Herr Krebs, wie unvorbereitet hat die Polizei die Corona-Krise getroffen?
Polizeiarbeit lebt ja davon, dass man ad hoc Entscheidungen treffen muss. Wir tun uns deshalb nicht schwer, uns auf neue Situationen einzustellen. Trotzdem muss ich sagen: Höchster Respekt an meine Kollegen und wie sie mit dieser Krise umgegangen sind. Vor allem am Anfang wusste man ja nicht, wie gefährlich und ansteckend das Virus wirklich ist. Meine Kollegen waren trotzdem bereitwillig rund um die Uhr draußen unterwegs – obwohl sie sich ja nicht aussuchen konnten, mit welchen Menschen sie dabei Kontakt haben.
Haben sich einige Ihrer Kollegen tatsächlich mit dem Virus infiziert?
Überraschenderweise hat sich keiner der Beamtinnen und Beamten im Streifendienst angesteckt. Im Revier selbst hatten wir einen Corona-Fall und bei der Kripo gab es auch einen oder zwei. Durch die Quarantäne-Regelungen haben wir das aber gut in den Griff bekommen. Es gab auch einige Kollegen, die selbst zwar nicht infiziert waren, aber trotzdem zwei Wochen daheim bleiben mussten, weil sich Bekannte, Verwandte, der Partner oder die Partnerin angesteckt hatten. Zu erwähnen ist auch, dass es Kollegen mit Vorerkrankungen gibt, die im Moment besonders gefährdet sind. Da mussten wir zum Teil umorganisieren. So sind zum Beispiel drei Beamte eines Polizeipostens zu uns aufs Revier gekommen. Hier können sie in Einzelbüros arbeiten.
Haben Sie auch auf dem Revier selbst Maßnahmen getroffen, um die Ansteckungsgefahr zu senken?
Wir haben verschiedene Regelungen eingeführt, um das Risiko zu minimieren. Wir haben Desinfektionssäulen aufgestellt und halten Abstände ein. Besucherverkehr findet über den Haupteingang statt. Alle, die hier arbeiten, verwenden den Hintereingang. Anfangs war das Thema Schutzausrüstung problematisch. Desinfektionsmittel, Masken und ähnliches war nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung und es war ja anfangs nicht klar, ob so ein Mund-Nase-Schutz überhaupt hilft. Auch war es nicht einfach, in kurzer Zeit Schutzausrüstung für 100 Polizistinnen und Polizisten zu beschaffen. Inzwischen klappt intern aber alles sehr gut mit den Hygiene-Regelungen. Ich glaube, ich habe noch nie so oft meine Hände gewaschen, wie in letzter Zeit... (schmunzelt)
Welche Veränderungen waren denn besonders herausfordernd?
Problematisch war zunächst die Schichtübergabe. Normalerweise setzen sich Früh- und Spätschicht immer kurz zusammen. Das haben wir unterbunden, um zu verhindern, dass das ganze Revier lahmgelegt ist, sobald sich einer ansteckt. Jetzt machen nur noch die Dienstgruppenleiter eine Übergabe. Die anderen warten in Gruppenräumen, bis „die Luft rein ist“. Außerdem haben wir feste Streifen eingeteilt, sodass immer nur die gleichen Kollegen miteinander fahren. Was die Kollegen besonders hart trifft: Es gab in den vergangenen Wochen keinen Dienstsport mehr, kein Einsatztraining, kein Schießtraining. All das wird jetzt erst langsam wieder hochgefahren. Das Gleiche gilt für den Kundenkontakt, auch der nimmt erst allmählich wieder zu. Falls möglich werden Anfragen immer noch telefonisch geklärt. Das gilt auch für Vernehmungen: Straftaten nehmen wir vor Ort auf, aber die anschließenden Vernehmungen finden meistens am Telefon statt.
Ist die Zahl der Verbrechen mit dem Lockdown nach unten gegangen?
Anfangs haben wir noch gescherzt, dass wir uns jetzt, wo es keine Großveranstaltungen gibt und die Kneipen geschlossen sind, auf ein ruhiges Leben einstellen können. Aber von wegen. Im Vergleich zum gleichen Zeitraum letztes Jahr ist die Zahl der in Singen begangenen Straftaten sogar um 70 Fälle gestiegen. Was wir natürlich haben, ist eine Verschiebung der Deliktsbereiche. Wir haben wesentlich weniger Körperverletzungen gehabt. Das ist klar: Meistens entsteht Streit, wenn die Leute abends betrunken aus der Kneipe kommen. Ebenfalls zurückgegangen, ist die Zahl der Einbrüche – vermutlich sind auch die Verbrecher zu Hause geblieben (schmunzelt). Diesen Rückgängen steht aber eine massive Steigerung der Betrugsdelikte gegenüber: Menschen haben Dinge im Internet bestellt und nicht bezahlt oder Dinge angeboten, dann aber nicht geliefert. Was mich persönlich überrascht hat: Obwohl so viele Läden geschlossen waren, hatten wir im März und April 50 Ladendiebstähle mehr als im Vorjahr. Und was noch auffällt: Wir hatten in den vergangenen Monaten deutlich mehr Betäubungsmitteldelikte als 2019.
Wie erklären Sie sich das? Glauben Sie, die Menschen im Hegau haben gerade stärker den Wunsch, sich zu betäuben?
