Innerhalb von zwei Tagen müssen Stadtverwaltung, Träger, Lehrer und Erzieher den Betrieb in Schulen und Kitas wieder auf eine Notbetreuung umstellen: Am Sonntag wurde beschlossen, dass mit einem harten Lockdown ab Mittwoch auch Schulen und Kitas schließen müssen. Das bedeutet viel Arbeit für die Verantwortlichen und eine Belastung für Eltern sowie ihre Kinder: „Viele Eltern haben im ersten Lockdown schon all ihre Urlaubstage und Überstunden verbraten und müssen jetzt sehen, wie sie ihre Kinder betreuen können“, sagt Marc Neininger als Vorsitzender des Gesamtelternbeirats der Singener Schulen. „Viele Eltern haben Angst – ob vor Corona selbst oder dem Lockdown.“
Unbürokratische Notlösung mit Listen vom Frühjahr
Bürgermeisterin Ute Seifried geht davon aus, dass eine Notbetreuung ähnlich wie zum Ende des ersten Lockdowns stattfinden wird. „Wir haben noch die Listen aus dem Frühjahr“, sagt sie, diese sollen nun so unbürokratisch und schnell wie möglich aktualisiert werden. Anders sei es auch nicht möglich, denn es fehlen Unterlagen: Der Stadtverwaltung lag bis Montagnachmittag keine ausführliche Verordnung vor. Während der Ferien müssen Eltern sich wie gewohnt um eine Betreuung kümmern, danach soll die Notbetreuung wieder beginnen – manch eine Kita starte schon zum 4. Januar.
Auch in der Notbetreuung sollen Infektionen vermieden werden: „Die Gruppen sollen konstant bleiben, auch wenn sie dann nur halb so groß sind“, erklärt Seifried. „Prinzipiell ist es so, dass neue Verordnungen und Vorgaben meist sehr kurzfristig veröffentlicht werden, was bei allen Beteiligten ein hohes Maß an Belastbarkeit erfordert“, schildert auch Claudia Fischer die aktuelle Schwierigkeit. Sie organisiert die Notbetreuung für die neun Caritas-Kitas in der Stadt. Deshalb solle nach Vorliegen der Verordnung nachjustiert werden.
Erster Austausch schon am Sonntag, damit es einheitlich wird
Einige Lehrer und Schulleiter haben am Montag so viel zu organisieren, dass sie keine Zeit für ein Gespräch finden. Anja Claßen, Leiterin der Waldeck-Schule und geschäftsführende Schulleiterin, geht es ähnlich: Schon am Sonntag habe sie sich mit Kollegen ausgetauscht, am Montag das weitere Vorgehen mit dem Schulträger geklärt. Nun müsse man das Beste daraus machen – auch wenn es teils schwer sei, das den Kindern zu vermitteln: Viele würden gerne in die Schule gehen, um dort ihre Freunde zu sehen und in der Gruppe zu lernen. „Man muss immer wieder ansprechen, warum das nun nicht möglich ist.“ Auch Weihnachtsrituale würden nun ausfallen, bedauert Claßen.
Abschlussklassen werden zuhause unterrichtet
Von den Schließungen ausgenommen sind Abschlussklassen wie die Kursstufe 1 und 2 am Friedrich-Wöhler-Gymnasium, das Sabine Beck leitet. „Derzeit wird noch geklärt, ob die zehnte Klasse auch als Abschlussklasse gilt“, sagt sie. Die betroffenen Schüler würden ab Mittwoch dann aus der Ferne unterrichtet: „Die sind schon relativ selbstständig und vorbereitet, die können das.“ Denn bereits für Montag und Dienstag war Fernunterricht vorgesehen. „Herausfordernd wird es besonders dann, wenn Fern- und Präsenzunterricht gewünscht ist“, sagt Beck, denn Lehrer könnten nicht in der Schule sein und gleichzeitig über die Bildschirme flimmern.
Beim Thema Fernunterricht habe man in den vergangenen Monaten einen gemeinsamen, sicheren Weg gefunden: Ein eigener Server ermögliche auch Videokonferenzen, eine Lernplattform diene dem Austausch. Leihgeräte seien eingetroffen und müssten nur noch eingerichtet werden. „Wir sind auf einem guten Weg. Doch es ist mit die größte Herausforderung momentan, die Unterschiede unserer Schüler zu bedienen, sodass jeder gleich gut lernen kann.“
Kitas dienen nicht nur den Eltern und Arbeitgebern
Die Verantwortlichen in Kitas, Schulen und Stadtverwaltung sind sich einig, dass Kinder wie Jugendliche unter den Einschränkungen der Corona-Pandemie leiden. Annika Klotz, Sprecherin des Gesamtelternbeirats Kita, wünscht sich dabei einen Perspektivwechsel: Kinderbetreuung diene nicht primär dazu, dass Eltern arbeiten können.
