Zweieinhalb Stunden lang hat er interessiert zugehört, aber gegen Ende meldet sich der Singener Polizeichef doch zu Wort. „Als Institution genießen wir hohes Vertrauen“ sagt Thomas Krebs und meint damit die Polizei. „Aber gerade sind wir dabei, dieses Vertrauen zu verspielen.“
Seine Kollegen und er seien geschockt von den Vorgängen, die man bundesweit beobachten könne. „Ich werde alles tun, damit das bei uns nicht um sich greift.“ Geht es ihm um rassistisch motivierte Polizeigewalt? Darum, dass schwarze Menschen von der Polizei schlechter behandelt werden?
Dass Krebs nicht konkreter wird, könnte damit zu tun haben, dass in der von der Grünen-Landtagsabgeordneten Dorothea Wehinger initiierten Diskussionsrunde im Singener Hospiz vor allem eins deutlich wird: Rassismus ist komplex.
Dabei hatte sich die Konstanzer Soziologieprofessorin Claudia Diehl zu Beginn der Veranstaltung Mühe gegeben, das Phänomen greifbarer zu machen. Ein biologisch begründeter Rassismus, der Menschen alleine wegen ihrer Hautfarbe Wert abspricht, sei in Deutschland nicht mehr weit verbreitet. Trotzdem gebe es nachweisbare Ungleichbehandlungen.
Zum Beispiel unterstelle man einer Muslima eher, dass sie sich nicht auf dem Arbeitsmarkt einbringen will als einer Christin. „Dabei ist das eine Eigenschaft, die generell auf konservative religiöse Frauen zutrifft.“ Die Forschung zeige zudem, dass viele Angehörige der Mehrheitsgesellschaft Probleme damit hätten, einen Türkei-stämmigen Chef zu haben. Tendenziell gelte: Ältere, weniger Gebildete, die selten in Kontakt mit Menschen außerhalb der Mehrheitsgesellschaft stehen, haben am ehesten Vorurteile. Claudia Diehls Impuls: „Investiert in Bildung.“
Das scheint einigen, der rund 20 Teilnehmer nicht zu genügen. Zwei von ihnen berichten, dass sie aufgrund ihres Aussehens ständig bei Kontrollen ins Visier des Zolls geraten. Marcel Da Rin wiederum thematisiert scheinbar positiven Rassismus im Sport. Fußballer mit schwarzer Hautfarbe verknüpfe man mit Vorbildern wir Pelé – eine Aufwertung, die außerhalb des Platzes jäh ins Gegenteil umschlagen kann.
Auch Black-Lives-Matter-Aktivistin Linda Addae erzählt eindringlich, wie unangenehm es ist, als Ausnahmeerscheinung wahrgenommen zu werden: „Nach dem Motto: ‚Dich mögen wir ja, du bist nicht so wie die anderen Schwarzen.‘“
Ist offensichtlicher Rassismus im Hegau also doch weiter verbreitet als die Wissenschaftlerin anfangs ausgeführt hat? Bernhard Grunewald vom Verein „inSi“ knüpft damit an, wie aufgewühlt sich viele Anwohner in der Singener Nordstadt gezeigt hätten, als es vor einigen Jahren darum ging, männliche Geflüchtete in der Kreissporthalle unterzubringen.
Und auch Yves Zimmermann, Mitglied des Engener Jugendgemeinderats, hat in seinem Heimatort ähnliches beobachtet. „Als meine Eltern ihr Hotel als Flüchtlingsunterkunft verpachtet haben, gab es einen Aufschrei in der Nachbarschaft“, erzählt der junge Mann. „Ich hätte vorher nie gedacht, wie nahe Rassismus mir tatsächlich ist.“
Zimmermann sieht Privilegierte in der Pflicht, Initiative zu zeigen – im Gespräch aber auch in den Sozialen Medien. Die anderen Teilnehmer spenden Applaus. Überhaupt ist in der Runde Solidarität spürbar. Die Identifikation mit Opfern von Diskriminierung geht sogar so weit, dass einige Anwesende sich berufen fühlen, zu erzählen, wie sie als Schwaben oder Hochdeutsch-Sprechende ausgegrenzt wurden. Auch das Alltagsrassismus?
Immerhin, da sind sich alle Beteiligten einig: Bildung und Begegnungsangebote können helfen, damit sich etwas in der Gesellschaft verbessert. Und sie alle wünschen sich, dass der Diskurs rund um das Thema Rassismus nicht ins Elitäre abdriftet. Dorothea Wehinger betont abschließend, dass es weitere Zusammenkommen geben wird. Ein Abend alleine reicht nicht, um dem komplexen Thema Rassismus gerecht zu werden.