Um den Jahreswechsel wird es traditionell etwas ruhiger: Erst scharen sich Familien um den Christbaum, dann begrüßen Freunde gemeinsam das neue Jahr. Dieses Jahr war es im Privaten wegen Kontaktbeschränkungen vielerorts noch ruhiger – aber das Hegau-Bodensee-Klinikum erlebte sehr anstrengende Tage.

Statt Menschen zu behandeln, die an Silvester zu viel getrunken oder sich beim Feuerwerk verletzt haben, kämpften Ärzte und Pfleger um das Leben von Covid-Patienten und verzeichneten einen neuen Höchststand. Der Ärztliche Direktor Frank Hinder gibt im Gespräch mit dem SÜDKURIER einen Einblick, wie es dem Klinikum und seinen Mitarbeitern nach dem zweiten Corona-Jahr geht – und wie sie auf das nächste blicken.
Jahreswechsel mit den meisten Corona-Patienten seit Beginn der Pandemie
„Auf der Intensivstation war es sehr angespannt“, schildert Frank Hinder die vergangenen Tage. Denn im Klinikum mache sich das Infektionsgeschehen mit zwei bis drei Wochen Verzögerung bemerkbar. Der 30. Dezember sei mit 13 Covid-Patienten auf der Intensivstation der Tag mit den meisten Corona-Patienten dort seit Beginn der Pandemie gewesen. „Das klingt nach nicht viel. Aber wenn man die versorgen muss, ist es eine riesige Zahl.“
Obwohl Operationsmöglichkeiten geschlossen wurden, um Personal und Betten für die Betreuung von Corona-Patienten zu gewinnen, seien alle 24 Intensivbetten belegt gewesen. Einige Patienten habe man verlegen müssen. „Es war Spitz auf Knopf.“ Auch auf Normalstation sei viel los gewesen. „Wir hatten an den Weihnachtstagen 90 bis 100 Patienten pro Tag in der Notaufnahme. Da kann man nicht runterfahren.“ Allerdings habe es nur sehr wenige klassische Silvesterfälle gegeben.
Eine allgemeine Impfpflicht wäre fairer
Solidarität und Fairness wünscht sich Frank Hinder von der Gesellschaft. „Ich wünsche mir, dass sich alle impfen lassen, bei denen es medizinisch vertretbar ist. Auch aus Fairness gegenüber denen, die im Gesundheitssystem arbeiten und sich impfen lassen sollen, um alle anderen behandeln zu können.“ Lange habe er gehofft, dass es dafür keine Impfpflicht brauche. Aber man habe nur mit einer hohen Impfquote die Chance, das Virus einzugrenzen.
Er hofft, dass dann künftig nicht mehr jede Corona-Welle dazu führe, dass das Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt. „Wir wollen doch alle unser normales Leben zurück“, appelliert der Ärztliche Direktor. Die meisten Klinikmitarbeiter seien geimpft, aber nicht alle. Daher sei man gespannt auf die Auswirkungen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht: Wenn Mitarbeiter im Gesundheits- und Pflegebereich bis zum 15. März nicht geimpft sind, dürfen sie nicht mehr arbeiten.
Omikron ist eine Blackbox
Aktuell sei die Pandemie in einer Übergangsphase von der Delta- zur Omikron-Variante, sagt der Hinder. Deshalb würden Patienten momentan erstmal einzeln in Zimmern versorgt, bis klar sei, an welcher Variante sie erkrankt sind. „Wir wissen bei Omikron noch nicht, wie krank es macht“, erklärt Frank Hinder. Denn Erfahrungen anderer Länder könne man nicht einfach übertragen. Die Isolation bedeutet mehr Aufwand für die Klinik-Mitarbeiter – und fehlende Gesellschaft für den Patienten, bis nach wenigen Tagen Details seiner Erkrankung feststehen.
Frank Hinder geht davon aus, dass in vier Wochen fast alle Covid-Erkrankten mit der Omikron-Variante infiziert sein werden. Dass britische Studien nahelegen, dass nur ein Viertel der Erkrankten weniger ins Krankenhaus müssen, ist für ihn aber kein Trost: „Ich hoffe, es sind deutlich weniger. Denn die Infektionszahlen werden sehr viel höher sein.“ Er warnt auch davor, dass Menschen auf einen milderen Verlauf spekulieren, wenn sie sich mit einer Omikron-Variante infizieren. Denn damit seien sie nicht immun: „Das wird langfristig nicht mehr schützen als eine Erstimpfung.“
Andere Krankheiten müssen wegen Corona warten
„Wir haben es in jeder Welle geschafft, Menschen mit dringenden Krankheiten zu versorgen“, betont Frank Hinder. Er unterscheidet dabei drei Gruppen: Krebspatienten sollten ebenso wenig warten müssen wie andere mit dringlichen Krankheiten wie Schlaganfall oder Herzinfarkt. „Die müssen wir aufnehmen, egal was ist.“ Auch ein Beinbruch könne nicht warten.

Dann gebe es noch den Graubereich der Menschen, bei deren Erkrankung innerhalb der nächsten Wochen eine Verschlechterung zu befürchten ist. Manche Menschen müssten aber länger warten als sonst, räumt er ein. „In allen Krankenhäusern haben sich Operationen aufgestaut“, erklärt der Ärztliche Direktor. Um diese aufzuholen, versuche man die Zeiträume zu nutzen, in denen normalerweise weniger operiert wurde. Außerdem würde man notfalls auch bis abends oder bis in die Nacht arbeiten.
Die Mitarbeiter kommen an Grenzen
Mit einer Routineversorgung sei der Arbeitsalltag anstrengend genug, seit bald zwei Jahren dominiere Corona den Klinikalltag. „Manche Mitarbeiter werden sich fragen, wie lange sie das mitmachen können und wollen“, sagt Frank Hinder über die Stimmung im HBK. Aber er erlebe auch ein sehr zufriedenes Team, das engagiert sei und zusammen halte. Als Beispiel nennt er einen Covid-Dienst, der Kollegen unterstützen sollte – innerhalb von zwei Tagen hätten sich genügend Freiwillige für die nächsten drei Monate gemeldet. Gerade bei Pflegern, die noch näher am Patienten sind, bemerke er aber auch Frust: „Die Leute sind müde, weil es nicht weniger wird.“
Neues Jahr soll weniger von der Pandemie geprägt sein
Frank Hinder blickt trotzdem zuversichtlich auf 2022. Vor einem Jahr habe er große Hoffnungen gehabt, dass das Klinikum nicht noch einmal so einen Winter durchstehen muss. Doch dann ließen sich weniger Menschen impfen als erhofft und neue Virusvarianten sorgten für zahlreiche Infektionen. Aufgeben will Hinder nicht: „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir brauchen eine Perspektive. Und die Chance darauf besteht ja.“ Denn man habe gut wirksame Impfstoffe mit sehr wenigen Nebenwirkungen.