Gewalt an Frauen ist seit jeher ein Tabuthema. Frauen, die häusliche Gewalt erfahren, ertragen diese oft im Stillen, sagt Vanessa Wind vom Frauenhaus Singen. Allerdings: „Das Thema ist keine Privatsache“, betont sie. Die Einrichtung ist seit Jahren eine Anlaufstelle für Betroffene, die nicht weiter wissen und Hilfe brauchen. Denn das Frauenhaus bietet nicht nur eine erste Unterstützung an oder nimmt die Frauen in der Einrichtung auf.
Die Mitarbeiterinnen begleiten die Opfer von Gewalt auch danach weiter. Sie beraten die Frauen nach ihrem Aufenthalt bei der Wohnungssuche und helfen beim Ausfüllen wichtiger Unterlagen. Dabei sei Hilfe aktuell notwendiger denn je, denn die Corona-Krise habe die Lage noch mal verschärft. „Durch die Pandemie-Bedingungen ist die Situation zuhause für viele Frauen und Kinder noch angespannter geworden, da die ganze Familie rund um die Uhr zusammen war“, erzählt die Sozialpädagogin.
40 Prozent mehr Beratungen
Laut der hausinternen Statistik haben im Corona-Jahr 30 Frauen und 33 Kinder Schutz im Singener Frauenhaus gefunden. In 28 Fällen wurden die Frauen misshandelt. In den anderen beiden Fällen lag der Verdacht auf sexuellen Missbrauch eines Kindes vor. Alle aufgenommenen Kinder haben die Gewalt gegen die Mutter miterlebt. Elf Kinder wurden selbst Opfer von häuslicher Gewalt, geht aus dem Jahresbericht der Einrichtung hervor. Einige Frauen waren nur ein paar Tage im Frauenhaus, teilweise benötigten die Betroffenen jedoch auch länger als fünf Monate Schutz vor den gewalttätigen Männern.
Weitere 46 Frauen mit 57 mit betroffenen Kindern fragten nach einer Aufnahme ins Singener Frauenhaus. Da die Wohnungen in der Einrichtung alle belegt waren, wurden die Betroffenen jedoch an andere Frauenhäuser vermittelt. Das Beratungsangebot in Singen wurde vergangenes Jahr von 216 Frauen angenommen. Zum Vergleich: im Vorjahr waren es noch 168 Frauen. Dies entspricht einer Zunahme von 40 Prozent. „Insbesondere im ersten Lockdown wurden Beratungen in unserer Interventionsstelle nachgefragt“, so Wind. Häufig kamen diese Anfragen auch direkt nach einem eskalierten Streit. Allerdings: „Durch diese Beratungen konnten Lösungen gefunden werden, sodass es nicht zu einer Aufnahme ins Frauenhaus kam.“
Seit Januar bietet das Frauenhaus auch eine mobile Beratung bei häuslicher Gewalt in Tengen an. Es handele sich hierbei um ein Pilotprojekt des Ministeriums für Soziales und Integration Baden-Württemberg. Das Land unterstützt dabei die mobilen Teams durch Fördergelder. „Das Ziel der mobilen Teams ist es, in unterversorgten Regionen eine Beratung anzubieten. Gerade für die Orte im Raum Tengen ist es oft schwierig, unsere Beratungsstelle in Singen zu erreichen“, beklagt sie. Daher wurden mit dem Tengener Bürgermeister Marian Schreier nach Räumlichkeiten für die mobilen Beratungen gesucht.
„Der Bürgermeister hat uns dann gleich ein Büro im Rathaus zur Verfügung gestellt“, sagt Vanessa Wind. Das sei von der Lage günstig, gerade mit dem neuen Ärztehaus in unmittelbarer Nähe. Es sei wichtig, einen unverfänglichen Ort auszuwählen, der für die Frauen offen zugänglich ist. „Die Betroffenen, die zu uns kommen, brauchen schnelle Hilfe. Das heißt, sie müssen uns auch schnell finden können“, erklärt die Sozialpädagogin.
