Dieser Satz saß: „Blau isch des neue Schwarz.“ Gefallen ist er gegen Ende einer Nummer, die schon seit Jahren zum Narrenspiegel der Singener Poppele dazugehört, dem Geplauder im Friseursalon. Da hat in diesem Jahr die nun ausgelernte Azubi Niki (Nicola Kania) der Stammkundin Frau Hutschnabel (Silke Hauschild) die Haare blau gefärbt – obwohl die etwas Dezentes gewünscht hat.

Die Chefin (Sandra Korhummel) muss dann die entsetzte Kundin beruhigen – unter anderem mit diesem Satz, der leicht als Anspielung auf den Bundestagswahlkampf und die Abstimmung über Friedrich Merz‘ (CDU) Fünf-Punkte-Plan zur Migration zu verstehen ist, der Ende Januar auch mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit im Bundestag bekam.
Leichtfüßige Seitenhiebe in Richtung große Politik
Das kommt locker und leichtfüßig von der Seite dahergeflogen, nachdem die drei Frauen unter anderem über Starkregen und Gasalarm, Influencer und Männer, die in ihrer Jogginghose mit der Couch verwachsen sind, geplaudert haben.
Überhaupt war die 2025er-Ausgabe des Singener Narrenspiegels stärker als sonst an der Bundespolitik ausgerichtet – kurz vor der Bundestagswahl, die am Sonntag, 23. Februar, stattfindet. Simon Götz, für seine Büttenrede dieses Mal als Fischerin vom Bodensee auf der Bühne, warf einen besonders intensiven Blick in diese Richtung.

Die Bühnenfigur sah da mitunter „Selbstsucht, Rache, Intrige und Geld, wenn nur de eigene Vorteil zellt“. Damit würde man am Grab der Demokratie schaufeln, rief er in den Saal, in dem am Freitagabend zahlreiche Vertreter politischer Parteien und die wahlkämpfende Grünen-Kandidatin Rosa Buss anwesend waren.
Persönliche Ansprache an Ex-Landrat Hämmerle
Eine eigene Erwähnung in Götz‘ Büttenrede bekam der frühere Konstanzer Landrat Frank Hämmerle (CDU), übrigens selbst anwesend im Saal: Der fische im Trüben, sagte die Bühnenfigur, „ja muss des denn sei?“ – eine Anspielung auf Hämmerles Aussage beim Eigeltinger Neujahrsempfang, dass man 20 Prozent der Wählerstimmen nicht ignorieren dürfe. Gemeint war damit die AfD. Das Publikum quittierte Götz‘ Auftritt mit rhythmischen Hoorig-Rufen.
Hämmerle nimmt die persönliche Ansprache gelassen: „Es war ein guter Auftritt. Wenn man da persönlich erwähnt wird, ist das eine Ehre“, sagte er später. Und im Übrigen sei er der Meinung, dass er richtig liege: „Man kann nicht 20 Prozent der Wähler als unberührbar bezeichnen.“ Wenn die AfD so schlimm sei, wie alle sagen, müsse man die Partei eben verbieten.

Und auch die Narrenspiegel-Klassiker Fidele und Nazi – abgekürzt für Ignatius – drehten eine Runde um die Bundespolitik. Es gebe durchaus Parteien, die versprechen, was man gerne hätte – nur eine Partei, die alle Wünsche erfülle, gebe es nicht, sagte da Fidele alias Alois „Ali“ Knoblauch.
Und Nazi, gespielt von Rüdiger Grundmüller, zählt auf, was hätte besser werden sollen: „G‘sundheitsreform, Rentereform, Steuerreform, Bildungsreform.“ Doch stattdessen gebe es immer nur mehr Formulare. Doch natürlich spiegelten die Narren an dem Abend auch das Stadtgeschehen – wie es ihnen Poppele Timo Heckel in der Eröffnung aufgetragen hatte.

Fidele und Nazi lästerten etwa auch über den Glasfaserausbau in Singen. Da würden zwar einige Firmen werben, es sei aber noch kein Meter Kabel verlegt. Und bei dem Spruch „E funktionierende Verwaltung isch i de Lage, sich selbschd zu beschäftige“, musste auch Oberbürgermeister Bernd Häusler lachen.
Ein Blick in die Stadtgeschichte – inoffiziell
In die Stadtgeschichte tauchten die Narreneltern Peter Kaufmann und Ekke Halmer ein – und zwar in die Ereignisse, die beim offiziellen 125-Jahre-Jubiläum ihrer Meinung nach unterbelichtet geblieben sind.

Da waren Filmausschnitte des früheren Singener Oberbürgermeisters Friedhelm „Mek“ Möhrle beim Fußballspielen zu sehen, von der Eingemeindung des zuvor württembergischen Bruderhofs nach Singen oder vom kontrollierten Abbrennen von Flüchtlingsbaracken vor mehreren Jahrzehnten. Das habe seinerzeit sogar den Flugverkehr in Zürich gestoppt, bestätigte Ekke Halmer auch nach der Veranstaltung.

Zunftmeister Stephan Glunk hatte für OB Häusler einen Tipp parat, wie man die Einwohnerzahl von Singen nun wirklich herauskriegen könnte – nachdem der Zensus zuletzt fast 3000 Einwohner weniger ermittelt hat als das städtische Meldewesen. Da beim Umzug am Fasnachtssamstag ganz Singen auf den Beinen sei, zähle der Poppele einfach die Zuschauer beim Umzug.
Begeisterung löste auch ein Lied von 1998 aus, in dem die Verantwortung für allerlei Missstände in Singen, wie herumliegende gelbe Säcke oder unangenehme Gerüche aus dem damals neuen Kompostwerk, auf die Melodie von Reinhard Meys „Der Mörder war immer der Gärtner“ einem Radolfzeller zugeschoben wurde: „Der Täter war ein Radolfzeller, und der schlägt erbarmungslos zu.“

Elisabeth Paul und Angelika Berner-Assfalg kletterten als Berta und Sofie zum 75. Glockenjubiläum auf den Herz-Jesu-Turm und blickten von dort auf die Singener Traditionsgeschäfte, die zuletzt geschlossen haben: Metzger Ribler, Bäcker Auer, Central-Apotheke, Weinstube. Stattdessen gebe es überall Nagelstudios und Barbershops. Nur das mittlerweile insolvente Gasthaus Kreuz mit seiner früheren kulinarischen Linie habe nicht so recht nach Singen gepasst.

Zum Schluss verpflanzte die Karaoke-Gruppe um Simon und Flavia Götz noch die Helene Fischer-Show in die Stadthalle. Darin hatte auch Poppele Timo Heckel einen Auftritt als Schlagersänger – inklusive aufgesetztem Pathos. Das Lied habe er selbst in ein paar Minuten per Künstlicher Intelligenz am Computer erzeugt, erzählt Heckel nach dem Abend – eine Breitseite gegen das Schlager-Business.
Für Begeisterung sorgten auch die Tanzgruppen von Svenja Hübner, Inge Kaufmann und Johanna Barth sowie die – rein männlich besetzte – Feuerwehrtanzgruppe von Simon Götz. Das Blasorchester der Stadt Singen mit Leiter David Krause läutete fetzig-humoristisch das Jahr seines 50. Jubiläums ein. Und nach fast drei Stunden knackvollem Programm war den Akteuren begeisterter Applaus im ausverkauften Saal sicher.