In den meisten Fällen läuft die Schließung einer Arztpraxis relativ geräuschlos ab. Bei der neurochirurgischen Praxis von Bahram Hashemi ist das anders. Er hatte im Juli seine Praxis, die in den Räumen des Singener Krankenhauses liegt, geschlossen, das Krankenhaus hat die Zusammenarbeit mit ihm im Mai beendet. Zurück bleiben offene Fragen, Gerüchte und Informationen dazu, wie es zum Ende der Praxis kam. Nicht alle Fragen lassen sich derzeit beantworten und nicht jede Information lässt sich bestätigen. Der Arzt selbst nimmt keine Stellung: „Gegenwärtig werden auf anwaltlichen Rat keine Fragen beantwortet“, sagt Sylvester Kraemer, der Hashemi vertritt. Mit ihm hat der Neurochirurg einen sehr renommierten Anwalt an seiner Seite.
Warum lässt der Gesundheitsverbund überhaupt ein Gutachten erstellen?
Bekannt ist indes, dass der Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) ein Gutachten über Hashemis Arbeit in Auftrag gegeben hat. Geschäftsführer Bernd Sieber hat im Gespräch über die Schließung der Praxis berichtet, den Auftrag dafür erteilt zu haben. Das Schriftstück liegt auch dem SÜDKURIER vor, wobei drei kurze Passagen in dieser Fassung geweißt sind. Doch warum will der GLKN überhaupt ein Gutachten über einen Arzt, der ein Kooperationspartner ist? Was stand in dem Schriftstück und was waren die Konsequenzen?
Er habe von verschiedenen Seiten gehört, dass es Auffälligkeiten bei Hashemis Abrechnungen geben solle, sagte Sieber bei dem Gespräch. Damit habe er den Arzt auch konfrontiert. Um nicht auf reines Hörensagen angewiesen zu sein, habe er dann das Gutachten beauftragt. Verfasst hat es ein Neurochirurg des Bundeswehr-Krankenhauses Ulm, der zu einem Zusammenschluss von Medizingutachtern gehört. Untersucht wurden laut dem Schriftstück, das vom November 2020 datiert, anhand der Krankenhausakten 137 Fälle aus den Jahren 2018 und 2019, in denen ein bestimmter neurochirurgischer Eingriff angesetzt worden sei, fachsprachlich die „Exzision und Destruktion von erkranktem Gewebe des Rückenmarkes und der Rückenmarkhäute“, OPS-Code 5-035. Eine Diagnose mit diesem Code sei überdurchschnittlich häufig festgestellt worden, was auch schon früher Anlass zur Überprüfung gewesen sei, schreibt der Gutachter.
Zu welchem Schluss kommt der Gutachter?
In seiner Schlussfolgerung fallen Begriffe wie systematisch, Fehlcodierung und Gewinnmaximierung. Und der Gutachter nennt das Stichwort Diagnosetuning. Grob gesagt bedeutet das: Patienten werden auf dem Papier kränker gemacht, als sie eigentlich sind, um schwerere – und teurere – Eingriffe zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass Hashemi einen Teil seiner Leistungen als Honorararzt für das Singener Krankenhaus erbracht habe, wie Sieber erklärt. Das Krankenhaus wiederum habe abgerechnet. Das bedeutet: Sollten tatsächlich übermäßig teure Eingriffe abgerechnet worden sein, könnte auch das Singener Krankenhaus profitiert haben. Die Zusammenarbeit ist laut Sieber seit 2005 gelaufen, zuletzt habe Hashemi etwa 400 bis 500 stationäre Eingriffe pro Jahr am Krankenhaus durchgeführt. Ob die Einschätzung des Gutachters alle Fälle betrifft, die er untersucht hat, oder nur einen Teil, lässt sich aus der vorliegenden Version des Gutachtens aber nicht sicher sagen.

Was waren die Konsequenzen?
Obwohl der Gutachter zu einem sehr eindeutigen Ergebnis kommt, sagt Sieber, die Vorgänge rund um die Abrechnungen hätten nicht zum Ende der Zusammenarbeit mit Hashemi im Mai geführt – zumindest nicht allein. Bei der Trennung sollen schwere, aber laut dem Geschäftsführer letztlich unhaltbare persönliche Vorwürfe gegen Mediziner, die mit dem Singener Krankenhaus zusammenarbeiten oder dort angestellt sind, eine Rolle gespielt haben.
Doch warum hat der Geschäftsführer nicht direkt Konsequenzen aus dem Gutachten gezogen? Sieber berichtet, er habe Hashemi über das Gutachten in Kenntnis gesetzt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Dieser habe Fall für Fall begründet, warum er nach seiner Überzeugung die Fälle richtig codiert habe. Die Erklärungen habe er für plausibel gehalten, sagt Sieber: „Es sind eben oft Grenzfälle.“ Für ihn sei ein solcher Vorgang erst abgeschlossen, wenn auch der Betroffene Stellung genommen hat, sagt der Geschäftsführer. Und: Auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen habe die Abrechnungen des Neurochirurgen geprüft, aber offenbar keinen systematischen Betrug gefunden. Daher habe ihm das nicht als Trennungsgrund genügt, so Sieber. Die Vorwürfe habe er strukturiert aufgearbeitet. Zum Bild gehört auch, dass der Geschäftsführer sein Amt erst im Januar 2020 angetreten und den Fall gewissermaßen geerbt hat.

