Noch ist nichts wie immer. Nicht nur in der Hilzinger Peter-Thumb-Schule kennzeichnen Markierungen die Verkehrswege. Aber: „Das funktioniert richtig gut, auch wenn von den Viert- und Neuntklässlern viel abverlangt wird“, erklärt Schulleiter Martin Trinkner. An der Eichendorff-Schule in Gottmadingen wurden auf dem Schulhof Sterne gesprüht. „Das haben unsere Neunt- und Zehntklässler gut angenommen, sich auf Sterne gestellt und waren doch in der Gruppe, aber auf Abstand“, erklärt Rektorin Cosima Breitkopf. Im Schulhaus sei das Tragen von Mundschutz empfohlen, im Unterricht werde hingegen auf die Einhaltung der Abstandsregeln geachtet: „Wir messen im Zweifelsfall auch mit dem Zollstock nach.“ Vorteilhaft für die Peter-Thumb-Schule sei, dass nur die Klassenstufen 9 und 4 unterrichtet werden. Nach den Pfingstferien, wenn Trinkner mit weiteren Schülern rechnet, werde die Situation herausfordernder. Doch noch ist völlig unklar, wie die Schulen im Land zum Regelbetrieb zurückgeführt werden sollen.
Genau das hat jetzt Eltern in Singen auf die Straße getrieben. Die Initiative „Wir sind mehr als Eltern“ fordert, die Bildungseinrichtungen im Land schnellstmöglich wieder zu öffnen. „Bereits 3000 Unterzeichner haben sich uns angeschlossen“, berichtet Mitinitiatorin Katrin Fuchs. Um auf die Forderungen aufmerksam zu machen, haben sich am Wochenende rund 80 Eltern und Schüler auf dem Schulhof der Waldeck-Schule getroffen. Unterstützung fanden sie bei der symbolischen Beerdigung der Bildung auch durch Oberbürgermeister Bernd Häusler und Bürgermeisterin Ute Seifried: „Das ist ein Thema, das derzeit alle Kommunen bewegt, wir sind da in engem Austausch“, betont Seifried als Verantwortliche für die Schulen im Singener Rathaus.

Unter Einhaltung vorgegebener Abstands- und Hygieneregeln führte die Trauerprozession über den Schulhof der Waldeck-Schule in Singen. Für Fuchs und ihre Mitstreiterinnen Verena Röhm und Annika Klotz trägt Kultusministerin Susanne Eisenmann die Bildung im Land zu Grabe. „Auch Kinder sind systemrelevant“, betont Fuchs. Solidarität, Schutz und Fürsorge für Risikogruppen sei wichtig und richtig, dürfe aber für die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft nicht vergessen werden. „Die Einschränkungen des Rechts auf Bildung und die soziale Isolation aufgrund von Schul- und Kita-Schließungen sowie die daraus resultierenden finanziellen Verluste der Sorgeberechtigten stehen in keinem Verhältnis zu den Lockerungen und Ausnahmeregelungen für andere Personengruppen und für Teile des Wirtschaftslebens“, schreiben Klotz, Fuchs und Röhm in der Petition, die baldmöglichst an die Kultusministerin übergeben werden soll. Sie verwiesen auf die UN-Kinderrechtskonvention und aktuelle Erkenntnisse verschiedener Fachorganisationen, dass Schulen und Kindertagesstätten unter Einhaltung konkreter Hygieneregeln wieder geöffnet werden könnten.

Dabei stoßen die Forderungen durchaus auch bei den Verantwortlichen an den Schulen auf Verständnis. „Wir wünschen uns alle, dass wir uns schnellstens wieder in Richtung Normalität bewegen“, so Trinkner. Insofern sei die Zeit bis zu den Prüfungen nun genutzt worden, um Erfahrungen zu sammeln. „Die Schüler brauchen erst mal ein Gefühl dafür, wie viel 1,50 Meter sind“, sagt Cosima Breitkopf von der Eichendorff-Realschule. Das klappe schon recht gut. Und jetzt könnten die Großen den Kleinen Vorbild sein. Auch Johannes Briechle, Rektor der Zeppelin-Realschule in Singen, beobachtet, dass sich die Schüler bereits an die Situation gewöhnt haben.

