen. Denn die Situation sei heikel: „Wir Landwirte können nicht mehr“, so Leichenauer.

Blick aus einem Traktor beim Protestzug Video: Matthias Güntert

Es sei das erste Mal, dass so viele Landwirte an einem Strang ziehen. „Das ist ein gutes Gefühl, zeigt aber auch, wie ernst die Lage ist“, sagt Leichenauer. Auffällig bei der gesamten Protestaktion: Alle Landwirte, mit denen der SÜDKURIER gesprochen hat, machen deutlich, dass sie nicht nur für ihren Berufszweig protestieren würden – sondern für die Allgemeinheit. Denn die Zukunft der Landwirtschaft sei mit den angekündigten Sparmaßnahmen im Agrar-Bereich in Gefahr. „So wird es in ein paar Jahren viele Betriebe nicht mehr geben. So wie es jetzt angekündigt ist, werden noch mehr Bauern hinschmeißen“, so Leichenauer.

Die ersten Protest-Konvois kommen an Video: Matthias Güntert

Aber der Vorsitzender des BLHV-Kreisverbands betont auch: „Lebensmittel sind in der Mitte der Gesellschaft, alle wollen essen. Die angekündigten Einschnitte betreffen also uns alle – einfach den gesamten Mittelstand.“ Die Landwirte würden laut Leichenauer nicht für eine Vier-Tage-Woche oder zehn Prozent mehr Lohn protestieren. „Sondern wir wollen wettbewerbsfähig bleiben.“

Die Traktoren-Kolonne zieht sich über mehrere hundert Meter. Immer wieder kommen ganze Konvois der schweren Landmaschinen in ...
Die Traktoren-Kolonne zieht sich über mehrere hundert Meter. Immer wieder kommen ganze Konvois der schweren Landmaschinen in Mühlhausen-Ehingen an. | Bild: Matthias Güntert

Laut Stefan Leichenauer sei eine teilweise Rücknahme der Subventions-Streichungen nicht die Lösung, denn es solle im Agrarhaushalt dennoch rund 1 Milliarde Euro gekürzt werden. Die Kritikpunkte und Forderungen der Landwirte klingen daher ähnlich wie schon in den vergangenen Tagen.

„Bürokratieabbau?“, fragt Leichenauer. Da könne er nur lachen, denn diese sei in den vergangenen Jahren immer mehr geworden. „Ein Landwirt weiß mittlerweile nicht mal mehr, wo er die ganzen Ordner mit Vorschriften lagern soll“, sagt er.

Ein Bild von oben zeigt: Der Bereich rund um die ZG Raiffeisen ist mit Traktoren voll. Auch auf der Straße oberhalb stehen noch etliche ...
Ein Bild von oben zeigt: Der Bereich rund um die ZG Raiffeisen ist mit Traktoren voll. Auch auf der Straße oberhalb stehen noch etliche der landwirtschaftlichen Zugmaschinen. | Bild: Archaeotask GmbH

„Wir haben viel mehr Probleme“

Für solche Worte erhält er breite Unterstützung. Erwin Häufle ist Landwirt in Mühlhausen-Ehingen und gibt Leichenauer Recht. Es sei jetzt an der Zeit, dass er und seine Kollegen reagieren. „Wir haben viel mehr Probleme, nicht nur den Agrar-Diesel“, sagt er. Durch den Wegfall der Subventionen sieht er viele Betriebe in Gefahr – insbesondere, da in manch anderen EU-Ländern zum Teil gar keine Steuern auf den Diesel für landwirtschaftliche Fahrzeuge erhoben würden.

Wenn Erwin Häufle von den unterschiedlichen Standards bei der Produktion von Lebensmitteln spricht, betont er immer wieder, wie hoch diese in Deutschland seien. In anderen Ländern seien diese nicht mal ansatzweise so hoch. „Das führt zu einer Wettbewerbsverzerrung, die uns deutschen Landwirte abhängt“, sagt er.

Auch Florian Schönle, Geschäftsführer eines Unternehmens für Agrar und Landschaftstechnik aus Gottmadingen, sieht dies so. „Es kann nicht sein, dass wir billige Lebensmittel importieren müssen.“ Mit Blick auf die Agrar-Diesel-Steuer sagt er: „Wieso soll es die nur in der Landwirtschaft geben. Es gibt keinen Beitrag für Schiffs-Diesel oder Kerosin“, behauptet Schönle.

