Die Schließung der Kindertageseinrichtungen aufgrund der Corona-Pandemie ab Mitte März war für alle Eltern eine große Herausforderung. Wie haben Sie die Situation erlebt und was haben Sie von anderen Eltern gehört?
Grundsätzlich war das Verständnis bei den Eltern da, dass die Schließung wichtig und richtig ist, aber gleichzeitig fing diese Jonglage an: Wie machen und schaffen wir das? Als Gesamtelternbeirat Kita haben wir aber von den meisten Eltern als Feedback bekommen, dass das gemacht werden muss und eine wichtige Maßnahme ist. Zu dem Zeitpunkt hatten wir alle die Bilder aus Italien aus den Nachrichten im Kopf. Obwohl ein paar Tage vor der Schließung alle noch gedacht haben, bei uns in Deutschland wird es nicht so schlimm.
Wie hat sich die Situation entwickelt, als viele Eltern feststellen mussten, dass Betreuung und Beruf nicht unter einen Hut zu bekommen sind?
Für die Eltern war es von vornherein klar, dass das ein Spagat wird, den man gar nicht schaffen kann. Aber trotzdem haben sie gesagt: Da müssen wir jetzt durch, mit der Hoffnung, dass dann vielleicht zum Ende der Osterferien etwas Entlastung kommt. Dann war die Enttäuschung groß, weil es noch keine Erleichterung gab. Wie stark die Belastung war, hing auch vom Arbeitgeber ab. Es gab welche, die sehr entgegenkommend waren und in manchen Familien konnten beide Elternteile von zu Hause aus arbeiten. Dann gab es auch die, die absolut ins Schwimmen gekommen sind. Man kann eben nicht Homeoffice und zum Beispiel ein Grundschulkind beschulen, ein Kitakind betreuen und den Haushalt machen.
Was war für die Eltern plötzlich nicht mehr normal und wer war besonders belastet?
Das sind so vermeintliche Kleinigkeiten, wie dass das Kind normalerweise in der Kita Mittagessen bekommt. Wenn das weg fällt, müssen sie auch noch einkaufen und kochen. Alles war vorher auf viel mehr Schultern verteilt. Dann gab es Gruppen, für die es besonders schwierig war, wie die Alleinerziehenden. Die hatten dann niemanden, mit dem sie sich mal abwechseln konnten. Wenn man rund um die Uhr für alles allein zuständig ist, ist man ganz schnell an seiner Belastungsgrenze angekommen.
Man hat immer wieder von öffentlicher Seite gehört, dass Homeoffice und Kinderbetreuung wunderbar klappen. Gleichzeitig erzählten Eltern, dass sie völlig am Ende sind. Wie passt das zusammen?
Wir wissen von Eltern, die extra um vier Uhr morgens aufgestanden sind, damit sie noch zwei Stunden in Ruhe arbeiten können, bevor sie dann um sechs ihr Kind gestillt haben. Das hat bei den Eltern zu viel Frust und Ärger auf die Politik geführt. Weil es auch sehr unglückliche Aussagen von Politikern gab, die gesagt haben, das sei doch alles nicht so schlimm. Die sechs Wochen, das sei gerade mal so lang wie die Sommerferien und die Eltern hätten jetzt Zeit gehabt, ihre Kinder besser kennenzulernen.
Wie haben die Eltern reagiert?
So etwas ist den Eltern aufgestoßen, weil sie am Schwimmen waren und sie das Gefühl hatten, dass die Politik ihre Bedürfnisse überhaupt nicht wahrnimmt. Da gab es zum Beispiel auch die Maßnahme des Wirtschaftsministeriums, dass Eltern Lohnfortzahlung bekommen, im Homeoffice Arbeitende waren davon aber ausgeschlossen. Das wurde dann zwar relativiert, aber bei den Eltern ist es so angekommen: Wenn ich im Homeoffice arbeite, muss ich meine Kinder betreuen und das ist wunderbar. So war es natürlich nicht.
