Wenn ein Arzt unerwartet seine Praxis schließt, wirft das Fragen auf. Dies ist auch bei Bahram Hashemi so, der seine neurochirurgische Praxis im Juli geschlossen hat. Damit brach ein wichtiger Teil der Versorgung in der Region weg, der seitdem von der benachbarten Praxis von Aram Bani mit übernommen wird. Die Schließung erfolgte, nachdem der Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) den Kooperationsvertrag mit dem Neurochirurgen Ende Mai gekündigt hatte. Nach Vorwürfen gegen den Mediziner hatte der GLKN zuvor ein Gutachten in Auftrag gegeben, das eindeutige Vorwürfe in Richtung des Arztes erhebt. Ein anderer Neurochirurg hatte in dem Schriftstück, das der Redaktion vorliegt, 137 Fälle der Jahre 2018 und 2019 unter anderem anhand der Patientenakten überprüft (siehe Text unten). Zur Kündigung der Verträge führten laut GLKN-Chef Bernd Sieber aber persönliche Vorwürfe, die sich nach seinen Angaben nicht erhärten hätten. Der Arzt selbst und sein Rechtsbeistand Sylvester Kraemer schweigen sich derzeit aus.

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Fragen, die der Fall aufwirft, lauten: Falls ein systematischer Betrug, wie es das Gutachten nahelegt, stattgefunden haben sollte, hätte dieser unentdeckt bleiben können? Welche Anreize setzt das Gesundheitssystem? Und wer hätte profitiert? Um diese Fragen beantworten zu können, muss man sich vor Augen führen, wie sich Krankenhäuser in Deutschland finanzieren. Ab 2003 wurde das System der Fallpauschalen eingeführt. Krankenhäuser sollten stärker leistungsorientiert bezahlt werden. Seitdem bekommt ein Krankenhaus für eine bestimmte Behandlung einen festen Betrag – mit dem Ziel, die Kosten der Krankenkassen unter Kontrolle zu halten. Eine Folge war, dass sich Krankenhäuser ökonomischer verhalten. Und dass Patienten weniger lang bleiben.

Die Zusammenarbeit des Singener Krankenhauses mit Hashemi begann 2005, als Friedbert Lang Geschäftsführer war. Er sagt, dass die Neurochirurgie damals noch eine sehr junge Disziplin und in der weiteren Umgebung nicht vertreten gewesen sei. Für das Singener Krankenhaus sei eine Zusammenarbeit mit Hashemi eine Ergänzung des Spektrums gewesen. Neurochirurgen fest anzustellen und eine entsprechende Abteilung zu eröffnen, sei aus planerischer Sicht nicht gegangen. Das hätte im Krankenhausbedarfsplan des Landes festgeschrieben werden müssen. Mit Geld für das Krankenhaus habe das nichts zu tun gehabt. Vorwürfe gegen den Arzt seien ihm in seiner Amtszeit, die 2010 endete, nicht bekannt geworden, sagt Lang.

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Für Hashemis Operationen hat das Singener Krankenhaus, wie bei allen anderen Eingriffen, Fallpauschalen mit den Krankenkassen abgerechnet. Da er nie beim Singener Krankenhaus angestellt, sondern niedergelassener Arzt mit eigener Praxis war, bekam er vom Singener Krankenhaus dafür ein Honorar. Die Entlohnung wurde dabei laut Bernd Sieber, seit 2020 GLKN-Geschäftsführer, anteilig zwischen Krankenhaus und Arzt aufgeteilt. Das bedeutet: Wenn tatsächlich übermäßig teure oder gar unnötige Eingriffe abgerechnet worden sein sollten, hätten sowohl das Krankenhaus als auch der Arzt profitiert.

Nur Verweildauer ist aufgefallen

Und wie steht es um die Kontrollen? Die Krankenkassen überprüfen Abrechnungen von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern. Die Organisation, die das für die Kassen übernimmt, ist der Medizinische Dienst (MD). Doch während der Gutachter des GLKN zu einem unmissverständlichen Ergebnis kommt, haben die Krankenkassen offenbar keinen ausreichenden Grund zum Eingreifen gesehen. Der MD habe zwar immer wieder Rechnungen geprüft, auch im Zusammenhang mit der Arbeit von Hashemi, sagt GLKN-Geschäftsführer Sieber. Doch zu einer Aktion gegen den Neurochirurgen sei es nicht gekommen. Beim MD Baden-Württemberg wisse man nichts von dem Gutachten, heißt es von der Pressestelle. Sprecher Markus Hartmann erklärt: Der MD prüfe im Auftrag der Krankenkassen und melde diesen einen Verdacht auf Manipulation.

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Bei der AOK Hochrhein-Bodensee, der größten Krankenkasse in der Region, seien durchaus Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Abrechnungen zur Behandlung mit dem Code OPS 5-035 festgestellt worden, schreibt Pressesprecherin Cordelia Steffek. Auf Abrechnungen und Patientenakten zu diesem Eingriff, fachsprachlich die „Exzision und Destruktion von erkranktem Gewebe des Rückenmarkes und der Rückenmarkhäute“, hatte sich der Gutachter des GLKN bezogen. Die Auffälligkeiten hätten aber im Wesentlichen die Verweildauer der Patienten betroffen, so Steffek. „Die Abrechnungsqualität des Hegau-Klinikums ist insgesamt gut. Der Verdacht auf ein systematisches Fehlverhalten hat sich für uns bisher nicht ergeben“, schreibt Steffek. Die Überprüfung funktioniere auf automatischer Basis, schildert die Sprecherin. Das Abrechnungssystem überprüfe, ob eine Diagnose, eine Behandlung und die Verweildauer eines Patienten zusammenpassen. Sei das nicht der Fall, gebe es einen Hinweis zur Prüfung.

Wie passt das damit zusammen, dass in der Redaktion nach den ersten Berichten im SÜDKURIER anonyme und mit Namen versehene Informationen eingegangen sind, die auf mögliche weitere Unregelmäßigkeiten hindeuten könnten? Die Rückmeldung der AOK bedeutet zwar, dass Abrechnungen überprüft wurden. Sie bedeutet aber auch, dass dabei nicht überprüft wurde, ob ein bestimmter Eingriff auch medizinisch angemessen war und ob dabei die Regeln der ärztlichen Kunst eingehalten wurden. Mit anderen Worten: Solange bei der Abrechnung alles zusammenpasst, spürt das System keinen Fehler auf. Ein Abgleich mit Patientenakten oder Befunden erfolge nicht, so Steffek. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.