Rückendeckung von den Bürgermeistern

Große Solidarität erhalten die Landwirte auch von den Hegauer Bürgermeistern. „Ich möchte hier deutlich betonen, dass wir Bürgermeister hinter unseren Landwirten stehen“, sagte Patrick Stärk, Bürgermeister von Mühlhauen-Ehingen. Die Streichungen der Subventionen gefährde die Konkurrenzfähigkeit der bäuerlichen Betriebe. „Man setzt damit sehenden Auges die Existenz unsere familiengeführten landwirtschaftlichen Betreibe aufs Spiel“, so Stärk weiter.

Unterstützung erhalten die Landwirte auch von den Hegauer Bürgermeistern Holger Mayer (Hilzingen), Frank Harsch (Engen) und Selcuk Gök ...
Unterstützung erhalten die Landwirte auch von den Hegauer Bürgermeistern Holger Mayer (Hilzingen), Frank Harsch (Engen) und Selcuk Gök (Tengen). | Bild: Matthias Güntert

Die Landwirtschaftsfamilien im Hegau würden die Menschen, die dort leben, mit gesunden und regionalen Lebensmitteln, mit Wärme und Strom versorgen. „Ihr seid darüber hinaus wichtige Bestandteile unserer örtlichen Gemeinschaft in unseren Dörfern, Gemeinden und Städten“, so Stärk weiter. Er lobt den friedlichen Protest.

Der Bürgermeister nimmt aber auch Konsumenten in die Pflicht: „Es ist neben aller Sympathie auch wichtig, dass wir uns als Verbraucher Gedanken machen, welche Produkte wir kaufen.“ Die Mentalität von „Geiz ist geil“ sei hier unangebracht, vielmehr müsse man wieder verstärkt regional einkaufen.

Traktoren aus dem ganzen Landkreis rollen an Video: Matthias Güntert

Auch Engens Bürgermeister Frank Harsch, der sich selbst als kleiner Hobby-Weinbauer beschreibt, stellt sich hinter die Landwirte: „Wenn Nahrungsmittelerzeuger abgehängt werden, das kann nicht sein.“ Und Tengens Bürgermeister Selcuk Gök finde es gut, dass die Landwirte nun auf die Barrikaden gehen würden. Er sehe mit Blick auf den angeschlagenen Bundeshaushalt andere Sparmaßnahmen. „Wir wollen alle saisonale und regionale Produkte essen, das ganze Jahr über. So wird es in Zukunft schwierig, diesen Wunsch zu erfüllen“, sagt Gök. Der Tengener Bürgermeister sei selbst mit dem Traktoren-Konvoi vom Randen nach Mühlhausen-Ehingen gefahren.

Und was sagt die Polizei?

Die Polizei berichtet laut Pressesprecher Jörg Kluge von einem friedlichen Protest. „Es kam zu keinen Problemen, alles verlief reibungslos“, sagt er gegenüber dem SÜDKURIER. Befürchtungen, dass rechte Hetzer oder Querdenker den Protest der Landwirte unterwandern und für ihre Zwecke benutzen, wurden nicht bestätigt. Einzig ein Auto mit einer Deutschland-Fahne und Aufklebern mit fragwürdigem Inhalt auf dem Kofferraum war in Mühlhausen-Ehingen zu sehen.

„Wir lassen uns und nicht vor den Karren spannen, das ist unsere Demo“, rief ein Landwirt dem Insassen zu. Bereits während der Kundgebung war das Auto samt Deutschland-Fahne verschwunden.

Über 500 Menschen nehmen an der Kundgebung teil.
Über 500 Menschen nehmen an der Kundgebung teil. | Bild: Matthias Güntert

Am Ende sind sich alle Teilnehmer des Landwirte-Protestes im Hegau einig. „Das war ein ganz lautes Signal aus Mühlhausen-Ehingen, aus dem Landkreis Konstanz, aus ganz Deutschland in Richtung Berlin“, fasst Stefan Leichenauer zusammen.