Was hätten Sie sich denn in der Zeit gewünscht?
Ich hätte mir grundsätzlich einmal Anerkennung gewünscht. Wenn die Politiker gesagt hätten: Wir verstehen, dass das für Familien eine sehr schwere Zeit ist und dass wir euch etwas abverlangen, was normalerweise nicht geht. Die Anerkennung und Erkenntnis, dass das, was Eltern da leisten müssen, die Quadratur des Kreises ist. Und dann konkrete Maßnahmen, wie zum Beispiel Lohnentschädigungs-Leistungen auch für Eltern, die im Homeoffice arbeiten, deren Kinder aber unter sechs Jahre alt sind.
War es möglich, dass sich Familien bei der Betreuung gegenseitig unterstützten oder gab es sonstige Hilfen?
Es hätte geholfen, wenn es wie in Bayern erlaubt gewesen wäre, dass sich zwei Familien zu Betreuungsgruppen zusammenschließen. Die Kinder wären dann zum Beispiel zwei Tage bei der einen und drei bei der anderen gewesen. Man hätte auch Hilfe und Betreuung in die Familien bringen können. Zum Beispiel Auszubildende in sozialen Berufen, die vielleicht Praktika absolvieren müssen. Das muss man natürlich alles unter dem Aspekt des Infektionsschutzes sehen und manche Maßnahmen sind nicht möglich. Aber auch da hätte ich mir gewünscht, dass es nicht immer so hingestellt wird, als ob die Kinder die großen Virenverbreiter sind. Also dass die Beweislast, dass die Kinder das Virus stark verbreiten, bei demjenigen liegt, der die Kitas und Schulen schließt.
Welche Unterstützung kam denn von den Kitas in Singen in der Zeit der Schließung?
Das war sehr unterschiedlich. Es gab Kitas, die sich sehr engagiert haben, mit den Eltern und den Kindern den Kontakt zu halten. Manche haben auch einen virtuellen Morgenkreis veranstaltet oder Briefe mit Bastelangeboten verteilt. Das hilft zwar nicht bei der Betreuung, aber vielen Eltern war wichtig, dass der Kontakt zur Einrichtung erhalten bleibt. Weil man nicht wusste: Wie lange dauert das und müssen kleinere Kinder neu eingewöhnt werden, wenn es wieder losgeht? Und es gab auch Kitas, bei denen es wenig bis gar keinen Kontakt gab, keine Elternbriefe, keine E-Mails. Wobei ich nicht weiß, warum – ich möchte niemandem etwas unterstellen.
Viele Eltern hatten ja gehofft, dass sich die Lage nach den Osterferien bessert. Wie haben sie reagiert, als dem nicht so war?
Nach den Osterferien durften nicht nur Kinder in die Notbetreuung, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, sondern auch die, deren Eltern Präsenzpflicht am Arbeitsplatz hatten. Mitte Mai kam ja die Aufstockung auf 50 Prozent. Das heißt, Kinder, die einen besonderen Bedarf an Betreuung hatten, durften auch kommen. Gleichzeitig war es aber so, dass zum Beispiel die Bundesliga wieder spielen durfte. Die Bundesliga hat viel Geld und wenn ein privatwirtschaftliches Unternehmen ein Hygienekonzept und eine Teststrategie bezahlen kann, kann sie wieder in den Betrieb gehen. Das ist in Ordnung und ich gönne jedem seine Freude am Fußball. Die Eltern hätten sich aber gewünscht, dass frühkindliche Bildung und Betreuung einen ähnlich hohen Stellenwert haben und von der Politik ein Konzept kommt.
Wie ist die Situation jetzt, nachdem die Kitas wieder geöffnet haben?
Im Vergleich zur Situation davor ist es jetzt für Eltern ein Traum. Die Kinder durften ab 29. Juni gestaffelt wieder in den Kindergarten, in einem teilweise reduzierten Betreuungsumfang. So werden zum Beispiel Kinder mit acht Stunden Betreuung nur noch sechs Stunden betreut. Damit kommen die Eltern im Moment noch ganz gut klar. Doch das Thema „Jede Kommune handhabt das anders“ begegnet uns jetzt bei Erkältungen und Schnupfen.