Nein, es gab einfach mehr Kontrollen. Wir haben uns ja speziell auf die Überwachung der Corona-Verordnungen konzentriert. Bei diesen Kontrollen haben wir viele Leute erwischt. Wir führen intern eine Brennpunktliste, auf der wir festhalten, wo besonders viel los ist. Wenn wir einen Hinweis hatten, dass sich dort Ansammlungen gebildet haben, sind die Kollegen ausgerückt und kamen meistens mit sieben, acht Anzeigen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zurück.
Wie sieht es mit anderen Straftaten aus: Gab es vermehrt häusliche Gewalt? Mehr Vandalismus?
Medial war häusliche Gewalt ja immer wieder Thema. Im Gebiet des Singener Reviers konnten wir aber keine Zunahme feststellen. Auch bei Sachbeschädigungen: ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Da muss ich die Bürger wirklich loben. Wir hätten nicht erwartet, dass sich alle so gut an die Maßnahmen halten. Weit über 90 Prozent der Leute waren sehr kooperativ. Und die Leute, mit denen wir sowieso immer zu tun haben – mit denen haben wir auch jetzt in Pandemiezeiten viel zu tun. Sie halten sich weiter draußen an ihren Treffpunkten auf. Das gilt zum Beispiel für die Trinkerszene in der Fußgängerzone: Die halten sich schon im Normalfall selten an Regeln. Das gleiche gilt jetzt für die Corona-Regeln.
Apropos Corona-Regeln: War es nicht schwierig, den Überblick über die aktuellen Verordnungen zu bewahren?
Anfangs hatten wir dreimal in der Woche Videokonferenzen, weil es fast im 24-Stunden-Takt Neuerungen gab. Eckpunkt war zwar immer, dass große Menschenansammlungen tabu sind, aber sukzessive durften dann ja die ersten Läden aufmachen. Dann durften sich wieder erste Gruppen treffen. Dass sich die Regelungen so schnell geändert haben, hat die Kollegen teilweise schon vor Probleme gestellt. Wir haben auch viele Anrufe erhalten. Die Leute wollten wissen: Was gilt jetzt? Was darf ich? Gerade bei uns in der Region war das schwer zu beantworten, weil ja an der Grenze Bundesrecht gilt und bei uns Landesrecht. Als Beispiel: Wenn ein Deutscher mit Wohnsitz Schweiz über die Grenze möchte, sagt der Zöllner vielleicht: „Das ist ein Deutscher, der darf einreisen.“ Sobald er dann aber in Baden-Württemberg ist, gilt die Corona-Verordnung und somit darf er sich gar nicht hier aufhalten. Solche Fälle hatten wir täglich. Eine Zeit lang hieß es ja: Wenn man ein berechtigtes Anliegen hat, darf man einreisen. Jetzt haben zum Beispiel viele Schweizer ihre Pferde hier in Deutschland. Die zu füttern, galt als berechtigtes Anliegen – ein Besuch bei der Familie dagegen nicht. Solche Fälle zu verstehen und den Leuten zu erklären, war nicht immer einfach.
Es gab und gibt auch Kundgebungen gegen die Corona-Verordnungen. Wie haben Sie diese Veranstaltungen erlebt?
Nachdem bundesweit die ersten Demos kamen, haben sich auch Menschen in Singen getroffen. Da sind aus unserer Sicht aber keine Chaoten dabei. Wir haben bis jetzt keine Schwierigkeiten mit den Demonstranten gehabt.

Schwierigkeiten erwarten die Polizei, wenn die Grenzen wieder offen sind. Fühlen Sie sich vorbereitet, nachdem es auf der A 81 erneut zu illegalen Autorennen unter Schweizern gekommen ist?
Es ist richtig, wir hatten Ruhe während der Grenzschließung. Ansonsten kennen wir es ja, dass auch Raser aus der Schweiz zu uns rüberkommen. Das nimmt jetzt wieder zu. Aber wir haben zusammen mit den Schweizer Kollegen einen Plan ausgearbeitet. Es geht vor allem darum, am Wochenende verstärkt die Szene-Treffpunkte zu kontrollieren. Auch die sozialen Medien behalten wir da im Auge. Bei den Geschwindigkeitskontrollen selbst kommen unter anderem Videokameras zum Einsatz.
Wer sind diese Raser denn? Gibt es da ein spezielles Täterprofil?
Nein, das geht über alle Schichten und Altersklassen hinweg. Wir beobachten aber, dass viele nicht in eigenen Fahrzeugen, sondern in gemieteten Autos unterwegs sind.
Abschließend eine persönliche Frage: Sie sind fast zwei Jahre Polizeichef in Singen. Was unterscheidet Singen denn von Albstadt, wo Sie zuvor tätig waren?
Das Revier in Singen ist viel größer als das in Albstadt und es ist auch mehr „geboten“. Die Aufgabe an sich, Vorgesetzter zu sein, ist eigentlich gleich und wurde mir hier in Singen sehr leicht gemacht. Ich habe ausnahmslos sehr nette und motivierte Kolleginnen und Kollegen. Und auch den Singener Bürgerinnen und Bürgern möchte ich ein dickes Lob aussprechen; sie sind sehr aufgeschlossen, nett und tragen das Herz auf der Zunge – kurzum ich fühle mich hier ausgesprochen wohl. Der Schwabe an sich ist da doch etwas zurückhaltender und verschlossener.