Welche Kreise hat der Vorgang gezogen?
Im Bilde über die Überprüfung war indes offenbar auch der Aufsichtsrat des GLKN. Dem Gremium habe er von den Vorwürfen, dem Auftrag für das Gutachten und dessen Inhalt sowie von Hashemis Stellungnahme berichtet, sagt Sieber. Vorsitzender des Aufsichtsrates ist der Konstanzer Landrat Zeno Danner. Zum Gremium gehören außerdem Kreistagsmitglieder sowie Vertreter der Spitalstiftung Konstanz und der Fördergesellschaft HBK Singen. Auch die Oberbürgermeister der Städte Konstanz, Singen und Radolfzell sind dadurch im Aufsichtsrat des GLKN.
Sieht sich der Gesundheitsverbund als geschädigte Partei?
Betrachtet sich der GLKN nun als geschädigt? Nein, sagt Geschäftsführer Sieber. Rückforderungen von Krankenkassen gebe es an einem Krankenhaus immer wieder, allerdings habe es keine groß angelegte Aktion der Kostenträger im Zusammenhang mit Hashemis Arbeit gegeben. Allerdings sagt der Geschäftsführer zum neuesten Stand auch, dass sich seit der ersten Berichterstattung des SÜDKURIER mehrere Menschen bei ihm gemeldet hätten, die über Auffälligkeiten bei Abrechnungen berichtet hätten. Wenn sich das häufe, würde der GLKN die Bücher wieder öffnen. Und selbstverständlich werde man auch von sich aus auf die Krankenkassen zugehen, sagt der Geschäftsführer.
Was ist mit den Patienten?
Bleibt noch die Frage, ob Patienten zu Schaden gekommen sein könnten. Es gebe an einem Krankenhaus immer wieder Patienten, die sich nicht korrekt behandelt fühlten, sagt Geschäftsführer Sieber. Eine unerklärliche Häufung im Zusammenhang mit dem Neurochirurgen sei ihm jedoch nicht bekannt. Informationen, die der Redaktion vorliegen, deuten allerdings darauf hin, dass nicht alle Auseinandersetzungen mit Patienten abgeschlossen sind. All das legt den Schluss nahe, dass sich noch einige Juristen mit dem Fall beschäftigen werden. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
Was die Landesärztekammer und ein weiterer Neurochirurg sagen
- Das sagt die Landesärztekammer: Die Ärztekammer ist die Organisation der ärztlichen Selbstverwaltung. Falls Beschwerden bei ihr eingehen, würden diese von der Landesärztekammer mit ihren vier Bezirksärztekammern geprüft, schreibt Pressesprecher Oliver Erens auf Anfrage. Bei begründetem Verdacht können die Kammeranwälte ein Ermittlungsverfahren einleiten, sie können Verfahren aber auch an die Staatsanwaltschaft abgeben. Dann müsse das berufsgerichtliche Verfahren ruhen, bis die Staatsanwaltschaft zu Ende ermittelt habe, so Erens. Der Pressesprecher gibt keine Auskunft dazu, ob derartige Vorwürfe im Zusammenhang mit Bahram Hashemi bei der Ärztekammer bekannt geworden sind. Bei der Approbationsbehörde des Landes Baden-Württemberg, dem Regierungspräsidium Stuttgart, sind derzeit keine Vorwürfe bekannt.
- Das sagt Neurochirurg Aram Bani: Der Singener Neurochirurg Aram Bani, dessen Praxis nach der Schließung von Hashemis Praxis die neurochirurgische Versorgung der Menschen allein übernimmt, legt Wert darauf, dass er sein Team aus diesem Grund vergrößert habe. Die Fachärzte Katharina Köhlert und Jin-Yul Lee hätten im Herbst die Arbeit in Banis Praxis aufgenommen, schreibt sein Anwalt in einer Stellungnahme. Da die beiden neuen Neurochirurgen keine Kassenzulassung hätten, würden sie Patienten unentgeltlich behandeln und insoweit aus den übrigen Einnahmen der Praxis Bani entlohnt. „Dank der hohen Anzahl von Neurochirurgen in der Praxis Dr. Bani ist die Aufrechterhaltung der neurochirurgischen Versorgung im Einzugsbereich des GLKN entsprechend den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie und der Unfallchirurgie auf Dauer gewährleistet“, heißt es in der von Banis Anwalt verschickten Stellungnahme. Außerdem heißt es: Die Versorgung sei ohne Zögern von der Praxis Bani übernommen worden.