Kindergartenkinder sind gefühlt dauernd erkältet. Ist das ein Problem?
Viele Eltern berichten uns jetzt schon, dass ihre Kinder selbst wegen leichtem Schnupfen aus der Kita abgeholt werden müssen. Und wir haben noch nicht einmal Herbst. Aus anderen Kommunen wissen wir, dass leichter Schnupfen nicht zum Ausschluss führt. Auch die Regelung zu Attesten ist unterschiedlich. Es ist beispielsweise so, dass Kinder in Stuttgart bei Schnupfen kein Attest brauchen. Wenn die Eltern sehen, dass die Kommunen unterschiedlich agieren, erhöht das das Frustpotential.
Bedeutet das, dass jedes Kind, das einen Schnupfen hat, einen Test machen muss?
Es gibt verschiedene Instanzen, die die Regeln für die Kitas festlegen. Das Landesgesundheitsamt hat ein Papier herausgegeben zu Corona-Anzeichen in der Kita: Anzeichen sind Fieber, Husten, Halsschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen. Das steht im Konzept des Kultusministeriums zur Öffnung der Kitas auch. Der Kommunalverband für Jugend und Soziales spricht von erhöhter Temperatur und Atemwegsinfekten. Jetzt kommt es darauf an, wie man diese Atemwegsinfekte interpretiert. Der Virologe Alexander Kekulé hat gesagt, Schnupfen bei Kindern sei kein Anzeichen von Corona. Das sagen auch die Verbände der Kinder- und Jugendärzte. Das Problem ist auch, dass ein Test nur eine Momentaufnahme ist.
Gibt es denn schon Vorgaben vom Kultusministerium?
Wir warten darauf, dass vielleicht doch noch eine klarere Vorgabe vom Kulturministerium kommt, inklusive einer Teststrategie, die es ja für andere Bereich wie Pflegeheime bereits gibt. Wie das für die Schulen und Kitas aussehen soll, wissen wir noch nicht. Das ist etwas, was wir allerspätestens bis nach den Sommerferien brauchen. Sonst geht es wieder von vorn los und Familien werden das nicht mehr in dem Umfang stemmen können. Es sei denn, es gäbe Maßnahmen, bei denen gesagt wird: Kinder und ein Elternteil müssen zu Hause bleiben. Dabei darf es aber keine gravierenden finanziellen Einbußen geben.
Wie sieht es denn derzeit mit den Qualitätsstandards aus?
Im Moment ist es so, dass von den Standards abgewichen werden kann, weil Erzieherinnen, die zur Risikogruppe gehören, zu Hause bleiben dürfen. Es kann von der Gruppengröße, vom Personalschlüssel und vom Fachkräftestandard abgewichen werden. In vielen Kindergärten ist derzeit kein offenes Konzept möglich, weil es feste Gruppen geben muss. Die Kinder haben teilweise andere Erzieherinnen und können nicht mit ihren Freunden in einer Gruppe sein. Fatal wäre, wenn sich die Möglichkeit zur Absenkung des Qualitätsstandards verstetigen würde. Wenn man feststellen würde: Betreuen kann man ja auch in größeren Gruppen, mit weniger Fachkräften und dann die frühkindliche Bildung auf der Strecke bliebe. Denn es gab ja schon vor Corona einen Mangel an Erziehungsfachkräften.
Zur Person
Annika Klotz, 40, ist im Vorstand des Gesamtelternbeirats der Kindertageseinrichtungen in Singen. Sie arbeitet als Beauftragte für Monitoring und Evaluation bei einem kirchlichen Hilfswerk. Sie hat zwei Kinder. Ihr Sohn ist zweieinhalb und geht in die Kinderkrippe Villa Kunterbunt der AWO, ihre Tochter ist sieben Jahre alt und geht in die erste Klasse der Waldeck-Schule.