„Viel wichtiger ist, dass Kinder ein Recht auf Bildung haben.“ Deshalb müsse man Kitas als Ort der frühkindlichen Bildung einen viel höheren Wert beimessen, findet sie. Sie hätte sich gewünscht, dass vor einer Schließung alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden wären, dabei spricht sie von einer sinnvollen Teststrategie.
Was passiert im Januar? GEB Kita fordert Ausstiegsszenario
„Meine allergrößte Sorge gilt aber der Zeit nach dem 10. Januar. Es muss schon jetzt ein Ausstiegsszenario geben, wie die Kitas im neuen Jahr wieder geöffnet werden können“, fordert sie. Denn beim ersten Lockdown hätten Kitas ganz am Ende der Prioritätenliste gestanden.
„Je kleiner ein Kind ist, desto schwieriger wird es im Lockdown“, sagt auch Sabine Beck vom FWG. An ihrer Schule treffe es beispielsweise besonders die Pubertierenden, denen der Halt und das Treffen mit Gleichgesinnten fehle.
Verständnis wegen angespanner Situation im Klinikum
Für Kinder und Jugendliche sei es eine schwere Zeit, sagt auch Bürgermeisterin Ute Seifried. Denn ihnen bleibe kaum eine Alternative, als ständig mit den Eltern zu Hause zu sitzen. Seifried äußert aber Verständnis für den zweiten, härteren Lockdown: „Irgendwie müssen wir alle schauen, dass man diese zweite Welle der Corona-Infektionen bricht.“
Ihr mache Sorgen, wenn sie höre, dass Intensivbetten knapp werden. „Wir sind schon ziemlich an der Kapazitätsgrenze“, bestätigt Andrea Jagode für das Klinikum Singen. Deshalb sei ein Lockdown wichtig – in der Hoffnung, dass die Zahlen wieder sinken.
Fragen und Antworten zum Lockdown für Kitas und Schulen
- Wer hat Anspruch auf Notbetreuung? Anspruch haben laut einer ersten Mitteilung des Kultusministeriums Kinder, bei denen beide Erziehungsberechtigte oder der alleinerziehende Elternteil als unabkömmlich gelten, ob am Arbeitsplatz oder im Homeoffice. Außerdem haben Kinder einen Anspruch, für deren Kindeswohl eine Betreuung notwendig ist. „Wir haben momentan noch keinen Überblick, wer das in Anspruch nehmen wird“, sagt Anja Claßen als Leiterin der Waldeckschule und geschäftsführende Schulleiterin. Vor einigen Monaten seien sie mit drei kleinen Gruppen in die Notbetreuung gestartet, am Schluss wurden vier größere Gruppen betreut.
- Was ist mit Mittagessen und Ganztagesbetreuung? „Es wird kein Mensa-Catering geben“, sagt Claßen, denn das sei so kurzfristig nicht planbar. Die Notbetreuung soll auch ganztags angeboten werden, wenn ein Kind dafür angemeldet ist.
- Was bedeutet der Ferienbeginn für Klausuren? Tests und Klausuren, die für die nächsten Tage geplant waren, müssen warten. „Irgendwann holt es die Schulen ein“, befürchtet die Bürgermeisterin, denn mit längeren Ausfällen könne man den normalen Schulstoff nicht bewältigen. „Von einer Chancengleichheit sind wir momentan weit entfernt“, sagt Marc Neiniger für den Gesamtelternbeirat Schulen, denn die Lernsituation verschlimmere sich für diejenigen, die ohnehin schon Probleme hätten. Er befürchtet auch, dass wichtige Integrationsarbeit auf der Strecke bleibt. Laut Sabine Beck bedeuten fehlende Tests am Friedrich-Wöhler-Gymnasium besonders Probleme für die Kursstufen, in denen Ende Januar ein Halbjahreszeugnis auf Grundlage einer festgelegten Klausurenanzahl erwartet wird: „Das kann eng werden. Und wenn es im Januar nicht gleich weiter geht, wird es ganz eng.“
- Geht es am 11. Januar wieder los? Dazu können die angesprochenen Schulleiter noch nichts sagen. „Es ist unser ganz großer Wunsch, dass wir nach den Ferien normal mit Unterricht beginnen können“, sagt Anja Claßen. Doch noch könne man keine Prognose treffen. Auch Sabine Beck vom FWG will abwarten: Vor dem 5. Januar mache sie keine konkreten Pläne.
- Sind viele Kinder und Jugendliche infiziert? Bürgermeisterin Ute Seifried hat nur wenige Corona-Infektionen in Schulen und Kitas beobachtet: Drei Schulklassen und eine Kita-Gruppe seien zuletzt in Quarantäne gewesen. Oft handle es sich dabei auch um eine normale Erkältung, bei der eine Corona-Erkrankung ausgeschlossen werden müsse. „Wir haben eher mitbekommen, dass die Eltern erkrankt waren“, sagt Seifried. Auch in den neun Kitas der Caritas waren laut Claudia Fischer, Fachbereichsleitung Familie und Erziehung, insgesamt fünf Gruppen in Quarantäne.