Jeden Freitag von 9 bis 11 Uhr können Betroffene nun in die offene Sprechstunde kommen. „Darüber hinaus bieten wir auch flexible Beratungstermine und Möglichkeiten an“, so Wind. Während der Lockdowns stand insbesondere die Telefonberatung im Vordergrund, aber auch das „Walk and Talk“ wurde gern angenommen. Hierbei haben sich die Beraterinnen mit den Frauen im Freien getroffen. „Durch diese Beratungen war es möglich, den nötigen Mindestabstand zu halten und den Betroffenen dennoch Hilfe anzubieten.“ Bereits rund 100 Beratungen hätten so in Tengen stattgefunden.
Die Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen sei vielfältig, doch die Beratung sei das A und O, sagt Wind. „In der ersten Sprechstunde machen wir uns ein Bild der Situation. Wie bedrohlich ist die Lage, gibt es Kinder, wie sieht es finanziell aus.“ Das könne schnell sehr emotional werden, doch jede Frau müsse nur so tief gehen, wie sie möchte. Pro Fall wird im ersten Gespräch eine Stunde Beratungszeit eingeplant. „Es ist wichtig, sie darüber zu informieren, welche Möglichkeiten sie haben“, erklärt die Sozialpädagogin.
Nicht immer sei ein Aufenthalt im Frauenhaus nötig. „Manche Frauen hören sich das erst einmal an und man trifft sich später noch mal. Einige melden sich erst nach ein paar Monaten wieder.“ In den meisten Fällen werden Betroffene selbst aktiv bei der Kontaktaufnahme. Seltener werden Frauen von Verwandten, Bekannten, Arbeitskollegen oder Behörden an das Frauenhaus verwiesen.
Wichtig sei aber nicht nur, die Frauen für den Moment zu betreuen, sondern ihnen auch einen Weg in die Zukunft zu zeigen. Denn einige Betroffene würden zögern, sich Hilfe zu suchen, weil sie von den Männern, abhängig seien. „Wir unterstützen die Frauen dabei, sich auf ein Leben danach vorzubereiten – nicht nur finanziell.“
Zahlen und Fakten zum Frauenhaus
- Der Verein: Der Verein Frauen-und Kinderschutz e.V. Singen ist der Träger des Frauenhauses Singen sowie der Beratungsstelle. 1990 wurde der Verein gegründet. Aktuell hat der Verein 108 Mitglieder. Annette Spangenberg ist Vereinsvorsitzende. Das Frauenhaus wird finanziert durch das Land Baden-Württemberg und dem Landkreis Konstanz. Die Arbeit des Vereins wird auch durch Sach- und Geldspenden unterstützt.
- Aufenthaltsdauer: Zwei der aufgenommenen Frauen waren bis zu drei Tage in der Einrichtung, vier Betroffene blieben eine Woche, ebenfalls vier Frauen blieben bis zu zwei Wochen. Fünf Betroffene waren bis zu einem Monat im Frauenhaus untergebracht. Neun Frauen blieben bis zu drei Monate. Zwei Frauen waren bis zu fünf Monate in der Einrichtung, zwei weitere Betroffene länger als fünf Monate. Das Frauenhaus hatte für das Jahr 2020 eine Auslastung von 98 Prozent.
- Kontakt: Das Frauenhaus Singen steht allen Frauen offen, unabhängig vom Alter oder der Herkunft. Die Singener Beratungsstelle in der Höristraße 4 und das mobile Team im Tengener Rathaus in der Marktstraße 1 sind telefonisch erreichbar unter der Nummer (0 77 31) 3 12 44, per E-Mail über frauenhaus-singen@t-online.de und über die Webseite www.frauenhaus-singen.de. Die Beratung ist anonym und kostenlos.