Endlich kann sie im Sommer kurze Hosen ohne Kompressionsstrümpfe tragen. Was für viele selbstverständlich ist, war für Rebecca Schuler aus Singen lange Zeit unvorstellbar. Seit ihrer Jugendzeit leidet die 36-Jährige an einer Fettwechselstörung – dem Lipödem. „Es fühlte sich an, als wäre mein Körper aus zwei unterschiedlichen Hälften zusammengesetzt. Meine Oberschenkel waren deutlich kräftiger als der Oberkörper“, beschreibt die Betroffene. Erst durch eine Operation hat sich das geändert. Der Weg bis dahin war lang, schwer und teuer.
Begleitet hat sie dabei die Gefäßchirurgin Kristina Korsake. Sie leitet die Gefäßpraxis des Medizinischen Versorgungszentrums auf der Reichenau und befasst sich mit den Schmerzen von Rebecca Schuler und anderen Betroffenen: „Die meisten spüren das Lipödem als brennenden Hautschmerz und können deshalb keine engen Hosen tragen. Außerdem fühlen sich die Beine schrecklich schwer und müde an, weshalb sie keine weiten Wege laufen können“, so Korsake.
Die Diagnose ist relativ neu
Auslöser können der Fachärztin zufolge genetische oder hormonelle Zusammenhänge sein, die häufig im Zuge des ersten Menstruationszyklus zum Vorschein kommen. Das seien aber nur Theorien. Denn die Diagnose Lipödem gebe es erst seit ungefähr 25 Jahren, weshalb die Forschung noch nicht fortgeschritten sei. „Jahrelang wurde die krankhaft unproportionale Fettverteilung einfach als Adipositas diagnostiziert, weil sich das Krankheitsbild sehr ähnelt“, erklärt Kristina Korsake.
Nach Angaben der Gefäßchirurgin sind in Deutschland zehn bis 15 Prozent aller Frauen vom Lipödem betroffen. „Im MVZ in Singen und Rielasingen behandeln wir insgesamt 30 bis 40 Betroffene“, sagt sie. Aber es gebe auch viele Fehldiagnosen: „Viele Patienten sind einfach nur übergewichtig, hoffen aber auf eine Lipödem-Diagnose, weil sie sich dann nicht schuldig für ihren Zustand fühlen“, erklärt die Gefäßchirurgin.
Aus diesem Grund hat Rebecca Schuler schon öfter zu hören bekommen, das Lipödem sei nur eine Ausrede, um ungestört weiteressen zu können. „Da stehe ich drüber. Außerdem wurde das Lipödem bei mir 2013 diagnostiziert“, erklärt sie.
So lässt sich das Lipödem behandeln
Gegen den Druckschmerz an den Oberschenkeln wurden Rebecca Schuler Kompressionsstrümpfe verschrieben, die sie konsequent tragen musste. Zusätzlich ging sie zweimal wöchentlich zur Massage, der sogenannten Lymphdrainage. Korsake zufolge werden beide Leistungen von der Krankenkasse übernommen. Die Gefäßchirurgin empfiehlt zudem eine Gewichtsabnahme. „Die Disproportionen bleiben dennoch bestehen, das Lipödem ist nicht heilbar“, betont sie.

Diese Erfahrungen musste Rebecca Schuler auch machen, als sie 2019 mit dem Intervallfasten begann: „Ich habe zwar 20 Kilo abgenommen, aber die Schmerzen wurden schlimmer.“ Im Zuge einer Schwangerschaft vergrößerte sich zudem ihr Beinumfang. Nach Angaben der Gefäßchirurgin ist das bei hormonellen Schwankungen durchaus üblich. Auch die Wechseljahre können die Krankheit verschlechtern.
Es blieb nur noch die OP
Das Lipödem kostete Schuler immer mehr Lebensqualität: „Ich konnte meiner Tochter nicht hinterherrennen. Und auf dem Spielplatz konnte ich nicht mit ihr schaukeln, weil meine Oberschenkel dafür zu breit waren“, so Rebecca Schuler. Auch im Beruf war das Lipödem hinderlich: Als Erzieherin ist sie viel in der Hocke oder hat Kinder auf dem Schoß sitzen.
Gemeinsam mit ihrem Mann habe sie 2020 entschieden, dass es so nicht weitergeht. Deshalb nahm sie die Kosten für die Operation auf sich. Die liegen im mittleren vierstelligen Bereich und werden nicht von der Krankenkasse übernommen. „Es war die letzte Konsequenz“, gesteht sie sich ein.
„Bei der sogenannten Liposuktion wird das kranke Fett abgesaugt. Es kommt dann auch nicht wieder“, erklärt Korsake. Sie operierte Rebecca Schuler. Bei der ersten OP im Oktober 2020 nahm sie sich die Oberschenkelinnenseite und -vorderseite vor, bei der zweiten im Februar 2021 die Außenseiten und den Bauch.
Insgesamt waren es laut Schuler über zehn Liter Fett, die entnommen wurden. „Dieser Eingriff war weit weg von einer Schönheits-OP. Die Haut ist danach faltig und hängt“, betont die Patientin. Trotzdem habe sie die Operation nie bereut.

So geht es Rebecca Schuler heutzutage
Danach war die 36-Jährige lange krankgeschrieben und musste zur Nachversorgung. „Man spricht nicht umsonst von einem Heilungsjahr“, sagt sie. Mittlerweile geht Schuler nur noch jedes halbe Jahr zur Nachkontrolle. Auch die Kompressionsstrümpfe trägt sie nur noch bei Bedarf. Zur Lymphdrainage ging sie das letzte Mal vor zwei Jahren.
Ihre Arme sind immer noch vom Lipödem betroffen, wie sie mitteilt. Aber nur auf einem vergleichsweise schwachen Niveau. Aber die Singenerin steht zu ihrer Erkrankung und pflegt zu sagen: „Ich lebe mit dem Lipödem, ich leide nicht darunter.“ Das vermittelt sie so auch auf ihrer Instagram-Seite, auf der sie über das Lipödem aufklärt. Hauptsächlich teilt sie aber Alltagssituationen – zum Beispiel Fotos in kurzer Hose ohne Kompressionsstrümpfe.