Vom einst prognostizierten Geburtenrückgang ist in Singen keine Spur: „Unsere Kinderzahlen steigen weiter an“, sagte Bürgermeisterin Ute Seifried vor der Sommerpause im Ausschuss für Schule sowie wenig später dem bisherigen Gemeinderat. Das sei Grund zur Freude, aber auch eine unglaubliche Herausforderung für die Kinderbetreuung in der Stadt. „Finanziell geht es um Millionen“, erklärte die Bürgermeisterin hinsichtlich zusätzlich nötiger Plätze. Und selbst wenn diese bereit gestellt sind, braucht es Erzieher. Da gebe es schon jetzt einen Engpass.
- Wie viele Plätze fehlen? 3179 Kinder leben in Singen, die für die Bedarfsplanung relevant sind. Sie sind zwischen wenigen Monaten und 6,5 Jahre alt und haben ein Recht auf einen Betreuungsplatz. Doch von diesen Plätzen werden in den nächsten Jahren einige fehlen: Für Kinder unter drei Jahren braucht es bis 2023 insgesamt 64 zusätzliche Plätze, bis 2028 weitere 28. Für Kinder über drei Jahren fehlen 2022 insgesamt 152 Plätze sowie bis 2030 weitere 101. Konkret fehlen laut den Sitzungsvorlagen drei Krippengruppen für je zehn Kinder im Stadtteil Ost/Süd, außerdem drei Kita-Gruppen in Ost/Süd und zusätzlich mindestens eine Kita-Gruppe in West/Süd. In Innen- und Nordstadt fehlen für Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze, die auch temporär denkbar sind. Und auch nach dem Neubau der Kita Bruderhof fehlen dort bis zu fünf Kita-Gruppen – zwei sollen dauerhaft entstehen, drei vorübergehend.
- Was ist das Problem? Schon jetzt soll die Stadtverwaltung möglichst genau wissen, wie sich der Bedarf in den nächsten fünf, zehn oder 15 Jahren entwickelt. Dabei setzt sie auf den Geografen Tilmann Häusser aus Tübingen und seine Bevölkerungsvorausrechnungen. Doch die Entwicklung lag in den vergangenen Jahren deutlich über den Prognosen: Die Geburtenzahl hat unerwartet zugenommen und der Einfluss von Zu- und Wegzügen war wesentlich stärker als erwartet, heißt es in der Sitzungsvorlage. Deshalb wurde die Bevölkerungsvorausrechnung nun fortgeschrieben und zeigt Handlungsbedarf.
- Was plant die Stadtverwaltung? Zwei Neubauten. In der Südstadt ist eine Kita mit je drei Gruppen für Kita und Krippe angedacht, in der Nordstadt eine dreigruppige Kita. Zusätzlich sollen in anderen geeigneten Räumen der Nordstadt etwa 56 Tagespflege-Plätze für Kinder unter drei Jahren entstehen. Die bereits geplanten Maßnahmen wie der Ausbau der Kita Münchried und der Neubau der Kita Bruderhof reichen nicht, um den zusätzlichen Bedarf der nächsten Jahre zu decken.
- Was soll das kosten? Die sechsgruppige Kita in der Südstadt wird mit einmaligen Kosten von 5,7 Millionen Euro kalkuliert sowie jährlichen Personalkosten von 1,03 Millionen Euro. Bürgermeisterin Seifried erklärte auf Nachfrage von Stadtrat Markus Weber (Neue Linie): Für die Südstadt gebe es bereits Gespräche mit einem Investor. Es sei denkbar, dass dieser die Einrichtung baut und dann an einen Träger vermietet. Die Kosten für die dreigruppige Kita in der Nordstadt sind noch nicht beziffert. Die Kinderbetreuung ist ein großer Posten in Singens Haushalt: 2018 wurden rund 13,5 Millionen Euro dafür ausgegeben, 2017 waren es 11,8 Millionen Euro.
- Was ist, wenn es wieder weniger Kinder werden? Weil der Bedarf ab 2030 wieder etwas weniger werden soll, will die Stadtverwaltung auf eine Mischung aus dauerhaften und flexiblen Angeboten setzen. Für den Bedarf bis 2022/2023 sollen dauerhafte Räume geschaffen werden, anschließend sind auch mobile Lösungen wie Container denkbar.
- Sind die Kitas nur für Singener Kinder? Mehrheitlich ja, doch ein Teil der Kinder in Singens Einrichtungen kommen auch aus dem Umland. Die meisten der 60 ortsfremden Kindern stammen aus Hilzingen (elf Kinder), Gottmadingen, Rielasingen-Worblingen und Volkertshausen (je sieben Kinder). Kita-Abteilungsleiterin Leonie Braun nannte als Gründe, dass die meisten dieser Kinder nach einem Umzug noch in der Kita bleiben oder Kind einer Mitarbeiterin sind.
- Was macht Singen besonders? Durchschnittlich 65 Prozent der Kinder haben laut Leonie Braun einen Migrationshintergrund und bei 46 Prozent werde zuhause nicht Deutsch gesprochen. Dem begegnet die Stadt seit 2006 mit einem besseren Betreuungsschlüssel: Bis zu 28 Plätze pro Kitagruppe sind erlaubt, in Singen werden aber in der Regel nur 25 vergeben.
- Und was ist mit der Schule? Stadtrat Hubertus Both-Pföst (Freie Wähler) erinnerte daran, dass steigende Kinderzahlen sich auch in den Schulen bemerkbar machen werden. „Wir sind derzeit am Hochrechnen, was das bedeutet“, stimmte Bürgermeisterin Ute Seifried zu. Es könne künftig enger in Singens Klassenzimmern werden. Sie könne nicht ausschließen, dass zusätzliche Räume nötig werden.
Bedarfsquote
Ziel der Stadtverwaltung Singen ist es, 90 Prozent der Kinder betreuen zu können. Mit dieser Bedarfsquote ist der Gesamtelternbeirat für Tageseinrichtungen für Kinder in Singen (GEB) aber nicht ganz glücklich: In Baden-Württemberg rechne man mit einer Betreuungsquote von 96 Prozent für Kinder über drei Jahren. Bürgermeisterin Ute Seifried entgegnete, dass das unrealistisch sei. Es sei erklärtes Ziel, möglichst viele Kinder im Kindergarten betreuen zu lassen, auch weil das der sprachlichen und motorischen Entwicklung diene. Doch in Singen gebe es verhältnismäßig viele Menschen, die ihre Kinder lieber selbst betreuen. Als sie in Singen anfing, habe die Quote bei 80 Prozent gelegen. Für den Zeitraum von März 2018 bis Ende Februar 2019 meldet die Stadt eine Bedarfsquote von 86,6 Prozent für Kinder älter als drei Jahre. 13,4 Prozent der Kinder haben also keinen Kitaplatz in Anspruch genommen. Bei den Unter-Dreijährigen liegt die Bedarfsquote bei 34,4 Prozent. (isa)