Nun stehen Prüfungszeiten bevor. An der Eichendorff-Realschule in Gottmadingen für 90 Schüler. „Wir haben genügend Räume und genügend Lehrpersonal“, betont sie. Doch die Vorbereitungen seien gewaltig. „Wir benötigen 21 Aufsichtspersonen“, kalkuliert Breitkopf. Ähnlich rechnet Briechle für die Zeppelin-Realschule, an der zusätzlich die Schulfremdenprüfungen stattfinden. „Sieben Räume mit jeweils zwei Aufsichtslehrern zu bestücken, das ist ein erheblich größerer Personalaufwand.“
Erfreulich sei die Unterstützung durch die Schulträger: „Wir haben einen ganz tollen Hausmeister, der mit der Gemeinde immer im Austausch steht. Auch die Reinigungskräfte, die einen enorm größeren Arbeitsaufwand haben, arbeiten sehr gut“, ist Trinkner froh, dass sich in einer Situation, die keiner herbei gewünscht habe, alle sehr solidarisch verhalten und sich gegenseitig unterstützen. Auch Kollege Briechle von der Singener Zeppelin-Realschule lobt die Verwaltung: „Von der Stadt kommen regelmäßig Anfragen, was wir benötigen, ob wir Nachschub brauchen – an Seife, Desinfektionsmitteln, und wenn wir etwas benötigen stehen sie gleich Gewehr bei Fuß.“
Fünf Aspekte der Petition an das Kultusministerium
- Die Forderung: Mit sofortiger Wirkung den Präsenzunterricht gemäß des sächsischen Modells in regulärer Klassenstärke aber streng getrennt wieder einzuführen, lautet die Kernforderung. Dies garantiere, dass im Infektionsfall nur die betroffene Klasse in Quarantäne geschickt werde. Die Schulbesuchspflicht sollte eingeschränkt bleiben, so dass Sorgeberechtigte entscheiden können, ob ihre Kinder in der Schule oder zu Hause lernen.
- Die Anderen: Nicht nur in Sachsen, seit 11. Mai sind auch in einigen Schweizer Kantonen Kindergärten, Primarschulen sowie die Sekundarstufe I regulär geöffnet. Auch in Dänemark werden wieder alle Kita- und Schulkinder bis Klasse 5 im Regelbetrieb betreut.
- Der Betrieb: Nicht überall könne der Regelbetrieb aufgrund von Personalmangel oder räumlichen Einschränkungen unter Berücksichtigung von Hygieneregeln folgen. Hier sei die Erlaubnis erforderlich, angepasst an räumliche und personelle Gegebenheiten, Konzepte zu entwickeln. Die Eltern wollen auf Kreativität setzen. So sollte der vorübergehende Einsatz von Referendarinnen und Referendaren geprüft werden oder die Durchführung von Projektunterricht/Projektwochen durch pädagogisch qualifiziertes Personal von Vereinen oder Museen.
- Die Vision: Wünschenswert wäre der Mut, in dieser Krise unorthodoxe Lehr- und Lernerfahrungen zuzulassen. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um die Arbeitsblätter beiseite zu legen und stattdessen beispielsweise den Zyklus der Nahrungsmittelproduktion hautnah zu erleben – vom Anbau und dem Gedeihen der Erdbeeren auf dem Feld, über den Einfluss des Klimas auf das Wachstum der Pflanzen, bis hin zur Zubereitung der Marmelade, zur Preisgestaltung und zum Verkauf.
- Der Rechtsanspruch: Paragraf 24 im Sozialgestzbuch (SGB8) regelt den Anspruch auf frühkindliche Förderung als Teil öffentlicher Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur. „Die Schließung dieser Einrichtungen hat erhebliche Auswirkungen für die Entwicklung, Bildung und Erziehung aller Kinder, das Leben von Familien, die Berufstätigkeit von Müttern und Vätern sowie die Volkswirtschaft insgesamt“, zitieren die Initiatoren der Petition den Kinderarzt Herbert Renz Polster. (cab)
- Mehr Info im Internet: http://chng.it/sRsjHmc2zV